An die letzten Tage einer älteren Dame erinnert sich Uschi Schäfer besonders eindrücklich. Es war im Herbst 2020. Die Frau, an Krebs erkrankt, hatte nicht mehr lange zu leben. Uschi Schäfer begleitete sie in dieser Zeit, indem sie zu ihr nach Hause kam, Gespräche führte. Weil sich ihr Zustand verschlechterte, musste die ältere Dame ins Krankenhaus, auf die Intensivstation. "Ihr Mann durfte sie tagelang nicht sehen", erzählt Schäfer, "erst am Schluss durfte er sie besuchen." Für den Mann, so erinnert sie sich, sei das äußerst belastend gewesen.
Uschi Schäfer arbeitet seit vier Jahren ehrenamtlich als Hospizbegleiterin beim Christophorus Hospizverein im Landkreis Ebersberg, begleitet todkranke und sterbende Menschen in ihren letzten Lebenstagen, zu Hause und auf der Palliativstation der Kreisklinik in Ebersberg. Ihr Job ist einer, der auch ihr viel abverlangt, und der an die Substanz gehen kann. Die Corona-Pandemie hat ihre Arbeit in vielen Teilen noch schwieriger gemacht. Die Hauptsache aber ist, so sieht Uschi Schäfer es, dass sie überhaupt wieder arbeiten kann.
Im März 2020, als der erste Lockdown über ganz Deutschland verhängt wurde, konnten die 53 Hospizhelferinnen und -helfer des Ebersberger Hospizvereins mehrere Wochen ihrer Arbeit gar nicht nachgehen - weder auf der Ebersberger Palliativstation oder in der Onkologischen Tagesklinik, noch in den Senioren- und Pflegeheimen oder bei den Menschen zu Hause. "Das war sehr schwer auszuhalten, und ich habe sehr darunter gelitten", sagt Uschi Schäfer. "Viele Patienten mussten allein sterben." Unterm Strich sieht sie das für die Angehörigen sogar als noch belastender an: Gerade für den Trauerprozess nach dem Tod eines geliebten Menschen sei es wichtig, Abschied genommen zu haben.
Für gewöhnlich besucht Uschi Schäfer bei ihrer Arbeit Menschen, die noch wenige Tage oder Monate zu leben haben, und leistet ihnen Gesellschaft. Manche, erzählt sie, wollten einfach nur reden. Nicht nur über ihre Situation, es wird auch schon mal ein lustiges Gespräch geführt. Oder Uschi Schäfer begleitet die Menschen auf Spaziergängen, die sie vielleicht allein nicht mehr schaffen würden.
Als dann im Frühjahr des vergangenen Jahres die ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen vorgenommen wurden, durften die Hospizbegleiter von Ende Mai an auch wieder ihre Arbeit in der Klinik aufnehmen. "Auch die Schwestern auf der Palliativstation waren sehr, sehr erleichtert, dass wir wieder da waren", berichtet Schäfer. "Ich bin heute noch wahnsinnig dankbar, dass die Einsicht da ist, wie wichtig die Öffnung der Palliativstationen für Hospizhelfer ist."
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Dennoch fanden im Jahr 2020 deutlich weniger Hospizbegleitungen in Ebersberg statt als im Vorjahr. 168 Menschen haben 2019 eine Begleitung in Anspruch genommen, 2020 waren es 125 - also beinahe 26 Prozent weniger. Auch in anderen Bereichen, in denen die Ehrenamtlichen des Vereins tätig sind, herrschte über das gesamte Jahr hinweg weitestgehend Stillstand.
So musste beispielsweise das Projekt "Hospiz und Schule", bei dem Hospizbegleiterinnen Schulklassen von ihrem Ehrenamt und dem Sterben erzählen, wegen Corona komplett ausfallen. "Das wird wohl auch in diesem Jahr so sein", sagt Christine Schlosser. Zusammen mit Birgit Deppe-Opitz koordiniert sie die Ehrenamtlichen des Vereins. Ebenso konnten verschiedene Angebote im Bereich der Trauerarbeit nicht stattfinden. So hat sich etwa die Trauergruppe wie bereits im Frühjahr 2020 seit nunmehr fünf Monaten nicht mehr getroffen.
Auch wenn die Hospizbegleiterinnen mittlerweile wieder im Einsatz sind - ihre Arbeit sieht dieser Tage anders aus als noch vor zwei Jahren. Corona ist eben immer noch da. So arbeitet Uschi Schäfer in der Klinik beispielsweise mit Einweghandschuhen. Dadurch kann sie etwa Handmassagen bei Sterbenden durchführen - ein Ritual, das oft beruhigend wirkt. Berührungen sorgen für eine Ausschüttung der so genannten Wohlfühl- und Bindungshormone Dopamin und Oxytocin, der Blutdruck geht runter, der Herzschlag wird ruhiger - kurz: Berührung führt zu Entspannung, auch bei Sterbenden. "Manchmal, wenn die Menschen in der Endphase des Sterbens liegen und nicht mehr sprechen können, ist Körperkontakt das einzige Mittel der Kontaktaufnahme", so Schäfer.
Die Regelungen, wer wen unter welchen Umständen und wie besuchen darf, sei für einen kleinen Hospizverein wie den in Ebersberg mit nur zwei Hauptamtlichen in Teilzeit schwer zu durchleuchten gewesen, sagt Christine Schlosser. Mit Unterstützung des Bayerischen Hospiz- und Palliativverbands haben sie dennoch ein Hygienekonzept erarbeitet und sich so allerlei einfallen lassen, wie ihre Ehrenamtlichen, als sie es wieder durften, trotz Maske und Co. eine Unterstützung für die Betroffenen bei persönlichen Treffen sein können. "Vor allem bei dementen Menschen ist es schwierig, ihnen zu erklären, dass wir eine Maske tragen müssen", so Birgit Deppe-Opitz. "Das ist ja auch zu ihrem eigenen Schutz." Manchmal brächten die Hospizbegleiterinnen nun ein Foto von sich mit. "Schauen Sie mal, so sehe ich ohne Maske aus." Das funktioniere eigentlich recht gut.
