Impfzentrum:"Ich bin glücklich und dankbar, dass ich dabei sein durfte"

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Liam Klages und Laura von Winterfeld in der früheren Schalterhalle, in der so viele Menschen auf ihre Impfung gewartet haben. (Foto: Christian Endt)

Nach zwei Jahren schließt das Ebersberger Impfzentrum. Die Bilanz: 190 000 Impfungen, viele Herausforderungen - und viele neue Freundschaften. Ein letzter Rundgang mit Liam Klages und Laura von Winterfeld.

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Das graue Sofa ist noch da, es steht im Büro im Erdgeschoss, umgeben von Umzugskisten. So manche Nacht hat Liam Klages darauf verbracht, damals in den ersten, intensiven Monaten des Ebersberger Impfzentrums. Klages, zu der Zeit gerade erst 20, hat es aufgebaut und ein Jahr lang selbst geleitet, Pionierarbeit geleistet und dabei ein bisschen Zeitgeschichte mitgeschrieben. Ende des Jahres wird das Impfzentrum seine Türen schließen, das Sofa wird weggebracht, ebenso wie die Stühle, die in der früheren Sparkassen-Schalterhalle für die hoffnungsvollen Impflinge bereit standen. Die Impfkabinen werden wieder wie gewöhnliche Büros aussehen. Trotz der vielen 14-Stunden-Tage und Sieben-Tage-Wochen blickt Klages nun auch mit Wehmut auf die vergangenen zwei Jahre zurück. "Es war die arbeitsintensivste, aber bisher auch schönste Zeit in meinem Leben", sagt er.

Wie eine wilde Achterbahnfahrt, mit Höhen und Tiefen, jedenfalls höchst aufregend, muss es wirken, was im Dezember 2020 begonnen hat. Liam Klages bekam einen Anruf vom Landratsamt, dass die Firma Tresec, die er zusammen mit einem Freund gegründet hatte, den Zuschlag für den Betrieb des Impfzentrums erhalten hatte - eine Aufgabe, die es zuvor nicht gab, in einer Einrichtung, wie sie zuvor nicht existierte. Bevor er am nächsten Tag zur Lagebesprechung ins Landratsamt fuhr, packte Klages das Auto voll, "alles, was ich zum Leben brauche, dazu noch einen Werkzeugkasten und eine Bohrmaschine".

Angefangen hatte alles mit vier hoffnungsvollen Impflingen

Eine weise Entscheidung, denn seine eigene Wohnung in Pullach sah Klages in den Monaten darauf nicht allzu oft, und wenn dann nur sehr kurz. In der Silvesternacht 2020 arbeitete Klages bis 21 Uhr und ging dann völlig erschöpft ins Bett, am Neujahrsmorgen stand er um 6 Uhr schon wieder im Impfzentrum. Bis Ende März 2021 arbeitete er durch, ohne Pause. Dass er so jung war - eine Tatsache, die damals deutschlandweit Aufsehen erregte - dürfte ihm eher geholfen haben, diese Anstrengungen gut zu überstehen.

Laura von Winterfeld ist Verwaltungsleiterin im Impfzentrum geworden. Dass sie das wunderbar machen würde, daran hatte ihr Chef Liam Klages keine Zweifel. (Foto: Christian Endt)

Angefangen hatte die Impfkampagne in Ebersberg fast ein bisschen feierlich. Am Sonntag nach den Weihnachtsfeiertagen 2020 trafen die vier ersten Impflinge im Impfzentrum ein, Senioren aus der Kreisstadt und der Umgebung, alle gut bekannt an ihren Wohnorten. Das Landratsamt hatte sie ausgewählt und dabei auch ein bisschen auf ihre Wirkung als Multiplikatoren gesetzt. Letztlich gingen aber nur zwei von ihnen geimpft wieder nach Hause: Ebersbergs ehemaliger Feuerwehrkommandant August Paul und der frühere Grafinger Hausarzt Konrad Seidl. Medizinische Gründe verhinderten zunächst die Impfung der beiden anderen Freiwilligen.

Mit vier Impfwilligen ging es am Sonntag nach Weihnachten 2020 los. In den Wochen darauf herrschte in der früheren Schalterhalle meist sehr viel mehr Trubel. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gerade in den ersten Wochen war der Gang zum Impfen für die Menschen etwas ganz Besonderes. Zum einen kam man damals wegen der Ausgangsbeschränkungen ja kaum unter die Leute, es gab im Prinzip keinen Grund, außer Haus zu gehen, außer zum Einkaufen. Zum anderen verhieß die Impfung natürlich auch große Hoffnung: Hoffnung darauf, dass das Leben irgendwann einmal wieder normal werden könnte. Meist lange vor ihrem Impftermin kamen die vorwiegend älteren Menschen damals ins Impfzentrum, freuten sich, alte Freunde wiederzutreffen, sahen das Ganze als erfreulichen Event im drögen Corona-Grau, erinnern sich Liam Klages und die heutige Verwaltungsleiterin Laura von Winterfeld, die damals schon als Mitarbeiterin mit im Boot war. Das brachte die Mitarbeiter oft ins Schwitzen, denn die Platzkapazitäten für die Wartenden waren begrenzt, und Gedrängel im Impfzentrum wäre schließlich ganz schön kontraproduktiv gewesen.

