Wirtschaft im Landkreis:Eine Institution zieht um

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Auch im Büro von Catrin Braeuer-Achatz hinter den Verkaufsräumen stapeln sich die Bücher bis zur Decke. (Foto: Christian Endt)

Nach 60 Jahren im Familienbesitz hat die Grafinger Buchhandlung Braeuer Ende März ihren letzten Tag. Buchsortiment und vor allem Papeterie fusionieren dann mit der früheren "Bücherstube" an einem neuen Standort am Marktplatz. Jetzt wird aber erst einmal groß das 60-Jährige gefeiert.

Von Michaela Pelz, Grafing

Der erste Blick beim Betreten des Geschäfts am Grafinger Marktplatz fällt auf ... Walnüsse. Nanu? Der Grund wird später enthüllt und ist ebenso sympathisch und herzerwärmend wie die komplette Atmosphäre in diesem Laden. Einem Laden mit Zeitschriften, Karten, Kalendern, Papier und Stiften, vor allem aber mit Büchern.

Doch "der Braeuer" ist viel mehr als ein Umschlagplatz für Literatur und Büromaterial - er ist eine Institution. Weil die Seele des Ganzen, Inhaberin Catrin Braeuer-Achatz, sich nun aber mit 66 Jahren in den Ruhestand verabschiedet, gehen am 25. März nach mehr als 60 Jahren die Türen zu. Davor allerdings wird am Samstag, 18. Februar, noch ein rauschendes Fest gefeiert.

Die Frau mit den langen Haaren braucht das bereitgelegte Fotoalbum nicht, um die erste Erinnerung an "den Betrieb" wachzurufen: "Ich war fünf und durfte den Ständer mit den Pixi-Büchern einräumen." Das sei ebenso ihr Job gewesen wie das Stempeln der Quittungsblöcke, nachdem die Familie von Baldham nach Grafing gezogen war, um 1962 dort einen Laden für Schreibwaren und Bürobedarf zu übernehmen. Von Anfang an gab es aber auch etwas zum Lesen. Grund genug für den Ortspfarrer, als einer der Ersten ins Geschäft zu kommen und das Sortiment zu inspizieren. Am Sonntag drauf habe Hochwürden von der Kanzel aus der Gemeinde erklärt: "Da derft's fei hi'geh', i hob nix dagegen."

Vielleicht darf ja auch sie dann nach 60 Jahren in den Ruhestand gehen? Die Kasse, noch von den Eltern, die "so teuer war wie ein Kleinwagen". (Foto: Christian Endt)

Braeuer-Achatz begleitet diese und ihre zahlreichen anderen Anekdoten mit jenem leisen Lachen, für das man sie kennt. Sicherlich auch deswegen hat sie dieses besondere Verhältnis zu ihrer Kundschaft, zu der teils seit Jahrzehnten eine Beziehung besteht. Denn nicht nur hat erst ihre Mutter, dann ab 1986 die gelernte Kauffrau ganze "Lesegenerationen" mit Romanen, Ratgebern, Kinder-, Sach- und Schulbüchern versorgt, sondern oft hat sie auch deren Sorgen und Nöte vernommen oder ihre Freude geteilt.

Seit 2006 werden im Laden bei Veranstaltungen lesenswerte Neuerscheinungen vorgestellt

Sie lauscht den Geschichten der alten Leute, die neben ihrer Zeitung oder einem einzigen Briefumschlag vor allem Ansprache brauchen. Reicht dem Kind morgens um halb acht neben dem vergessenen Schulheft ein Gutti gegen Halsweh. Und versorgt den Postboten, dessen Enkelin ein Engel im Krippenspiel ist, mit einem Goldbandl für den Gürtel.

Buchtipps gibt es hier sowieso - ab 2006 stellte die Inhaberin von "Buch Braeuer" zusammen mit Bärbel Will-Trebeg in der Stadtbücherei "mindestens zehn Mal" Neuerscheinungen vor; seit einigen Jahren tut sie das höchst erfolgreich mit ihrer langjährigen Mitarbeiterin Gisela Högel. Wobei Braeuer-Achatz und ihr Team so viel verbindet, dass sie lieber von "Freundeskreis" spricht als von Angestellten.

So sah er aus, der Laden, in dem die kleine Catrin groß wurde - wie ihre Schulkameraden, deren Eltern ebenfalls Geschäfte rund um den Marktplatz betrieben. (Foto: Christian Endt)

Nun also ist diese Ära zu Ende. Auch oder vielleicht gerade, weil Catrin Braeuer-Achatz quasi im Laden aufgewachsen ist, wie die Kinder aller anderen Geschäftsleute "vom Deisenrieder bis zum Kipfi" rund um den Marktplatz. Wie ein "großes Kaufhaus" habe man sich empfunden, sich ergänzt, ein "Miteinander, kein Gegeneinander" betrieben, einen fast familiären Umgang gepflegt, erzählt sie. "So oft war ich bei der Sirtl-Oma, hab mit ihrem Collie im Wohnzimmer die Serie 'Lassie' anschauen dürfen." Gleichzeitig wurde ihr da aber auch klar, was sie nicht wollte: "Wie die Berta aus dem Korbladen mit über Neunzig noch hinterm Verkaufstresen stehen!"

