SZ-Kolumne Zwischen Welten:"Viele haben geweint"

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))

Unsere Kolumnistin erkennt in einem Film über die Proteste auf dem Maidan vor zehn Jahren viele Lehren für die Gegenwart.

Von Emiliia Dieniezhna

Vor genau zehn Jahren protestierten Ukrainerinnen und Ukrainer auf dem Maidan in Kiew gegen die pro-russische Regierung und für ihre europäische Zukunft. Etwa 100 Menschen sind damals gestorben, weil sie die Werte von Freiheit und Demokratie verteidigt haben. Jetzt hat der US-amerikanische Regisseur Damian Kolodiy seinen preisgekrönten Dokumentarfilm "Freedom or Death" in München gezeigt. Der Film beleuchtet die Demonstrationen und ihren Einfluss auf die ukrainische Gesellschaft. Gezeigt wurde er in der Ukrainischen Freien Universität, in Zusammenarbeit mit dem Ukrainian Security and Cooperation Center, der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Thomas-Dehler-Stiftung.

Aber zunächst ein paar Worte zum Filmemacher: Damian Kolodiy wurde in New York geboren, seine Eltern sind Ukrainer. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten sie zunächst als politische Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager in Deutschland, bevor sie in die Vereinigten Staaten auswanderten. Als freiberuflicher Videofilmer hat Damian die Ukraine während der Orangen Revolution von 2004 und der Revolution der Würde von 2013 und 2014 besucht.

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Der Titel des Films "Freedom or Death" unterstreicht, wie wichtig Freiheit für die Ukrainer und Ukrainerinnen war und ist. Er macht eine Parallele zur Französischen Revolution von 1793/94 und zur deutschen Revolution 1848/1849 auf, die belegen soll, dass der Kampf der Ukraine für Demokratie und Unabhängigkeit europäische Wurzeln hat.

Die Proteste auf dem Maidan hatten im November 2013 begonnen, nachdem sich die Regierung geweigert hatte, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Über Monate waren die Demonstranten der exzessiven Gewalt der Ordnungskräfte ausgesetzt. Am Ende erreichten sie jedoch die Absetzung des von Russland gesteuerten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Doch damit begann eine neue Tragödie: Wladimir Putin, der seinen Einfluss in der Ukraine schwinden sah, annektierte die Krim, der Krieg gegen die Ukraine hatte begonnen.

Ich habe all das hautnah erlebt. Vor zehn Jahren wohnte ich bereits in Kiew und ich kann mich sehr gut an diese tragischen Ereignisse erinnern. Wir alle wollten ein echter Teil Europas werden. Für die Menschen, die das nicht miterlebt haben, erklärt Damian Kolodiys Film wer, wie und wofür auf dem Maidan gekämpft hat und warum es noch heute wichtig ist, daran zu denken.

Kolodiy zeigt junge und alte Menschen, Studierende, Ärztinnen, Unternehmer und Rentner, die ihr Leben für ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder monatelang riskiert haben. Er hat die Botschaft der Menschen vom Maidan zu neuem Leben erweckt: "Wir verstehen, dass es in der Zukunft sehr schwer wird. Und trotzdem verteidigen wir hier unsere Werte". Damian Kolodiy sagt: "Es ist heute noch wichtiger, den Hintergrund dieses Prozesses zu verstehen, weil sogar mehr auf dem Spiel steht als damals."

Nach der Film-Voraufführung haben viele geweint. Ein Deutscher, der mit uns die Veranstaltung besucht hat, hat gesagt: "Wir haben in Europa schon vergessen, wie es ist, für die Freiheit das Leben zu riskieren." Der Film wird am 20. Februar auf Youtube veröffentlicht.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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