Einzelhandel:Wie die Münchner Verbraucher die Innenstadt verändern

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Lokal einkaufen: Jens Uwe Bartsch betreibt das Kunst und Spiel in der Leopoldstrasse. (Foto: Stephan Rumpf)

An der Leopoldstraße sind inhabergeführte Läden fast verschwunden, an der Sendlinger Straße ebenfalls. Wie sich die letzten überlebenden Unternehmen gegen die Übermacht der Online-Giganten wehren.

Von Kathrin Aldenhoff

Gerade erst wieder hat sich eine Frau einen ihrer Kaschmirpullis angesehen. Wunderschön, sagte sie. Und sie erzählt weiter, dass sie gerade so einen für die Hälfte gekauft habe, um die Ecke, in der Filiale einer großen spanischen Modekette. Den Pullover von Barbara Giandomenico, einer Münchner Designerin, die bei ihrem Label Studio 163 auf Nachhaltigkeit, faire Löhne und eine hohe Qualität achtet, hat sie hängen gelassen. "Ich habe das als Beleidigung empfunden", sagt Barbara Giandomenico. "Die Wertschätzung für Dinge ist verloren gegangen." Und genau das macht ihre Arbeit so schwierig.

Barbara Giandomenico verkauft ihre Kaschmirpullover in einem temporären Laden, neben Bodys, T-Shirts und Kleidern des Labels Love Kidswear, entworfen von der Modedesignerin Franziska Bergmiller. Gemeinsam führen sie ihr Geschäft Coco Monaco. Eine zentralere Lage kann es in München wohl kaum geben: Marienplatz 1 lautet die Adresse des Ladens, den die beiden Frauen zum Kaufhaus der feinen Münchner Marken ernannt haben, auch wenn er - ganz kaufhaus-untypisch - nur zwei Etagen und keine einzige Rolltreppe hat. Dafür bietet der Laden aber die Produkte einer Vielzahl eigenständiger Münchner Labels. Trotz der guten Lage stellt Franziska Bergmiller fest: "Die Ketten sind ein Killer." Und dass es eine Frage der Haltung sei, wo man einkauft.

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Es ist ein ungleicher Kampf: Auf der einen Seite stehen die Online-Giganten und die großen Ketten mit ihren riesigen Marketingbudgets. Auf der anderen Seite Barbara Giandomenico und Franziska Bergmiller. Oder der Spielzeugverkäufer Jens Uwe Bartsch, die Sofa-Expertin Angelika Braun und der Verleger Thomas Endl. Sie sollen hier stellvertretend stehen für die Einzelhändler, die mit den Großen um Kunden, Umsatz und Aufmerksamkeit kämpfen. Im stationären Handel ebenso wie im Internet. Sie alle buhlen um die Menschen, die bei ihnen kaufen.

Wenn man so will, ist Kunst und Spiel an der Leopoldstraße einer der letzten Überlebenden. Die Straße in Schwabing hat sich in den vergangenen Jahren verändert; Filialen großer Unternehmen, Handyläden, Cafés und Restaurants beherrschen das Bild. Die kleinen Einzelhändler wie Kunst und Spiel sind rar geworden. "Von allen Geschäften gibt es in der Leopoldstraße nur noch die Buchhandlung Lehmkuhl und uns, alle anderen sind verschwunden", sagt Jens Uwe Bartsch. "Das hat der Verbraucher beeinflusst."

Kunst und Spiel gibt es seit 1956, vor elf Jahren hat Jens Uwe Bartsch das Geschäft übernommen. Seinem Laden gehe es gut, sagt er. Finanziell und wirtschaftlich, alles in Ordnung. Er gewinne sogar Kunden hinzu. "Irgendwas müssen wir also richtig machen", sagt Bartsch. Woran das liege? Das besondere Sortiment, das über die Jahre gewachsene Vertrauen der Kunden, der hohe Bekanntheitsgrad, das macht den Erfolg aus.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Qualität und Beratung statt Masse und Uniformität: Barbara Giandomenico führt den Pop-Up-Store Coco Monaco am Marienplatz,...

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...Jens Uwe Bartsch ist Inhaber von Kunst und Spiel an der Leopoldstraße.

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Martin Arz vom Hirschkäfer-Verlag verkauft bei den Münchner Buchmachern im Rathaus...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...und Angelika Braun leitet das "Sit & Sleep" am Oberanger.

