Bildung:Jungs protestieren bauchfrei im Klassenzimmer

Lesezeit: 3 min

Welche Kleidung ist in der Schule angemessen? Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. (Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago)

An der Realschule in Ebersberg wird derzeit heftig über angemessene Kleidung im Schulhaus diskutiert. Wer kann bestimmen, was zu freizügig ist? Und warum?

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Es war ein kühler, feuchter Frühlingstag, doch an der Realschule in Ebersberg sah man das am Freitag vielen Schülerinnen und Schülern nicht an: Sie hatten sich sommerlich gekleidet, mit Blick auf nackte Taillen und unbedeckte Schultern. Und zwar nicht nur die Mädchen, auch viele Jungs hatten ihre T-Shirts so geknotet, dass zwischen Shirt und Hose noch ein bisschen nackte Haut zu sehen war. Es handelte sich um eine Protestaktion: Seit einigen Tagen nämlich wird heftig darüber diskutiert, welche Kleidung auf dem Schulgelände erlaubt ist und welche nicht. Lehrkräfte hatten darauf hingewiesen, dass bauch- und schulterfreie Kleidung tabu sei - das stößt in Schüler- und Elternkreisen auf sehr gemischte Reaktionen.

"Das wirft die Entwicklung der eigenständigen Frau zurück", sagt ein Schüler

"Ich finde die Regelung gut. Natürlich soll man sich so anziehen wie man will, aber das hat dort Grenzen, wo sich andere gestört fühlen", sagt Schülersprecherin Vanda Angyal. Matthias Spensberger, ebenfalls Schülersprecher, sieht das ganz anders. Er kritisiert, dass auf diese Weise Elf-bis 16-Jährige anhand ihrer Kleidung sexualisiert werden. Und weist darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler bis zu ihrem Abschluss mit 16 zwei Drittel ihrer Lebenszeit an der Schule verbringen, es sei also ein wichtiger Ort, an dem sie ihren Stil und ihre Persönlichkeit entwickelten. "Laut Artikel 2 des Grundgesetzes hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, das muss auch in diesem Fall gelten", sagt Spensberger. "Und dass jetzt wieder eine Art Kleiderordnung herrscht, wirft die Entwicklung der eigenständigen Frau zurück."

Schulleiter Markus Schmidl kann gar nicht recht verstehen, wieso die Diskussion jetzt so aufgeflammt ist. Die Hausordnung gelte seit 2007, auch dort sei schon festgehalten, dass in der Schule "angemessene, nicht anstößige Kleidung" getragen werden müsse. Daran sei nun eben nur vor der anstehenden Sommersaison in den sogenannten "Zeit für uns"-Stunden, in denen Themen außerhalb des Lehrplans angesprochen werden können, noch einmal erinnert worden. Schließlich sei nach zwei von Corona geprägten Schuljahren bisweilen eine gewisse "Schludrigkeit" erkennbar. Zudem habe man als Schule nicht nur einen Bildungs-, sondern auch einen Erziehungsauftrag. Man könne ja auch später nicht mit Strandklamotten ins Büro gehen, erklärt der Schulleiter.

SZ PlusGeflüchtete Kinder in Bayern
:Meine ukrainische Schulfreundin

Aleksandra ist sieben, Daria sechs Jahre alt. Die eine ist Russin, die andere Ukrainerin. Nun sitzen sie im oberbayerischen Kirchseeon in einer Schulbank. Über eine bezaubernde Freundschaft in dunklen Zeiten.

Von Mohamad Alkhalaf

"Mich überrascht und irritiert diese Diskussion sehr", sagt eine Mutter

Auch Schmidl verweist darauf, dass die freie Kleiderwahl dort Grenzen finde, wo sich andere gestört fühlten. Doch wie wird diese Grenze definiert? Schmidl räumt ein, dass es hier bei seinen 876 Schülerinnen und Schülern möglicherweise ebenso viele Ansichten gebe. Eine klare Definition gibt es jedenfalls nicht.

Bei schönem Wetter gibt es an der Realschule in Ebersberg keine Probleme, bei schlechtem allerdings schon. Dann nämlich dringt Regenwasser in das undichte Gebäude ein. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und das ist eine der Tatsachen, die nun auch unter den Eltern erhebliche Irritationen hervorrufen: "Es ist selbstverständlich, dass die Schule ein Lernort ist, der von gegenseitigem Respekt getragen werden und die freie Entfaltung der Persönlichkeit fördern sollte", sagt etwa Marthe Balzer, deren Tochter die Schule besucht. Die Eltern seien aber nicht darüber informiert worden, dass nun offenbar bauchfreie oder schulterfreie Oberteile verboten seien, oder auch Röcke oder Hosen, die "zu kurz" seien. Die Schulordnung lege keinerlei konkreten Regeln zur Kleidungswahl der Schülerinnen und Schüler fest. "Mich überrascht und irritiert die Diskussion sehr", sagt Balzer. Zudem beträfen die ihr zugetragenen Regeln nun vor allem Mädchen. "Was bringt man jungen Mädchen damit bei? Wenn dein Rock zu kurz ist, dann irritierst du Männer? Du lenkst damit andere Jungen vom Lernen ab? Bedecke dich, damit du niemanden reizt? Damit sexualisiert man Minderjährige. Das ist zutiefst sexistisch."

Das bayerische Schulrecht enthält keine Vorschriften darüber, wie Schülerinnen und Schüler im Allgemeinen gekleidet sein sollten. Das erklärt ein Sprecher des Kultusministeriums auf Anfrage. Das Ministerium setze auf den Dialog an den Schulen. Die Schulleitungen vor Ort können gemeinsam mit ihrer Schulgemeinschaft, also Lehrer, Eltern, Schüler, eine Entscheidung darüber treffen, "ob und - wenn ja - welche Regelungen zur Kleiderwahl es geben kann, soweit die Persönlichkeitsrechte der Schülerinnen und Schüler damit nicht verletzt werden". Es obliege darüber hinaus zunächst der Einschätzung von Lehrkräften, ob sie in einem Kleidungsstück eine potentielle Störung des Schulbetriebs sehen und daher den Dialog mit einem Schüler oder einer Schülerin suchen.

Einen Dialog, den wünscht sich auch Schülersprecher Matthias Spensberger, allerdings auf der Ebene der gesamten Schulfamilie. Angesichts der Tatsache, dass die Hausordnung nun schon 14 Jahre alt sei, sei es ohnehin mit einer gründlichen Überarbeitung an der Zeit. Gemeinsam sollten Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer einen Kompromiss bei der Kleiderordnung suchen, so seine Überzeugung.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusHilfe für Geflüchtete
:"Als ich in diesen Raum kam, war ich gebrochen"

Sieben Monate lebte unser Autor nach seiner Flucht aus Syrien in der Turnhalle eines Gymnasiums in der Nähe von München. Nun versorgt er dort Menschen aus der Ukraine. Über dunkle Erinnerungen und das, was Hoffnung geben kann.

Von Mohamad Alkhalaf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: