Bildung für alle:Ein halbes Jahrhundert auf dem richtigen Kurs

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Sie wurden ab der ersten Ausgabe des ersten Semesters im Jahr 1973 alle aufbewahrt: Die Programmhefte. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doppelter Grund zum Feiern: Die VHS Grafing - Ebersberg gibt es seit 50 Jahren, ihr Domizil in der Kreisstadt seit einem Jahrzehnt. Eine Erfolgsgeschichte.

Von Michaela Pelz, Ebersberg/Grafing

Am Anfang stand die Frauenpower. In den Siebzigerjahren war Annelore Walter wie so viele mit ihrer Familie aus der Stadt aufs Land gezogen. Weil es in Grafing aber keine Malkurse gab, wie sie die zweifache Mutter aus München kannte, organisierte sie diese kurzerhand selbst. Doch das war erst der Beginn ...

Durch ihren unermüdlichen Einsatz kam eins zum anderen. Mitstreiter wurden gefunden, die Kommunen Grafing, Ebersberg und Kirchseeon überzeugt, einem Zweckverband beizutreten, ein Förderverein als vorläufiger Träger gegründet, Dozenten angesprochen und ein Kursprogramm zusammengestellt - bis schließlich am 20. September 1973 das erste Semester der VHS Grafing Ebersberg starten konnte. Auch Initiatorin Walter war da - trotz Gipsbein und Krücken, persönlich abgeholt von Ebersbergs damaligem Bürgermeister Hans Vollhardt.

So weiß es die Chronik, auf die sich Martina Eglauer stützt, heutige Leiterin der "Volkshochschule im Zweckverband Kommunale Bildung". Das ist nämlich der exakte, etwas sperrige Name jener Institution, die seit nunmehr einem halben Jahrhundert in den mittlerweile vier Verbandsgemeinden - zu den ursprünglichen drei war noch Markt Schwaben hinzugekommen - und weiteren zwölf Vertragsgemeinden Vorträge sowie "Kurse für Weiterbildung, Fortbildung und persönliche Entwicklung" anbietet.

Umweltpionier Friedrich Schmidt-Bleek sprach zur Eröffnung

Wie fortschrittlich man diesbezüglich schon bei der Gründung war, belegt der Eröffnungsvortrag: "Systematik der Lösung von Umweltproblemen". Referent war kein geringerer als der Chemiker und Pionier der Umweltforschung Friedrich Schmidt-Bleek, seinerzeit Direktor des Environmental Center der Universitäten des Staates Tennessee.

Auch sonst sind, wie Eglauer erwähnt, durchaus Parallelen zu den Anfangsjahren zu erkennen: So startete etwa das zweite Semester aufgrund der Heizölkrise verspätet. "Und jetzt gibt es wieder große Energiesparplakate an den Türen", erzählt die Geschäftsführerin bei der Führung durch die Räume des VHS-Hauses in Ebersberg, dessen Eröffnung vor zehn Jahren den zweiten Anlass zum Feiern bietet.

Rund 1300 Kurse hat die VHS mittlerweile im Angebot

Weit ist man gekommen seit den Tagen, in denen Annelore Walter aus dem heimischen Wohnzimmer die Geschicke der VHS geleitet und ihre komplette Familie für den Telefondienst bei den ständig steigenden Anmeldungen eingespannt hatte. Waren es am Ende des ersten Semesters 958 regelmäßige Teilnehmer in 58 Kursen und mehr als 500 Vortragsbesucher, hatte sich der Hörerstand ein Jahr später schon verdoppelt und die Zahl der Dozenten auf 80 erhöht. Weil auch die Instrumentalkurse großen Anklang fanden, wurde dieser Bereich im Jahr 1980 in eine gesonderte Musikschule überführt. Mit eigener Leitung, aber einem gemeinsamen Haushalt.

Bis zum pandemiebedingten Einbruch ging die Nachfrage stetig nach oben. 2019 erreichte sie ihren bisherigen Höchststand mit 18 500 Teilnehmenden an 1280 Kursen, die von 613 Leitungen durchgeführt worden waren. Zwar habe man diese Werte noch nicht wieder erreicht, befinde sich aber auf einem guten Weg.

Wechselnde Fotoausstellungen und das große Büchertauschregal machen das Foyer zu einem willkommenen Treffpunkt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dabei gilt es, jenseits von Zahlen und Fakten, die Rolle der VHS als Begegnungsstätte zu würdigen. Seit 2015 steht, dank Kooperation mit der Stadtbücherei, ein Büchertauschregal im Foyer, aus dem sich alle zu den Öffnungszeiten des Hauses bedienen können. Auch ist es durchaus erlaubt, sich in dem mit gemütlichen Sesseln ausgestatteten Bereich aufzuhalten, selbst wenn man nicht auf den Beginn eines Kurses wartet. Zumal die dortigen Fotoausstellungen, die oft in Bezug stehen zu den Semesterthemen, immer einen Besuch wert sind.

In den Kursen wiederum werden aus Kontakten Freundschaften; teilweise jahrzehntelang währt die Treue zwischen Teilnehmern und Dozentinnen. Eine davon ist Renate Gutdeutsch, die bis vor kurzem den Ebersberger Lyrikkreis leitete. 36 Jahre lang. In der Gruppe wollte man Gedichte "drehen und wenden" und auch rezitieren. So entwickelte sich, zunächst im Wohnzimmer der heute 85-Jährigen, der "Keim eines Philosophenclubs".

