Zwischen Welten:Ein Fest für die Freundschaft

Lesezeit: 2 min

Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere ukrainische Kolumnistin hat das erste Mal in einem Bierzelt auf der Wiesn gefeiert. Sie ist ein kleines bisschen beseelt von dem ausgelassenen Miteinander.

Kolumne von Emiliia Dieniezhna

In meinem früheren Leben in der Ukraine habe ich als Redakteurin für einen Fernsehkanal gearbeitet. Zu meinen jährlich wiederkehrenden Aufgaben gehörte es, Berichte über das Oktoberfest zu produzieren, allerdings ohne selber nach München zu reisen. Natürlich habe ich mir jedes Mal gedacht, wie schön es doch wäre, das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen. Ich dachte allerdings auch, dass das wohl eher unwahrscheinlich sei.

Umso überraschter bin ich auch in meinem zweiten Oktoberfestherbst in München, dass ich jeden Morgen auf dem Weg in die Arbeit schon Menschen in Tracht treffe. In diesem Jahr war ich das erste Mal mit Kolleginnen und Kollegen verabredet. Eine gute Gelegenheit also, um die besondere Volksfeststimmung selber zu erleben - und mit meiner Vorstellung, die ich bislang davon hatte, zu vergleichen.

Im vorigen Jahr war Emiliia Dieniezhna schon einmal auf der Wiesn, aber mit Mann und Kind. Da standen die Fahrgeschäfte im Mittelpunkt. (Foto: Florian Peljak)

Zwar war ich voriges Jahr auch schon einmal auf der Wiesn, aber da waren wir als Familie unterwegs mit unserer Tochter, deshalb standen Karussells, Zuckerwatte und gebrannte Mandeln im Mittelpunkt. In diesem Jahr ging es ganz traditionell ins Bierzelt. Wie hier gefeiert wird, habe ich von meinen in dieser Disziplin durchaus erfahrenen Kollegen gelernt.

Wir waren am Freitag unterwegs, und mein erster Eindruck war, dass vermutlich ganz München, vielleicht sogar ganz Bayern, auf der Theresienwiese unterwegs ist. Dass es ziemlich geregnet hat, schien nicht wirklich jemanden zu stören, aber war vielleicht auch der Grund dafür, warum wir ohne Reservierung einen Tisch in einem Zelt bekommen haben. Möglich, dass es sogar der letzte freie Tisch war, denn jedes Mal, wenn einer von uns den Tisch kurz verließ, versuchte jemand anderes, den vermeintlich freien Platz zu ergattern.

15 Euro für eine Mass und als Tisch ein Mülleimer. Das ist nur schwer verständlich

Das Zelt war schnell so voll, dass sogar ein großer Mülleimer in unserer Nähe in einen Tisch umgewandelt wurde. Ich habe mich ernsthaft gefragt, warum man um die 15 Euro für eine Mass Bier bezahlt, um diese dann an einem Mülleimer zu trinken? Allerdings war ich mit diesem Gedanken alleine, meine Begleiter hat das nicht gewundert. Am Ende war es auch egal, ob man sein Glas auf einem Tisch oder einem Mülleimer abgestellt hat: Gefeiert haben alle gleich. Ich blieb etwa vier Stunden im Zelt, während dieser Zeit haben die Gäste am Mülleimer fünf Mal gewechselt. Mit einer "Müllgruppe" haben wir uns sogar ein bisschen befreundet und Oktoberfest-Schlager gesungen.

Ohne Zweifel bringen Zelt, Stimmung und Bier die Menschen zueinander. Trinkrituale, Trinksprüche und Trinklieder schaffen die einzigartige Atmosphäre, in der man sich nie alleine fühlt und in der Gemeinschaft aufgeht. Die Trinksprüche und Trinklieder sind allerdings gar nicht leicht zu verstehen, aber meine Kollegen haben sie für mich aus dem Bayerischem ins Hochdeutsche übersetzt, und nach ein paar Stunden konnte ich schon ganz gut mit meinem ukrainischen Akzent "Oans, zwoa, g'suffa!'" sagen.

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Ich habe immer gedacht, dass es auf der Wiesn hauptsächlich um dieses besondere frische und köstliche Bier geht. Ich habe mich geirrt. Das Oktoberfest steht für die Kultur der Freundschaft und Gemeinschaft, die die Besucher mit ihren Familien, Freunden oder eben auch Fremden erleben. Es geht darum, Freude mit anderen Menschen zu teilen. Das ist der Grund, warum Millionen Menschen aus ganz Deutschland und der Welt nach München kommen.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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