Was hingegen gar nicht gut funktioniert hat, das war das Kursangebot des Hospizvereins im vergangenen Jahr. Eigentlich gibt es sowohl im Frühjahr als auch im Herbst ein Grundseminar für alle Menschen, die sich mit den Themen Krankheit und Sterben auseinandersetzen möchten. Die zwei Angebote im Jahr 2020 sowie der Frühjahrskurs 2021 sind komplett ausgefallen. Ein im Juli 2020 gestarteter Aufbaukurs für die ehrenamtliche Arbeit als Hospizbegleiter musste von vergangenem Herbst an bis Ende Mai dieses Jahres pausieren - vier Wochenenden und 15 Abende, auch Praktika in Seniorenheimen sind Bestandteil des Kurses. Ende Juni wird er endlich abgeschlossen sein, dann können elf neue Hospizbegleiterinnen mit ihrer Arbeit beginnen.
Ihre Ausbildung gerade noch vor der Pandemie abschließen konnte Brigitte Habarta, das war Anfang 2020. Ihren Einstieg als Hospizhelferin hatte sich die Zornedingerin aber auch anders vorgestellt. Sie wollte vor allem sterbende Menschen zuhause oder in Heimen begleiten. "Meinen ersten Patienten habe ich noch unter Normalbedingungen kennen gelernt", erzählt sie, "dann kam Corona." Der Mann, den sie begleitete, verbrachte seine letzten Tage zuhause. Habarta durfte ihn von einen Tag auf den anderen nicht mehr besuchen, versuchte jedoch, den Kontakt via Telefon aufrechtzuerhalten. "Der Mann konnte zu dem Zeitpunkt nicht mehr sprechen", sagt sie. Relativ bald verstarb der Patient, und Brigitte Habarta konnte sich nicht mehr persönlich von ihm verabschieden. "Abschied nehmen ist eigentlich ein sehr wichtiger Teil in unserer Arbeit. Das war sehr traurig", erinnert sich die Hospizhelferin.
Die Situation in den Senioren- und Pflegeheimen war und ist sehr unterschiedlich. Zum einen gibt es gesetzliche Vorgaben - so durften etwa im Frühjahr 2020 nirgends Hospizbegleiter in die Heime -, zum anderen entscheidet auch jede Einrichtung selbst, welche Regeln darüber hinaus gelten. Eine Bewertung dieser unterschiedlichen Regeln lehnen Deppe-Opitz und Schlosser ab. "Die Heimleitungen standen und stehen wahnsinnig unter Druck", so Deppe-Opitz. "Wir alle schwimmen ein bisschen durch diese Zeit, so auch die Heimleitungen - aber alle, mit denen wir in Kontakt stehen, bemühen sich unglaublich."
Im Herbst nahm Brigitte Habarta wieder die Arbeit im Heim auf - mit Maske, vorherigem Fiebermessen, regelmäßiger Händedesinfektion und Abstand. Als geistig regen, älteren Herren beschreibt sie den Mann, dem sie in einer dieser Einrichtungen mit Gesprächen beistand. Über drei Monate hinweg besuchte die Hospizhelferin den Schwerkranken einmal wöchentlich. Dann kam mit dem Dezember der nächste Lockdown, kein direkter Kontakt war mehr möglich. "Wir haben dann telefoniert", erzählt Habarta, "aber das ist nicht zu vergleichen mit einem persönlichen Gespräch. Allein durch die Akustik, oder dass man sein Gegenüber nicht sieht."
Der ältere Herr, im direkten Austausch sehr gesprächig, telefonierte nicht gern, und so hielten sie die Gespräche kurz. "Als sich der Herr auf den letzten Weg gemacht hat, durften Angehörige mit vorherigem Test rein", berichtet Brigitte Habarta. Auf Wunsch der Tochter und weil das Heim dies ermöglichte, konnte auch die Hospizbegleiterin mit ins Heim. "Wenn eine enge Beziehung so abrupt endet, fühlt man sich ausgeschlossen", sagt sie. Deshalb war sie sehr dankbar, sich diesmal persönlich verabschieden zu können.
Corona hat auch in der derzeitigen Arbeit von Brigitte Habarta viel umgeschmissen. "Jemanden zum Beispiel an der Schulter streicheln ist völlig tabu", sagt sie. Die Maske kann auch schon manchmal zur Barriere im Gespräch mit einem Todkranken werden. Auch darf sie bei ihren Besuchen zu Hause bei den Menschen nicht zu lange bleiben. "Das ist schwierig, wenn jemand gerade im Redefluss ist und ich sagen muss: Jetzt muss ich leider gehen", so Habarta.
Ob die Pandemie den Blick der Menschen auf den Tod verändert hat? Die Hospizbegleiterin Uschi Schäfer überlegt. "Ich glaube nicht unbedingt, dass man jetzt mehr über das Sterben redet." Dabei sei es wichtig, über den Tod nachzudenken und ihn als Teil des Lebens zu akzeptieren - nicht zuletzt, um das Hier und Jetzt intensiver leben zu können. "Irgendwann sollte sich jeder mit seinen Ängsten auseinandersetzen", sagt Schäfer, "egal, ob man Krebs, MS oder Corona hat." Insofern könne jede Pandemie auch als Einladung zur Auseinandersetzung begriffen werden.