Vergessener Widerstand:Was passiert, "wenn man die falschen Leute wählt"

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Die Rechercheergebnisse zum Todeszug von Mühldorf über Poing und Markt Schwaben nach Tutzing sind ein Teil der Ausstellung im Heimatmuseum. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Ausstellung im Markt Schwabener Heimatmuseum erinnert an mutige Menschen, die nach der NS-Machtergreifung für ihre demokratische Gesinnung viel riskiert haben. Die Schau soll aber auch ein Beitrag zur aktuellen politischen Debatte sein.

Von Alexandra Leuthner, Markt Schwaben

Als Egid Gerstmayer an jenem Sonntag gegen viertel nach zwei Uhr nachmittags den Platz des FC Falke Markt Schwaben verlässt, ahnt er vermutlich, dass dieser Auftritt für ihn nicht folgenlos bleiben wird. Das Spiel der Markt Schwabener gegen die zweite Mannschaft aus Ebersberg findet am 5. November 1933 statt. Zu dieser Zeit verabschiedet man sich von seinen Gegenspielern auf dem Fußballplatz nicht mit Handschlag und freundschaftlichem Schulterklopfen, sondern aufgestellt in Reih und Glied und mit der ausgestreckten Rechten. Auch vor dem Spiel haben sich die Sportler gegenseitig den sogenannten "Deutschen Gruß" zu entbieten.

Der 24-jährige Gerstmayer, Telegrafenmonteur und ehemaliges Mitglied des bereits Mitte März 1933 von den Nationalsozialisten aufgelösten sozialdemokratischen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, ist schon zu spät auf den Platz gekommen, nach Startaufstellung und Hitlergruß. Mit Vorsatz. Er sei immer ein Nazigegner gewesen, wird seine jüngere Schwester Irmgard Blasi später berichten. Doch als er sich gleich nach Abpfiff verdrücken will, pfeift ihn der Vereinsvorsitzende zurück, macht ihn "auf sein ungebührliches Verhalten aufmerksam". Der junge Mann wird in die Reihe zurückbeordert, wo er "mit herabhängenden Armen" die vorgeschriebene Prozedur über sich ergehen lässt. Und das vor mehr als 200 Zuschauern aus Ebersberg, Markt Schwaben und sogar München.

In Markt Schwaben zeigt das Heimatmuseum aus aktuellem Anlass einige Tafeln zum "Vergessenen Widerstand" , recherchiert von Gymnasiasten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nachzulesen ist dies alles auf einem Plakat, das ab Sonntag im Markt Schwabener Heimatmuseum zu sehen ist, und in der schriftlichen Anzeige gegen Gerstmayer, die dort abgebildet ist. Der genannte Vereinschef Josef Haushofer - eine Straße in der Marktgemeinde ist nach ihm benannt -, schickt sie zwei Tage nach dem Fußballspiel an die Gendarmeriestation Markt Schwaben, sämtliche Personenstandsdaten des Fußballers gleich mit liefernd; schließlich habe der schon zuvor "durch sein Verhalten wiederholt Anstoss erregt".

Doch Gerstmayer hat mehr Glück als andere, die durch ihre offene Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen auf sich ziehen. Er kommt mit einer amtlichen Verwarnung davon. Nur den Sportplatz darf er fortan nicht mehr betreten.

Den Schreiner Kaspar Brod trifft es noch schlimmer

Ihm und anderen, die offen oder versteckt gegen die Nazis rebelliert haben, ist die Ausstellung "Vergessener Widerstand in Markt Schwaben und Umgebung 1933 bis 1945" gewidmet, die das Heimatmuseum Markt Schwaben nun bis September zeigt. Die acht Tafeln erzählen etwa vom 26-jährigen Alois Fleischmann, der sich weigert, in den "freiwilligen Reichsarbeitsdienst" einzutreten, verhaftet und schließlich ins KZ Dachau gebracht wird. Er kommt zwar wieder frei, doch wohl aufgrund seiner politischen Haltung - er steht der SPD nahe -, wird seine Wohnung später zwangsgeräumt, die Familie muss in einen Bauwagen ziehen. Den Schreiner Kaspar Brod trifft es noch schlimmer. Von dem 53-Jährigen, 1918/19 Abgeordneter Markt Schwabens im Münchner Räteparlament und anschließend fünf Jahre Gemeinderat in Markt Schwaben, verliert sich nach seiner Verhaftung 1933 und seiner Inhaftierung im Polizeigefängnis München jede Spur.