Deswegen sei ihre Dankbarkeit sehr groß gewesen, als die Familie Kölbl von "Bücher Herzog", die vor mehr als zwei Jahren bereits die Grafinger Bücherstube übernommen hat, mit dem Angebot an sie herantrat, den Betrieb zu übernehmen. "Durch die Zusammenführung der beiden Buchhandlungen kann der Fortbestand garantiert werden. Gemeinsam ist man stark,", sagt Braeuer-Achatz.

So groß wie die beiden bisherigen Läden zusammen wird es werden, das neue Geschäft, das nach dem Umbau, der im April beginnt, seine Heimat nach wie vor am Marktplatz haben wird; im ehemaligen "Kipfelsberger". Mit Regina Sotta-Rothmoser, die dann dann die Federführung übernimmt, ist Catrin Braeuer-Achatz ohnehin befreundet. Und auch bei Konzept und Struktur hat sie bereits tatkräftig mitgewirkt und wird es auch weiterhin tun, bis alles läuft. "Es gibt also einen sanften Ausstieg."

Ohne Schreibwaren geht es nicht - sie sind ein Stück Lebensqualität. (Foto: Christian Endt)

Im vorderen Bereich ist ein Lesecafé geplant, dann kommen Bücher, hinten finden Schreibwaren und Bürobedarf ihren Platz. Dass diese unbedingt weiterhin gehandelt werden, war eine der Bedingungen vor Vertragsabschluss. "Das ist eine Frage von Lebensqualität", sagt Braeuer-Achatz. "Kinder müssen einen Füller ausprobieren können, den auch jemand reparieren kann, Stichwort Nachhaltigkeit. Kleine Geschäfte brauchen Rechnungsformulare. Und wer hat denn sonst noch Fähnchen fürs Osterlamm, Schrankpapier, eine einzelne Kugelschreibermine?"

So deutlich hat sie ihren neuen Partnern die Notwendigkeit einer derartigen Dienstleistung gemacht, dass demnächst sogar im Wasserburger "Bücher Herzog" Schreibwaren eingeführt werden - natürlich nach einer Beratung durch Catrin Braeuer-Achatz.

Was macht eine Buchhändlerin im Ruhestand? Lesen natürlich

Die große Liebe zum Buch hat die Grafingerin all die Jahre bei der Stange bleiben lassen, das "beglückende Gefühl, dass es für den Ort weitergeht" ist die Triebfeder für ihr Engagement, bis am neuen Standort alles strukturiert seinen Gang geht. Ihr größter Wunsch dabei: Dem Kundenstamm nach wie vor das Gefühl zu erhalten, in diesem Laden einen "Lebensort" zu haben. "Ich hoffe, es gelingt, das mit umzuziehen."

Und was kommt danach? "Das erste, was ich im Ruhestand mache? Ich setz mich in den Flieger und besuche meine Freundin Fabienne in Paris; dann fahren wir zusammen in die Normandie." Mehr Zeit für die Familie will sie haben, "dem Hund habe ich versprochen, dass die Spaziergänge länger werden", im Haus gibt es immer was zu tun, "und endlich will ich die Bücher lesen, die ich lesen möchte": Biographien, Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert und Goethe. Außerdem wird Braeuer-Achatz weiterhin bei den Grafinger Bürgerinnen aktiv sein, sich als Expertin unter anderem liebevoll um das Restaurieren von Krönchen und Riegelhauben kümmern.

Die Nüsse aus Saint Marcellin wird es weiterhin geben - wie auch all die anderen "ehrenamtlichen Sachen". (Foto: Christian Endt)

Und die Nüsse? Die stammen aus Grafings Partnerstadt Saint Marcellin, und ihr Verkauf gehört genauso zu jenen "ehrenamtlichen Sachen" wie die Lose fürs Entenrennen, die Karten für die Atteltaler oder die Bänder für die Weihnachtsbaumabhol-Aktion. Der Fortbestand von all diesen Dienstleistungen ist Catrin Braeuer-Achatz so wichtig, dass sie ihn sich hat garantieren lassen. "Das gehört einfach zu einer lebendigen Ortsbuchhandlung dazu."

Zum Abschied gibt es am Samstag einen Umtrunk mit Musik

Wie auch das Feiern. Genau das soll am Samstag, 18. Februar, ab 10 Uhr im Laden im Vordergrund stehen. Zwar bleibt für alle, die ganz dringend noch eine Wochenendlektüre benötigen, bis mittags die Kasse offen - jenes altehrwürdige Utensil, welches in Ehren zu halten schon die Eltern der kleinen Catrin einschärften: "Die war so teuer wie ein Kleinwagen."

Für einen irgendwie gearteten Schlussverkauf kommt die Kasse indes nicht zum Einsatz: "Es geht ja alles weiter", sagt Braeuer-Achatz. Stattdessen wird es einen Umtrunk und Gespräche im Kreis von Familie, Freunden, Kundinnen, aktuellen und früheren Mitarbeitenden und natürlich den Nachbarn geben - und Musik: Um 10.30 Uhr spielen Sepp Ametsbichler und Freunde, um 14 Uhr treten Rudi Baumann und Freunde auf.

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