Doch auch er kämpft: Immer wieder fotografieren Kunden Produkte, suchen sie online und fragen, warum sie dort günstiger sind. Dass er seine Mitarbeiterinnen bezahlen muss, die Kunden beraten, und die Miete, erklärt Bartsch dann. Manchmal kauft der Kunde dann bei ihm. Manchmal auch nicht. Und immer wieder erklärt Jens Uwe Bartsch die Zusammenhänge, manchmal auch ausführlicher. "Wir zahlen Steuern vor Ort, bieten Arbeitsplätze und bilden aus. Das leisten die Großunternehmen so nicht. Vielen Verbrauchern ist das nicht bewusst. Wir müssen sie darauf hinweisen."

Jens Uwe Bartsch hat sich deswegen der Initiative "Buy local" angeschlossen. Buchhändler haben den Verein im Jahr 2012 gegründet, er öffnete sich für alle inhabergeführten Unternehmen, inzwischen hat er nach eigenen Angaben deutschlandweit rund 500 Mitglieder. "Der Kunde entscheidet mit jedem Euro, wie seine Stadt in Zukunft aussieht", sagt Geschäftsführer Dennis Gladner. Wer lokal einkauft, so die Botschaft des Vereins, unterstützt den Unternehmer, der im Ort Gewerbesteuer zahlt. Er sichert Arbeitsplätze und eine bunte, lebendige Stadt. Ziel des Vereins ist es, die Vielfalt, die es noch gibt, zu erhalten. Und im besten Falle den Trend umzukehren, so dass es wieder mehr individuelle Geschäfte gibt.

Der Autor und Verleger Thomas Endl glaubt, dass es gerade eine Renaissance des kleinen Bucheinzelhandels gibt. "Die Läden profitieren davon, dass sie nicht das Gleiche wie alle anderen haben", sagt er. Mit sechs Kollegen führt er seit Dezember den Pop-up-Store Münchner Buchmacher im Gewölbe des Rathauses. Sie sehen den Laden auf Zeit als Chance, die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums zu gewinnen. Und natürlich auch als Möglichkeit, Bücher zu verkaufen. Ja, meint Thomas Endl, man könne überleben, auch als kleiner Verlag. Auch in Zeiten von Amazon. Einfach sei es aber nicht.

Angelika Braun hat das Lokale zu einem Thema ihres Ladens gemacht. In den Verkaufsräumen von " Sit & Sleep " am Oberanger hängen großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien der Stadt: die Olympiahalle, ein Surfer auf der Eisbachwelle, die Synagoge. Vor 22 Jahren hat sie mit einem Partner das Geschäft für Schlafsofas gegründet, seit zwei Jahren ist sie Mitglied von "Buy Local". Auch weil sie eine Veränderung der Innenstadt bemerkt. "Die Sendlinger Straße hatte immer Charme. Aber kleine Läden haben kaum noch eine Chance." Es komme vor, erzählt sie, dass Kunden zu ihr kommen, sich intensiv beraten lassen, Stoffproben mitnehmen. Um dann etwas später anzurufen und mitzuteilen, dass sie das Sofa im Internet zu einem günstigeren Preis gefunden haben. "Wir weisen dann auf die Leistung hin, die wir erbracht haben. Auf die wertige Präsentation hier im Laden, die professionelle Beratung, unseren Service", sagt Angelika Braun. Wo der Kunde am Ende kauft, entscheidet er selbst. "Vielen ist der Zusammenhang zwischen ihrem Konsumverhalten und der Stadtentwicklung nicht bewusst", sagt Angelika Braun.

Online shoppen, das heißt nicht zwangsläufig, dass man dem lokalen Einzelhändler schadet. Auch die Kaschmirpullover von Barbara Giandomenico oder die Kindersachen von Franziska Bergmiller gibt es im Internet zu kaufen. Nur sei es dort für die kleinen Marken noch schwerer, sich gegen die großen Ketten durchzusetzen. Aufgeben wollen die beiden nicht. "Es steckt zu viel Herzblut und Traum darin", sagt Barbara Giandomenico.

Es gibt sie noch, die kleinen Läden. Und es gibt auch noch die Unternehmer, die Lust haben, es aufzunehmen mit den großen Ketten und den Internetgiganten. Barbara Giandomenico und Franziska Bergmiller bauen darauf, dass es Leute gibt, denen Nachhaltigkeit, faire Produktion und Qualität etwas bedeuten. Und dass diese Kunden mehr werden.

© SZ vom 19.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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