Grundschulreform:Erstklässler im Viervierteltakt

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Klangstäbe als Alien-Fühler: Musikunterricht mit Fantasie in der ersten Klasse der Eglhartinger Grundschule. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Pisa bringt die kreativen Schulfächer in Gefahr - dabei können gerade sie ein entscheidender Bildungsbaustein sein. Die "Musikbegeisterte Grundschule" Eglharting ist ein schönes Beispiel dafür.

Von Alexandra Leuthner, Kirchseeon

Welch eine Ironie: 140 "Musikbegeisterte Grundschulen" hat die bayerische Staatsregierung am vergangenen Mittwoch ausgezeichnet - also just in einer Woche, in der die neue Kultusministerin händeringend versucht hat, ihre Pläne für eine Grundschulreform zu verteidigen. Die, so fürchten zumindest die 200 000 Unterzeichner einer Petition, mit Einschränkungen in den kreativen Fächern Kunst, Werken und Musik einhergehen wird. Zugunsten von Deutsch und Mathematik - denn in der nächsten Pisa-Studie sollen bayerische Schüler unbedingt besser abschneiden.

Musikbegeisterte Grundschulen aber setzen ihre Schwerpunkte etwas anders, was sich am Beispiel Eglharting beobachten lässt. Die Schule gehört zu jenen, die nun für ihr besonderes Engagement im Bereich der musikalischen Bildung ausgezeichnet wurden. Das Schreiben vom Kultusministerium hatte man schon im September erhalten, unterzeichnet vom damals noch amtierenden Minister Michael Piazolo. Nicht zuletzt bei der Feierstunde in der Münchner Residenz hat sich seine Nachfolgerin Anna Stolz nun um Deeskalation bemüht: Die Reform werde nicht zulasten der kreativen Fächer gehen, versprach sie. Doch Zweifel sind angebracht, irgendwo müssen die zusätzlichen Stunden ja herkommen.

Einmal pro Woche kommt Annett Stärk von der Musikschule Ebersberg in die Klasse

Wie aber sieht es aus, wenn eine Grundschule "musikbegeistert" ist? Mögen es Kinder überhaupt, in der Klasse zu singen? Die Antwort geben die Erstklässler in Eglharting selbst: Sie sind mit Freude und Eifer dabei, wenn Annett Stärk von der Musikschule Ebersberg einmal in der Woche zu Besuch ist. Um halb elf betritt sie an diesem Vormittag den Musikraum, der sich schon deshalb von normalen Klassenzimmern unterscheidet, weil er voller Instrumente ist.

Gitarren, Bongos und anderes Schlagwerk machen gleich Lust aufs Probieren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Besondere an diesen Musikstunden ist auch, dass die Klassenlehrerin nicht vorne steht. Ursula Bertram-Za hat sich hinten auf einen der kleinen Stühle gesetzt, von wo sie ihre Schützlinge gut im Griff hat - ein unschätzbarer Vorteil für die externe Musiklehrerin, die sich so auf die vielen kleinen Finger konzentrieren kann, die sich hochrecken, wenn sie fragt: "Und? Wer kann es am besten?" Lange warten muss sie auf die Antworten nicht.

Mit Zischlauten steigt sie ins Geschehen ein, lässt die Kinder nachsprechen, "sch, sch, sch" und "ss, ss, ss", sie singt Töne in verschiedenen Höhen vor, dann Verse eines Lieds - mit sehr vielen Silben. Und die Kinder folgen ihr, immer wieder, ein paar mal üben, und schon schaffen sie es, die Sätze nachzusingen. Vielleicht nicht ganz so wie der Tölzer Knabenchor, aber darum geht's ja auch gar nicht, sondern darum, dass die Kinder sich "Text über Musik" merken, dass die Wörter durch Rhythmus und Melodien ins Sprachzentrum gespült werden. "Das rutscht über die Musik in eine andere Ebene", wird Stärk nach der Unterrichtsstunde erklären.

