Zeitgeschichte im Landkreis:Vergangenheit und Zukunft

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Die Frage, ob die Dr.-Wintrich-Straße in Ebersberg, im Hintergrund die gleichnamige Realschule, ihren Namen behalten kann, bleibt offen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ist der Ebersberger Richter Dr. Wintrich auch heute noch ein Vorbild? Die Grünen im Stadtrat würden darüber gern diskutieren - aber erst in zwei Jahren.

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Die Frage, was jemand geleistet haben muss, damit diese Person ein Vorbild für die Nachwelt ist, lässt sich sehr unterschiedlich beantworten. Vor allem wurde sie zu unterschiedlichen Zeiten sehr unterschiedlich beantwortet. Darüber, ob das auch beim Ebersberger Juristen Josef Wintrich der Fall ist, nach dem in der Kreisstadt immerhin eine Straße und die Realschule benannt sind, würde die Stadtratsfraktion der Grünen gerne diskutieren - man ist sich aber nicht sicher, wann. Bereits zum zweiten Mal wurde nun ein entsprechender Antrag sehr kurzfristig von der Tagesordnung genommen - mögliche Wiedervorlage diesmal: Anfang 2026.

Hintergrund ist ein aktuelles Forschungsprojekt am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) über die ersten Richter am Bundesverfassungsgericht - und deren Handeln während des Nationalsozialismus. Darunter ist auch Wintrich, der seit 1953 Verfassungsrichter und seit 1954 bis zu seinem Tod 1958 auch Vorsitzender des höchsten Gerichts der Bundesrepublik war. Dass in Ebersberg eine Straße und eine Schule nach ihm benannt sind, liegt daran, dass Wintrich den Ruf genoss, sich auch mit den Nazi-Machthabern angelegt zu haben. Etwa indem er 1933 als Staatsanwalt am Landgericht München Aufklärung über die hohe Zahl der Todesfälle im KZ Dachau forderte - und dafür prompt ans Ebersberger Amtsgericht strafversetzt worden sei.

Ein überzeugter Anhänger der Nazis war Wintrich wohl nicht

Im vergangenen Sommer wurden erste Ergebnisse des IfZ-Projektes bekannt, in einem Interview mit der SZ Ebersberg äußerte die Historikerin Eva Balz Zweifel an der bislang gültigen Vita Wintrichs: "Aus den Akten, die ich bislang einsehen konnte, tritt Wintrich eher als eine Person hervor, die sich den Anforderungen des Nationalsozialismus durchaus anpasste, um seine berufliche Laufbahn nicht zu gefährden." Ein überzeugter Anhänger der Nazis war Wintrich wohl nicht, so trat er nie in die Partei ein, und zwei Gerichtsverfahren im Jahr 1947, die sich mit einer möglichen Mittäterschaft befassten, gingen "für Wintrich glimpflich aus", so Balz. "Dies hat natürlich damit zu tun, dass die Vorstellung darüber, was ein ,Mitmachen' ausmachte, zeitgenössisch weit von dem entfernt war, was wir heute darunter verstehen."

Und genau an der Stelle setzt der Antrag der Grünen an - gestellt zwei Tage nach Erscheinen des Interviews. "Es war uns wichtig, das Thema schnell in die Öffentlichkeit zu bringen", sagt Grünen-Fraktionssprecherin Petra Behounek. Dass man es damit möglicherweise ein bisschen übertrieben hat, räumt sie aber auch ein: "Vielleicht haben wir uns das schneller vorgestellt."

"Das" ist in dem Fall der Abschluss des IfZ-Forschungsprojektes, bereits im Oktober wurde der Antrag vertagt, weil dieses Ergebnis noch nicht vorliegt. Mit dem gleichen Argument erfolgte nun auch die erneute Nichtbefassung mit dem Antrag - die Grünen-Stadtrat Michael Schulte-Langforth gleich mit einer Anfrage für einen neuen Termin verband: Man habe sich beim IfZ erkundigt, wie lange die Forschungsarbeit zu den Verfassungsrichtern denn noch dauern würde und die Antwort erhalten, dies sei gegen Ende 2025 der Fall. Daher solle man den Antrag doch Anfang 2026 wieder auf die Tagesordnung bringen.

Es ist unklar war, was überhaupt beantragt wurde

Eine solche Umterminierung ins übernächste Jahr sei nicht möglich, so Hauptamtsleiter Erik Ipsen, die Grünen könnten ihren Antrag entweder zurückziehen oder einen Geschäftsordnungsantrag zur Nichtbefassung stellen. Letzteres tat Schulte-Langforth schließlich, nicht ohne anzumerken, dass es eigentlich gar nicht um den Antrag seiner Fraktion gehe. Denn in der Sitzungsvorlage sei die Rede davon, dass es "keine Gründe für eine Straßenumbenennung" - also der Dr.-Wintrich-Straße - gebe. Eine solche hätten die Grünen aber nie gefordert.

Wie Behounek erklärt, habe man überhaupt keine konkreten Maßnahmen beantragt. Es sei in dem Antrag lediglich darum gegangen, dass die Vita Wintrichs genau untersucht werde. Welche Folgen sich daraus ergeben, sei komplett offen, so Behounek weiter: "Vielleicht passiert auch gar nichts."

Wieso in der Sitzungsvorlage - übrigens schon zum zweiten Mal, im Oktober war dies aber offenbar niemandem aufgefallen - von einer Straßenumbenennung die Rede ist, kann sich auch Bürgermeister Ulrich Proske (parteilos) nicht erklären. Dem Geist des Antrages habe die Stadt indes auch ohne Beschluss Rechnung getragen und sich bei Kreisarchivar und Leiter des Grafinger Stadtmuseums, Bernhard Schäfer, und bei Kreisheimatpfleger Thomas Warg nach Josef Wintrich erkundigt. Da sei eben herausgekommen, dass sich die beiden gegen eine Umbenennung der Dr.-Wintrich-Straße ausgesprochen hatten.

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:Karriere ohne Knick

Der spätere Verfassungsrichter Josef Wintrich galt als einer, der sich auch im Nationalsozialismus nicht scheute, Haltung zu zeigen. Ein neues Forschungsprojekt wirft nun ein anderes Licht auf seine Person. Historikerin Eva Balz über einen Mann, der seine berufliche Laufbahn nie in Gefahr brachte.

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