Gerade ältere Menschen kamen gern in Tracht oder Anzug - schließlich war es ein besonderer Anlass

Unterschätzt habe man damals auch die zeitlichen Abläufe, erzählt von Winterfeld. Unter anderem deshalb, weil die Impflinge zu ihrem großen Moment auch angemessen gekleidet erscheinen wollten: Viele zogen extra eine Tracht oder einen Anzug an, was zur Folge hatte, dass es eine Weile dauerte, bis der Impfarm freigelegt war. Beim nächsten Mal lieber weniger schön, dafür praktischer gekleidet: Diese Bitte gab man so manchem Besucher für die Zweitimpfung mit auf den Weg.

So gemächlich ging es in den Monaten danach in den Räumen des früheren Sparkassenhauptsitzes freilich nicht weiter, denn der Ansturm war riesig, und die Impfstofflieferungen reichten zunächst nicht annähernd aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Wenn Impfstoff dann aber zu beschaffen war, wurden die Akteure im Landkreis einfallsreich: Gemeinsam stellten Marc Block, ärztlicher Koordinator in der Corona-Pandemie, die Mitarbeiter des Corona-Krisenstabs im Landratsamt und Liam Klages im Mai 2021 den ersten und größten Impftag im Landkreis auf die Beine. Damals gab es die von vielen ersehnte Spritze nicht nur in der Schalterhalle des Impfzentrums, sondern auch eine Etage drunter, in der Tiefgarage des Sparkassenbaus, und in der Volksfesthalle. Fast 3000 Menschen, die eigentlich zum damaligen Zeitpunkt mit einer Impfung noch nicht an der Reihe waren, erhielten die erste Dosis des Vakzins von Astra Zeneca, das bei jenen, die aufgrund ihres Alters oder einer Vorerkrankung schon ganz regulär zum Impfen gehen durften, zu dem Zeitpunkt schon lange sehr unbeliebt war.

Der erste und größte von mehreren Impftagen im Landkreis: Impfwillige warteten nicht nur in der Tiefgarage des Kreissparkassengebäudes... (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Überhaupt, der Impfstoff, ein ewiges Thema. "Mal zu wenig, dann zu viel, dann der falsche", sagt Klages. Am Anfang waren viele Menschen unzufrieden darüber, dass sie noch nicht an der Reihe waren - und versuchten, meist nicht besonders erfolgreich, sich vorzudrängeln. Sogar körperliche Angriffe auf Klages gab es bisweilen - gerade erst ist ein stadtbekannter Ebersberger deshalb vor dem Amtsgericht verurteilt worden.

Im Tresorraum gibt es kein Handysignal, das hat auch Vorteile

Das E-Mail-Postfach von Liam Klages quoll über, nicht immer habe es Spaß gemacht, sich morgens alles durchzulesen, erzählt der heute 22-Jährige. "Da waren viele persönliche Anfeindungen darunter, die Leute waren hoch emotional." Klages trat die Vorwärtsverteidigung an: "Ich habe die Leute angerufen, sie zu uns eingeladen und gefragt, wie man es ihrer Meinung nach besser machen könnte." Das habe den meisten den Wind aus den Segeln genommen.

Der Arbeitsalltag ermöglichte keine längere Auszeiten, aber immerhin kleine Fluchten: Klages schaute dann vom Vordach seines Büros im ersten Stock über die Stadt und auf die Wartenden vor dem Impfzentrum, "da konnte man kurz abschalten, wenn man zu viel um die Ohren hatte", sagt er. Laura von Winterfeld ging auch ganz gern mal in den früheren Tresorraum, um Impfstoff zu zählen oder in die Medikamentenkühlschränke nachzufüllen. Dort ist es nicht nur ruhig, die dicken Wände lassen auch kein Handysignal durch. "Man war kurz raus aus der Welt", sagt sie und lacht.

Insgesamt aber werden beide sehr gern an ihre Zeit in Ebersberg zurückblicken, nicht nur, weil sie und ihr Team viel geschafft haben: Fast 190 000 Impfungen wurden in den vergangenen zwei Jahren verabreicht. Viele der Kolleginnen und Kollegen sind in dieser Zeit zu guten Freunden geworden - das ist auch das erste, was Liam Klages ebenso wie Laura von Winterfeld sagen, wenn man sie nach ihren wichtigsten Erinnerungen aus den vergangenen zwei Jahren fragt. "Es sind Beziehungen und Freundschaften entstanden hier, es hängt viel dran. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich dabei sein durfte", sagt Klages. Auch von Winterfeld erzählt vom großartigen Zusammenhalt unter Kollegen, jung wie alt, von gemeinsamen Urlauben, von engen Freunden im Team, von tollen Kontakten aber auch darüber hinaus: zu Landratsamt, Polizei, Feuerwehr und vielen anderen.

Bald sind die letzten Kisten gepackt. An die vergangenen zwei Jahre hat Liam Klages vorwiegend positive Erinnerungen. (Foto: Christian Endt)

Nun ist die Zeit vorbei, Klages wird sich - nach einem Urlaub - neuen Aufgaben in seiner Firma widmen, die unter anderem im Rettungsdienst, in der Asylbetreuung und im Sicherheitsdienst tätig ist. Laura von Winterfeld will an die Uni zurückkehren und im September ihr Studium des Lehramts für Biologie und Chemie abschließen - danach, das ist schon ausgemacht, wird die 24-Jährige wieder zum Unternehmen zurückkehren.

Das Impfzentrum, das zwei Jahre lang in der Ebersberger Stadtgeschichte ein wichtiger Ort war, wird möglicherweise bald nur noch auf alten Fotos zu sehen sein: Der Landkreis will das Grundstück größtenteils verkaufen, das Gebäude soll abgerissen und durch einen kleineren Verwaltungsbau ersetzt werden.

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