Das Heim Hochland in Steinhöring war das erste Entbindungsheim, das vom nationalsozialistischen Verein "Lebensborn" gegründet wurde. Als es am 3. Mai 1945 von US-amerikanischen Soldaten entdeckt wurde, war es auch das letzte noch existierende dieser Häuser, die dem von Heinrich Himmler ins Leben gerufenen Projekt einer Geburtenförderung und -selektion nach "arischen" Maßstäben dienten. 150 Kinder lebten damals in den heutigen Gebäuden des Steinhöringer Einrichtungsverbunds. Mit der Sorge um diese Kinder und ihrer Vermittlung, auch mit der Handhabung der ihnen zugeordneten Vermögenswerte, wurden zwei katholische Organisationen beauftragt: die Caritas und die Katholische Jugendfürsorge (KJF). Der Reichertshofener Historiker Rudolf Oswald referiert über dieses Thema auf Einladung des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg im Museum der Stadt Grafing.
SZ: Herr Oswald, Sie betreiben einen sportgeschichtlichen Service, schreiben vor allem über Fußball- und Fangeschichte. Wie kommt es, dass Sie sich nun mit dem Lebensbornhaus in Steinhöring beschäftigen?
Rudolf Oswald: Ich habe 20 Jahre im Betreuungszentrum Steinhöring gearbeitet, inklusive meiner Zivildienstzeit. Nach meiner Promotion habe ich mich als Historiker selbständig gemacht und bin dann von meinem früheren Arbeitgeber, der KJF München-Freising, gebeten worden, eine Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum zu verfassen und den Umgang der Katholischen Jugendfürsorge mit dem Nachlass des Lebensborns aufzuarbeiten.
Neben der KJF war die Caritas eingebunden in die Abwicklung der Lebensborn-Heime. Wie waren die Aufgaben verteilt?
Die Caritas war für die institutionelle Abwicklung zuständig - die Amerikaner fanden im Mai 1945 ja 150 Kinder in Steinhöring vor, die versorgt oder zu ihren Eltern zurückgebracht werden mussten. Aber es gab auch eine organisatorische Aufarbeitung, also etwa die Übernahme von Vormundschaften. Darin hatte die KJF in den mehr als 30 Jahren ihres Bestehens viel Know-How angesammelt.
Rudolf Oswald, Historiker aus Reichertshofen, hat sich mit der Nachkriegsgeschichte der Kinder aus dem Steinhöringer Lebensbornheim auseinander gesetzt.
(Foto: privat)Wie muss man sich diese Aufarbeitung vorstellen?
Es gab Vermögenswerte, zum Teil in Form von Sparbüchern oder, zu einem kleinen Teil, auch Lebensversicherungen, die wurden und werden nach wie vor von der KJF in München verwaltet. Das Problem war aber, die Inhaber dieser Vermögen ausfindig zu machen. Das war auch ein Grund, warum ich mit der Aufarbeitung beauftragt worden bin: um irgendwelchen Verdächtigungen vorzubeugen, dass sich eine konfessionelle Organisation an Vermögenswerten bereichert, die aus der damaligen Zeit stammen.
Waren die Sparbücher nicht unzweifelhaft mit den Namen jener Kinder verbunden, die in Steinhöring lebten?
Den Kindern, die noch dort waren und die die KJF an Pflegefamilien oder sogar Adoptionsstellen vermittelte, konnte man, soweit ich weiß, die Sparbücher gleich mitgeben. Aber der Lebensborn hatte ja für viel mehr Kinder solche Sparbücher angelegt, die Zahlen lagen im vierstelligen Bereich. Für sie bestanden oft Vormundschaften, die dann gemeinsam mit den Vermögenswerten in München verwaltet wurden. Aber es war schwer, an diese Kinder heranzukommen. Man wusste oft nicht, wer die Eltern waren.
Wurden die denn nicht noch zu Bestehen des Heims registriert?
Zum einen wurde kurz vor Eintreffen der US-Truppen noch schnell viel Material in Steinhöring vernichtet. Dann waren viele dieser Kinder nicht in Deutschland geboren. Nach dem Krieg wurden sie häufig repatriiert, etwa nach Norwegen. Wenn es geraubte Kinder waren, oftmals aus Polen, waren sie bei einem Sonderstandesamt "L" für Lebensborn neu registriert worden mit deutschem Namen und verloren ihre Identität. Schon 1945 konnte man häufig den Kontakt zu den Eltern nicht mehr herstellen. Es war ja auch ein Prinzip des Lebensborns, dass man Frauen, die unehelich schwanger geworden waren und etwa in einem dörflichen Umfeld lebten, die Gelegenheit hatte geben wollen, ihr Kind in den Heimen unerkannt zur Welt zu bringen und dann zur Adoption freizugeben - das alles natürlich aus völkischen Gründen. Viele dieser Kinder lebten längst nicht mehr hier, die sah man in München gar nicht, es handelte sich oft um reine Schreibtischvorgänge. Eine ganze Reihe befand sich auch auf dem Gebiet der DDR. Die Auszahlung konnte fast nur über Bürger der DDR gehen, die schon im Rentenalter waren, in die BRD reisen und sich das Geld in bar ausbezahlen lassen konnten. Es gab auch welche, die lebten in Polen, da war es noch schwieriger. Ein weiteres Problem war das Namensrecht: Wenn ein Mädchen geheiratet hat, nahm sie früher fast automatisch den Namen des Ehemanns an, also verschwand sie praktisch völlig aus den Akten.
Das heißt, es ist eine ganze Menge Geld übrig geblieben. Wie groß sind denn diese Vermögen?
