Schüler aus der Ukraine:Integration am Feuerwehrschlauch

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Michael Bauer, Gerätewart bei der Freiwilligen Feuerwehr Kirchseeon, und Nachwuchs-Talent Kostya an der Löschspritze. (Foto: Christian Endt)

An zwei Tagen lernen Schülerinnen und Schüler, die mit ihren Familien aus der Ukraine geflohen sind, die Arbeit der Kirchseeoner Feuerwehr kennen. Für viele ist das eine ganz neue Erfahrung.

Von Mohamad Alkhalaf, Kirchseeon

Der kleine Kostya hält zum ersten Mal einen Feuerwehrschlauch in seinen Händen. Man muss nur in die Augen des Buben schauen, um zu erahnen, was das für ihn bedeutet. Er darf selbst das Spritzen mit dem Feuerwehrschlauch ausprobieren - mit etwas Mithilfe eines Profis. Kostya möchte den Schlauch gar nicht mehr aus den Händen geben. Zwei Tage, insgesamt zwanzig Kinder - und mehrere Feuerwehrmänner, die Einblicke in ihre Arbeit geben. Die Buben und Mädchen haben gemeinsam, dass sie Anfang des Jahres mit ihren Familien vom Krieg in der Ukraine geflüchtet sind - und nun in Kirchseeon zur Schule gehen. An diesem Tag aber sitzen sie nicht im Klassenzimmer, sondern machen sich mit der Brandschutz-Ausrüstung und den Feuerwehrautos vertraut.

Am ersten Tag besuchen russischsprachige ukrainische Kinder der Offenen Ganztagsschule und drei deutschsprachige 2A-Schüler die Freiwillige Feuerwehr Kirchseeon. Unter der Leitung des Kircheeoner Gerätewarts Michael Bauer lernen sie, was bei einer Freiwilligen Feuerwehr los ist, wenn es Ernst wird. Alles beginnt bei der Notrufnummer 112. Der Feuerwehrmann am Telefon wird ein paar wichtige Fragen stellen, um herauszufinden, wohin er die Feuerwehr schicken soll und was dort los ist, erklären die Kirchseeoner Einsatzkräfte. Er wird fragen, wo der Notfallort ist, was dort passiert ist, wie viele Menschen betroffen beziehungsweise verletzt sind und wer angerufen hat oder welcher Name an der Haustür des Notfallorts steht.

"Am liebsten würde ich mit dem Feuerwehrauto in die Ukraine fahren, um die Häuser zu löschen"

Wer sich traut, darf schließlich sogar ins Feuerwehrauto klettern. "Das ist ganz schön hoch, aber die Aussicht ist toll", sagt der kleine Iio. Mikola aus der Klasse D3/4 schaut dagegen etwas skeptisch. Sie erzählt, dass sie der Anblick des Feuerwehrautos an ihr Zuhause in der Ukraine erinnere. An die Bombe, die auf das Haus ihres Nachbarn gefallen sei. An die Flammen. "Am liebsten würde ich mit dem Feuerwehrauto in die Ukraine fahren, um die Häuser zu löschen, die wegen dem Krieg brennen", sagt sie.

Mikola am Lenkrad des Kirchseeoner Feuerwehrautos. (Foto: Christian Endt)

Die nächste Lektion: Brandschutzerziehung. "Lösche einen Fett- oder Ölbrand nie mit Wasser", erklärt der Mann von der Feuerwehr. Wasser lässt einen Fett- oder Ölbrand regelrecht explodieren und sich ausbreiten. Deswegen verwenden die Feuerwehrler hierfür eine Löschdecke. Mit einem Feuerlöscher lässt sich ein kleiner Brand löschen, bei brennendem Papier oder Möbeln sei dagegen Wasser zu empfehlen. Für die Kinder haben die Kirchseeoner Feuerwehrler noch einen wichtigen Hinweis: Sie sollen sich im Brandfall nicht verstecken, wenn sie die Feuerwehrleute sehen, sondern sich stattdessen bemerkbar machen.

Beim Sprung aus dem zweiten Stock erhöht sich das Körpergewicht um das Achtfache

Nun geht es um das Thema Sprungtuch. Es ist in etwa so groß wie eine Hüpfburg, vier mal vier Meter - wobei es hier nicht um Gaudi geht, sondern im Zweifel um Leben und Tod - und entsprechend aufmerksam lauschen die Kinder den Ausführungen des Feuerwehrlers. Wenn eine Person aus dem zweiten Stock springt und in einem Sprungtuch landet, hat deren Körper unten etwa das Achtfache des normalen Gewichts. Bei einem hundert Kilo schweren Mann ist es demnach fast eine Tonne.

David ist in der Klasse D2, er lebt bei seiner Mutter und Großmutter. Was er hier bei der Feuerwehr gelernt und gesehen habe, sagt er, "das werde ich meiner Mutter erklären". David erzählt, dass seine Mama taubstumm sei - und deswegen im Falle eines Feuers besonders gefährdet ist.

Die Gruppe vom ersten Tag bei der Freiwilligen Feuerwehr Kirchseeon. (Foto: Christian Endt)

Am zweiten Tag des Kinder-Workshops übernehmen Kirchseeons erster Kommandant Bernhard Hunscha und Feuerwehrmann Daham Aljaffal. Es geht nun um die Schutzkleidung. Die Buben und Mädchen können die Ausrüstung eines Feuerwehrmanns gerade so in beiden Händen hochhalten. "Ist das schwer", flüstert ein Bub. Dann sind alle Augen auf die dystopisch anmutenden Atemschutzgeräte gerichtet. Dabei dürfen sie auch eine Sauerstoffflasche halten und merken schnell, wie viel Gewicht ein Feuerwehrmann bei einem Einsatz tragen muss. "Das Atemschutzgerät und die Feuerwehrjacke ist schwerer als gedacht", sagt Daria. Sie ist sechs Jahre alt und besucht seit einem halben Jahr die Kirchseeoner Grundschule in der Klasse D1. Auch sie betätigt sich am Feuerwehrschlauch und zeigt durchaus Talent.

Michael Bauer mit Daria. (Foto: Christian Endt)

Feuerwehrmann Daham Aljaffal arbeitet im Awo-Haus für Kinder Baldham als Kinderpfleger. Er stammt aus Syrien und hat wie die ukrainischen Kinder eine Fluchtgeschichte hinter sich, wenngleich er länger unterwegs war - und seine Flucht inzwischen mehr als sechs Jahre zurückliegt. Anfangs in Deutschland glaubte Aljaffal, dass man eine lange Ausbildung machen muss, um den Beruf des Feuerwehrmanns erlernen zu können. Die Möglichkeit einer Freiwilligen Feuerwehr war ihm neu. Als er in seinen ersten Tagen die deutschen Feuerwehrleute sah, waren sie ihm sympathisch. Er wollte sich irgendwie bei ihnen bedanken oder sie gerne kennenlernen.

Als er erfuhr, dass diese ganze Tätigkeit freiwillig war, bot er seine Dienste an. Er beschreibt seine Arbeit als "das Mindeste, das er für Deutschland tun kann". Er berichtet, wie wichtig es gerade anfangs sei, die Anweisungen der erfahrenen Kollegen penibel zu beachten. Er sagt: "Das Zauberwort heißt Wiederholung."

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