Die älteste Teilnehmerin des Lyrikkreises war 98

Beileibe nicht nur pensionierte Studienräte hätten dabei etwa die jahrtausendealte Klage der Stadtgöttin von Ur mit der Klage einer russischsprachigen Ukrainerin nach 2014 verglichen. Auch Mediziner und Steuerbeamte seien mit von der Partie gewesen. Und noch immer trauere man um die älteste Teilnehmerin, die vor wenigen Wochen im Alter von 98 Jahren verstarb. "Großartig im Erzählen und Vorlesen. Und immer hörte man mit: ihre besondere Liebe zur Lyrik.", so Gutdeutsch.

Die Aufkleber weisen auch dem den Weg zur Anmeldung, der die deutsche Sprache (noch) nicht beherrscht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In den Integrations- und Sprachkursen hingegen geht es nicht um Jamben und Trochäen. Hier treffen sich vielmehr jene, für die der Spracherwerb an sich von zentraler Bedeutung ist. "Es gehört zu unserem Selbstverständnis als Bildungseinrichtung, Kurse anzubieten, die existenziell sind für die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt," sagt Martina Eglauer, für die "Deutsch als Fremdsprache" (DaF) bereits ein wichtiges Thema war, bevor sie 2006 die Leitung der VHS in Ebersberg übernahm. Darum bemühte sich die studierte Sinologin sofort darum, eine offizielle Zertifizierung zu erhalten. Eine weise Entscheidung - explodierte doch die Nachfrage ab 2016 förmlich, zumal längst nicht jede Volkshochschule Integrationskurse anbietet.

Derzeit erhalten leider nicht alle sofort einen Platz - es fehlen Lehrkräfte und Räume. Bis zur C1-Prüfung reicht das vielfältige Angebot in diesem bei weitem zeitintensivsten Bereich von jeweils dreimal drei Stunden pro Woche. Doch die Anstrengung lohnt sich. "Es ist bewegend und berührend, wenn man merkt, was es für die Menschen bedeutet. Man gibt ihnen etwas mit, was sie fähig macht, hier gut zu leben," fügt Eglauer dann noch hinzu; es klingt kein bisschen pathetisch.

Die Dozentenbibliothek mit Fachlektüre gehört zu den Auflagen für Integrationskurse. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf jeden Fall ist sie froh, dass im Ebersberger VHS-Haus genügend Platz ist auch für die Fachbibliothek der Dozenten. Denn dass diese sich wohlfühlen, sei ein entscheidender Punkt angesichts des auch hier herrschenden Fachkräftemangels.

Ein großer Vorteil des Hauses mit seinen großzügigen Räumlichkeiten ist zudem die Tatsache, nicht länger angewiesen zu sein auf die überwiegend abendliche Überlassung von Turnhallen und Klassenzimmern in Schulen. In 250 Angeboten rund um die Gesundheit werden die drei, circa 100 Quadratmeter großen, Sportfachräume gern und oft genutzt.

Die drei Sporträume, jeder um die 100 Quadratmeter groß, werden besonders gern genutzt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Durch die Lage in unmittelbarer Nähe zur S-Bahn fungiert das Haus also nicht nur für Ebersberger als "Magnet für Bildung", sondern auch Bürgerinnen und Bürger anderer Gemeinden. Diese freuen sich über die Kooperation mit den Stadtführungen genauso wie über die Möglichkeit der 18 Euro-Vortragspauschale, mit der sich pro Semester ohne Anmeldung mehr als 30 Veranstaltungen zu den verschiedensten Themen besuchen lassen

Der von Martina Eglauer schon vor der Pandemie initiierte Einstieg in die Digitalisierung, mit passendem Personal und Ausstattung, hat sich während der Corona-Krise als höchst nützlich erwiesen. Und tut es weiterhin: Vorträge werden gestreamt, Online-Kurse sorgen dafür, dass auch regional weniger stark nachgefragte Sprachen wie Hindi oder Portugiesisch erlernt werden können, die digitale Anmeldung sichert einen Platz im Wunschkurs mit nur wenigen Klicks. Außerdem können Senioren in der dank Fördermitteln kostenlosen Sprechstunde Fragen und Probleme rund um Smartphone und PC klären.

Die Wegbereiterin der VHS Grafing-Ebersberg, Annelore Walter, starb 2009 mit 78 Jahren. Was sie initiiert hat, bleibt. Die Inhalte der Kurse mögen sich verändert haben, die grundsätzliche Idee eines Angebots nah an den Wünschen und Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürgern nicht.

Tag der offenen Tür : Samstag, 13. Mai, 13.30-17 Uhr. VHS Ebersberg, Dr.-Wintrich-Str. 3. Programm: Tanz-Aufführungen, Mitmachangebote von Sitzgymnastik bis Zumba, Vorträge, Sprach-Schnupperkurse, Kreativprogramm für Kinder sowie die Ausstellung der Beiträge des Kreativ-Wettbewerbs mit Abstimmung und Prämierung.

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