Da darf man sich keine großen Summen vorstellen, es handelt sich meist um kleine Beträge. Die dann auch noch die Währungsumstellung durchliefen, die lagen dann oft im ein- oder höchstens zweistelligen DM-Bereich. Alles in allem geht es jetzt vielleicht um 40- oder 50 000 Euro. Wichtig ist, dass man sich nach wie vor an die KJF wenden kann, wenn man glaubt, dass vielleicht für den eigenen Vater oder die Mutter so ein Sparbuch angelegt wurde, dann wird das recherchiert und anteilsmäßig ausgezahlt.
Sie haben ja gesagt, Sie wurden zu ihrer Recherche beauftragt, um Verdächtigungen zuvorzukommen. Würden Sie also sagen, die Anstrengungen, die Anspruchsberechtigten zu finden, waren groß genug, oder hat man da doch etwas versäumt?
Ich mag nicht von einem Versäumnis sprechen, aber es herrschte bis Ende der 60er-Jahre die Auffassung, dass vom Anspruchsberechtigten eine Anfrage gestellt werden sollte. Man nahm fälschlicherweise an, dass die Betroffenen wissen, dass sie Ansprüche haben. In den 70ern hat sich das geändert, da wurde eine große Suchaktion gestartet, über Meldeämter und vorhandene Adressen, man schrieb die ehemaligen Lebensbornkinder aktiv an. Dass man zu Beginn nicht offensiv nachgeforscht hat, das wirft vielleicht nicht unbedingt ein positives Licht auf die damalige Vormundschaftsabteilung. Aber die war mit der Übernahme dieser Aufgabe völlig überlastet. Die Suche war bei den damaligen Verhältnissen extrem schwierig, Deutschland ja komplett zerstört.
Das heißt, das Geld liegt jetzt auf einem Konto und wartet darauf, das es sich jemand holt.
Ja, so ist es. Es wurde bestmöglich verzinst, damit wurde nicht irgendetwas gekauft, es wurde auch nicht in irgendein Projekt investiert.
Wo haben Sie für Ihren Vortrag recherchiert?
Zu 80 Prozent in der KJF München in der Adelsreiterstraße, zusätzlich beim Erzbischöflichen Ordinariat, beim Stadtarchiv München, beim Staatsarchiv und dann kam noch privates Archivmaterial dazu.
Hatten Sie Gelegenheit, mit Betroffenen zu sprechen?
Oral History habe ich nicht betrieben, allein schon, weil die meisten, die in Frage gekommen wären, zum Zeitpunkt ihres Aufenthalts in Steinhöring noch keine drei Jahre alt waren. Die meisten waren nur wenige Monate alt, oft nur ein paar Wochen, einige Kinder kamen sogar noch nach dem 8. Mai 1945 zur Welt. In Steinhöring müssen auch chaotische Zustände geherrscht haben. Steinhöring war sozusagen der Rückzugsort für den Lebensborn. Alle Kinder und Mitarbeiterinnen aus anderen Heimen wurden in den letzten Kriegswochen dorthin gebracht, die Verwaltung in München schon 1943 dorthin verlagert.
Das heißt, die Frauen haben ihre Kinder dort zur Welt gebracht und dann in der Obhut des Heims gelassen?
Ja, das stimmt. Wenn man sie nach dem Krieg wiedergefunden hat, wurde, wenn möglich, dem Familienprinzip der Vorrang gegeben und oft auch eine leibliche Mutter so lange bearbeitet, bis die sich zu dem Kind bekannt und es wieder an sich genommen hat.
Das kann man sich eigentlich kaum vorstellen, dass eine Mutter erst überzeugt werden musste. Gibt es Protokolle solcher Gespräche?
Ja, die gibt es, im Archiv der KJF. Es ist schwer zu glauben, aber man muss die Umstände, in denen diese Frauen waren, schon in Rechnung stellen. Teilweise wurden sie in ihrer Umgebung stark angefeindet, da gingen sie dann lieber zu einer Lebensborneinrichtung, bevor sie ein Kind abtreiben ließen - was bei den sogenannten Engelmacherinnen oft ja mit Todesfolge für die Mutter verbunden war. Die meisten haben nach dem Mai 45 umgedacht, aber viele hatten auch damit abgeschlossen. Einen Fall habe ich in meinem Buch beschrieben, eine Mutter arbeitete in einem Lokal für US-Soldaten in Karlsruhe, die dachte gar nicht mehr an ihr Kind. Sie ist erst durch die Recherche der Jugendfürsorge darauf aufmerksam geworden und hat ihren Nachwuchs dann auch zu sich genommen.
Und die Kinder, bei denen das nicht geklappt hat, oder deren Eltern man nicht fand?
In der Regel kamen sie in Pflegefamilien im oberbayerischen Raum. Wobei oberste Priorität war, dass die Familie das Kind auch versorgen konnte. Von Adoptionen hat man lange Zeit abgesehen, weil es ja sein konnte, dass die leiblichen Eltern doch noch gefunden wurden, oder dass ihre Namen eingedeutscht waren, sie aber aus Norwegen oder Polen kamen. Es wurden auch Kinder aus Pflegefamilien wieder herausgenommen und in ihr Heimatland zurückgegeben. Das konnte zu ziemlichen Tragödien führen. Und ohnehin war es tragisch, dass viele Kinder im Kleinkindalter ohne mütterliche Zuwendung waren. Was das für Langzeitfolgen hatte, ist eine ganz andere Geschichte.
Der Vortrag von Rudolf Oswald heißt ebenso wie das von ihm im Verlag St. Michaelsbund erschienene Buch: Den Opfern verpflichtet - Der Umgang mit den "Lebensborn"-Kindern nach 1945. Er ist am Mittwoch, 18. Januar, ab 19.30 Uhr im Museum der Stadt Grafing zu hören. Der Eintritt ist frei.