Lernen auf spielerischer Ebene: Musiklehrerin Annett Stärk und eine Schülerin klatschen gemeinsam einen Rhythmus und singen dazu. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass Annett Stärk neben Gesang auch Schauspiel studiert hat, kommt ihr beim nächsten Lied zugute: Die Kinder liefern ihr Ideen für verschiedene Rollen, in die sie schlüpfen soll: Einen Polizisten, ein Baby oder einen alten Mann soll sie mimen, die Kinder kichern, als Stärk das Baby mit Piepsstimme von der "Musik im Blut" singen lässt.

Ganz spielerisch lernen die Schüler dabei auch, ihre Vorschläge sauber zu formulieren: nicht Polizeimann, sondern Polizist. Stärk verbessert, glättet und sorgt so dafür, dass die Kinder an ihrer Ausdrucksfähigkeit arbeiten, dass sie mitdenken. "Was für ein Orchester sind wir?", fragt sie: "Ein Waldorchester", bekommt sie als Antwort, "ein Alien- und Specht-Orchester" ruft ein anderes Kind. Klar, darum ging es: Bäume, Spechte und Aliens. Zuhören lernen.

Trommeln, Klatschen, Rhythmus schlagen - nicht für jeden ist das eine Selbstverständlichkeit, aber mit jedem Mal üben wird es besser. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit Klangstäben und Plastikrohren darf das kleine Orchester dann einen Rhythmus klopfen, für den "Groove" sorgen. Solche Fachausdrücke streut die Musiklehrerin durchaus ein, schadet ja nicht, die schon mal gehört zu haben. Wie viele Worte und Formulierungen die Kinder tatsächlich im Gedächtnis behalten, wenn sie ihnen mit einer Melodie vermittelt werden, zeigt sich beim Lied von der Wetterhexe, das die Erstklässler vorschlagen. "Das könnt ihr doch gar nicht mehr", ruft Stärk - schon im Herbst, gleich nach Schulanfang, haben die Kinder es gelernt. Postwendend kommt von einem Mädchen zurück: "Ich kann das noch ganz auswendig." Die Lehrerin lächelt, während sie die passenden Moll-Akkorde am E-Piano anschlägt, und tatsächlich singen alle mit.

Der Text sitzt, obwohl das Lied schon vor Monaten gelernt wurde. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nachdem die Klassenlehrerin ihre Schüler hinausgeleitet hat, kommt Konrektorin Silvia Guth-Ransmayr ins Zimmer. Schade, sagt sie, dass nur die Kleinen in den Genuss des externen Singklassenprojekts kämen, das die Gemeinde finanziere. Zum einen für die Grundschullehrer, denn für viele von ihnen sei der Musikunterricht eine Herausforderung: "Viele halten sich für unmusikalisch." Doch noch viel wichtiger sei dieser - und eigentlich jeder - Musikunterricht in der Schule für die Schüler selbst. "Damit erreichen wir nämlich alle Kinder, nicht nur diejenigen, deren Eltern das ohnehin fördern", sagt die Konrektorin. "Wir haben hier einen Spiegel der Gesellschaft", ergänzt Stärk, "das sollte man nützen."

Und beide Pädagoginnen weisen noch auf weitere Aspekte hin: Musik sei Miteinander, Gemeinschaft, "Musikunterricht ist vor allem auch Persönlichkeitsbildung", sagt Guth-Ransmayr. Nichts sei doch schöner, als wenn beim klassenübergreifenden Weihnachtssingen alle Eglhartinger Schüler in ein gemeinsames Lied anstimmten, oder wenn beide Kirchseeoner Grundschulen und die Mittelschule zum jährlichen Sommerfest zusammenkämen.

Silvia Guth-Ransmayr ist überzeugt vom vielfältigen Wert des Musikunterrichts in der Schule. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

1000 Euro sind übrigens mit der Auszeichnung vom Ministerium verbunden, in Eglharting soll das Geld unter anderem in Ausleih-Instrumente oder Notenbücher investiert werden. Sie fühle sich jedenfalls nun neu motiviert, noch mehr für die Musik an ihrer Schule zu tun, sagt Guth-Ransmayr.

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