Geschichtswerkstatt Dorfen:Ausbeutung und Erniedrigung

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Polnische Zwangsarbeiter der Ziegelei Meindl in Dorfen. (Foto: Geschichtswerkstatt Dorfen/Staatsarchiv München)

Beim Themenabend zur NS-Zwangsarbeit erfährt der Besucher, wie auch dieser nationalsozialistische Systembaustein mit erschütternder Menschenverachtung aufgebaut war - und wie die ganze deutsche Gesellschaft davon profitiert hat.

Von Florian Tempel, Dorfen

Die Themenabende der Geschichtswerkstatt Dorfen sind keine heitere Abendunterhaltung. Es geht um ernste Kapitel der Lokalgeschichte, nicht immer, aber oft aus der Zeit der Nationalsozialismus. Es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland, die am liebsten nichts mehr davon hören wollen. Weil sie der Ansicht sind, es sei längst alles gesagt, es würde ja doch nichts Neues dazukommen, nach so langer Zeit. Der Jakobmayer-Saal aber war unlängst wieder voll, fast jeder Stuhl im Parkett war besetzt und auch oben auf der Galerie saßen etliche. Denn es ist eben nicht so, dass schon alles erzählt wäre aus den Jahren 1933 bis 1945. Das Gegenteil ist der Fall.

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Die Einführung durch den Historiker Giulio Salvati stellte die ungeheure Dimension des Systems Zwangsarbeit von 1939 bis 1945 vor. Die Forschung geht davon aus, dass etwa zwölf Millionen Menschen als Zivilisten oder als Kriegsgefangene in Zwangsarbeit ausgebeutet wurden. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ging es los. Zwangsarbeit war systematisch angelegt, um die Kriegswirtschaft am Laufen zu halten - um Nachschub an Munition zu sichern, damit die Landwirtschaft weiterging und auch alle anderen Wirtschaftszweige nicht zum Erliegen kamen.

Es war zudem keineswegs so, sagte Salvati, dass nur gewisse Betriebe profitierten: "Die Ausbeutung ging so weit, dass sich alle beteiligt haben." Denn mit den Lohnzahlung für die Zwangsarbeiter - bei denen aufgrund massiver Abzüge freilich nur ein minimaler Teil ankam - wurden auch die Sozialversicherungen gestützt. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter finanzierten deutsche Rentner, die Krankenkassen und die Arbeitslosenversicherung.

"Sie wurde strategisch verwendet, um bestimmte Länder zu vernichten"

Doch die Zwangsarbeit diente noch einem anderen Zweck, erklärte Salvati: "Sie wurde strategisch verwendet, um bestimmte Länder zu vernichten." Die nationalsozialistische Rassenideologie kam dabei voll zum Tragen. Französische Kriegsgefangene hatten es vergleichsweise noch am besten, Polen wurden schon erheblich schlechter behandelt und Menschen aus der Ukraine und schließlich sowjetische Kriegsgefangene standen ganz unten in der Hierarchie.

Karl Rausch vom Stalag-Verein Moosburg bestätigte das mit dem Faktum, dass im größten Kriegsgefangenenlager Deutschlands zehn Prozent der russischen Gefangenen starben, während es unter den dort inhaftierten Franzosen etwa 0,1 Prozent waren.

Doris Minet von der Geschichtswerkstatt las aus einer Mitteilung eines bekannt sadistischen Dorfener SS-Manns vor, der Zwangsarbeiter das Essen strich, denn "die Russen sind das Fressen nicht wert". Zeitzeuginnen haben Minet berichtet, dass die Zwangsarbeiter im eingezäunten Barackenlager der Ziegelei Meindl "immer hungrig waren" und aus Holz gebasteltes Spielzeug durch den Zaun gegen gekochte Kartoffeln eintauschten. Minet berichtete weiter, dass man von 48 Kindern wisse, die von Dorfener Zwangsarbeiterinnen auf die Welt gebracht wurden und von denen mindestens zehn starben.

In Burgkirchen an der Alz gab es, wie Andreas Bialas vortrug, eine sogenannte "Ausländerkinder-Pflegestätte", in der man Neugeborene gezielt verhungern und erfrieren ließ. Ein weiteres erschütterndes Kapitel deutscher Unmenschlichkeit.

Die Ziegelei Meindl hatte ein eigenes, mit Stacheldraht gesichertes Lager

Doris Minet sprach live auf der Bühne im Jakobmayer mit Rosi Lechner, der Tochter einer ukrainischen Zwangsarbeiterin, die nach 1945 im Landkreis geblieben war, weil sie keinerlei Nachricht von ihrer Familie erhalten hatte und sich nicht zurück in ihre Heimat traute.

Schorsch Wiesmaier hat die Zwangsarbeit beim damals größten Dorfener Betrieb, der Ziegelei Meindl, untersucht, in der mindestens 70 Männer ausgebeutet wurden. Die Fabrikbesitzer waren NSDAP-Mitglieder und der Betrieb hatte ein eigenes, mit Stacheldraht gesichertes Lager. In der Chronik des Unternehmens findet die NS-Zeit nur in einem zynisch anmutenden Satz statt: "Schon vor Ausbruch des Kriegs spürt die Meindl OHG die Macht des Naziregimes: sie muss sich die Ziegelpreise von der Regierung diktieren lassen."

Zum Abschluss las der Publizist Peter B. Heim einen von ihm verfassten Text über das Schicksal einer jungen Frau, die von einem französischen Kriegsgefangenen schwanger wurde. Sie wurde von SS-Männer auf dem elterlichen Bauernhof verhaftet, ein Dorfener Friseur schnitt ihr die Haare und dann wurde sie durch die Stadt zur Polizeistation geführt. Nach zwei Wochen Untersuchungshaft verurteilte sie ein Gericht "wegen verbotenen Umgangs" zu 18 Monaten Zuchthaus. In der Urteilsbegründung hieß es, sie habe "eine ehrlose Gesinnung als deutsche Frau an den Tag gelegt".

Als Besucher des Themenabends der Geschichtswerkstatt Dorfen konnte man mit erheblich mehr Wissen nach Hause gehen - und mit dem verblüfften Gefühl, wie wenig man doch weiß, und der starken Ahnung, dass es wohl noch sehr viel mehr derart Unentdecktes und Unerhörtes gibt.

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Von Florian Tempel

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