Die Schicksale von sieben Markt Schwabener "Widerständlern" zeichnet die Ausstellung nach, beleuchtet anhand von Fotos, Originaldokumenten und Erzählungen, wie sich das System von Überwachung und ideologisch geleiteter Rechtsausübung in Markt Schwaben im ersten Jahr der NS-Herrschaft verfestigte. In einem zweiten Teil dokumentiert sie die Geschehnisse um jenen Todeszug, der noch Ende April 1945 KZ-Häftlinge vom Dachauer Außenlager in Mühldorf über Markt Schwaben und Poing nach Tutzing bringen sollte. Mehr als 50 von ihnen kamen bei einem Massaker in Poing um.

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Die Exponate sind Teil einer umfangreichen Sammlung von historischen Zeugnissen, die unter dem Titel "Vergessener Widerstand" inzwischen 40 Tafeln umfasst und von Schülern des Markt Schwabener Gymnasiums seit 2005 zusammengetragen wurde. Heinrich Mayer, ehemaliger Lehrer für Geschichte am Franz-Marc-Gymnasium, hatte den Anstoß zur Gründung eines Arbeitskreises Politik und Zeitgeschichte gegeben, zunächst nur, um mehr über die Umstände des Todeszugs herauszufinden.

Max Mannheimer, Überlebender des Konzentrationslagers Dachau und bis zu seinem Tod 2016 unermüdlich als Zeitzeuge in Schulen unterwegs, war selbst Insasse des Todeszugs und hatte Kontakt zu den Markt Schwabener Gymnasiasten aufgenommen. Die Weiße-Rose-Stiftung unterstützt die Recherchearbeit seit langem, sie findet seit Mayers Ausscheiden aus dem Schuldienst unter der Leitung von Geschichtslehrerin Anna Niedermaier ihre Fortsetzung.

Der frühere Geschichtslehrer am Franz-Marc-Gymnasium, Heinrich Mayer, hatten den Anstoß zur historischen Spurensuche in Markt Schwaben gegeben. (Foto: Christian Endt)

Dass die Ausstellung aber mehr als Erinnerung sein soll, nämlich ein Appell für eine differenzierte und achtsame öffentliche Auseinandersetzung - auch und gerade in Markt Schwaben, wo soeben der Bürgermeister zurückgetreten ist - betont Bernd Romir, Leiter des Heimatmuseums. Wie berichtet, hatte Michael Stolze wohl auch als Reaktion auf Vorwürfe gegen seine Person wegen einer in der Marktgemeinde geplanten Flüchtlingsunterkunft am Mittwoch erklärt, er fühle sich den Anforderungen des Amts nicht mehr gewachsen. Es gebe doch zu denken, sagt Romir, der 30 Jahre lang im Markt Schwabener Gemeinderat saß, dass nach Bernhard Winter und Georg Hohmann nun Stolze der dritte Rathauschef sei, der das Ende seiner Amtszeit nicht oder nur mit gesundheitlichen Problemen erreiche.

Doch auch über Markt Schwaben hinausblickend sei es die richtige Zeit, mit dem Museum ein Zeichen zu setzen - wenn man sich anschaue, wie Hunderttausende Menschen derzeit auf die Straße gingen, um gegen rechtsextreme Tendenzen zu demonstrieren, so Romir. "Wir vom Museum können die Dinge von der anderen Seite beleuchten. Wir können zeigen, wie es ausschaut, wenn es zu spät ist, wenn wirklich wieder ein Unrechtsregime die Macht ergreifen sollte - wenn man die falschen Leute wählt."

Heimatmuseum Markt Schwaben, Öffnungszeiten: Jeden ersten Sonntag im Monat von 14 Uhr bis 17 Uhr und jeden dritten Montag im Monat von 18 Uhr bis 20 Uhr.

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