Nachhaltigkeit:Früher Not - heute Kult: Eine Ebersberger Familie und ihr Faible für Upcycling

Lesezeit: 3 min

Verkaufsschlager: Aus der Pappe von Care-Paketen, Zeltplanen, Felddecken und Autoreifen hat Hans Kanz mit seiner Firma kurz nach dem Krieg Schuhe hergestellt. (Foto: Christian Endt)

Hans Kanz stellte nach dem Zweiten Weltkrieg Schuhe her, aus Zeltplanen und Autoreifen. Seine Tochter Elisabeth Hamel führt dieses Erbe der Wiederverwertung weiter. Aus Milchtüten häkelt sie Taschen, aus alten Nylonstrümpfen macht sie Matten. "Wir schmeißen praktisch nichts weg", sagt sie.

Von Anja Blum, Ebersberg

Diese Frau weiß, was Not ist. Und, dass diese erfinderisch macht. Elisabeth Hamel, die heute in Ebersberg lebt, wurde 1952 geboren, als eines von neun Geschwistern. Ihr Vater Hans Kanz hatte 1948, gleich nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, ein kleines Unternehmen hochgezogen, das Schuhe herstellte. Grund für diesen Gründergeist war, dass die Industrie damals nicht über die nötigen Rohstoffe für solcherlei Dinge verfügte. Kanz aber wusste sich zu helfen: Er verwendete die Hinterlassenschaften des Krieges, um den Menschen geschützte, warme Füße zu verschaffen.

Elisabeth Hamel, die heute noch ein paar Exemplare der damals entstandenen Schuhe besitzt, erklärt: "Die Brandsohle war aus Pappe, man benutzte die Kartons der Care-Pakete, da diese wasserdicht waren." Aber auch gespaltene Autoreifen habe man verwendet. Diese Sohlen wurden dann beklebt mit amerikanischer Zeltplane, für Winterschuhe benutzte man die dickeren Felddecken. "Diese Stoffe konnte mein Vater beim Lumpensammler eintauschen gegen fertige Schuhe." Sogar so eine Art Tennisschuhe seien damals hergestellt worden, aus weißem Zelt und weißen Reifen.

So sehen die Notschuhe von unten aus. (Foto: Christian Endt)

"Glücklicherweise hatte mein Vater einen Mann gefunden, der die Schnitte beherrschte", erzählt Elisabeth Hamel. "Das war die Grundvoraussetzung." Der Rest geschah in Arbeitsteilung. Rund 20 Frauen stellten damals per Hand täglich etwa hundert Paar Schuhe her - Akkordarbeit, die laut Hamel allen nutzte: "Die Beschäftigten verdienten Geld, bis zu 200 Deutsche Mark, und die Menschen mussten nicht barfuß laufen." Und so habe die Firma, in Obertraubling bei Regensburg ansässig, geraume Zeit erheblichen Umsatz gemacht.

Hans Kanz, 1914 bis 2000, war Unternehmer, Handelsvertreter und Lehrer, aber vor allem ein erfindungsreicher Geist. (Foto: Christian Endt)

Etwa ein Jahr lang bestand diese Fabrik der Notlösungen. Denn als dann die Rohstoffe wieder regulär beschafft werden konnten, löste Kanz das Unternehmen auf, arbeitete zunächst als Handelsvertreter für Seifen, bevor er später, seiner Profession entsprechend, lange als Mathematik- und Physiklehrer am Gymnasium Grafing wirkte. Hamel aber ist ihrem Vater immer noch sehr dankbar für seinen damaligen Einfallsreichtum als Schuhfabrikant - "immerhin konnte er damit den Lebensunterhalt der Familie in der schlechtesten Zeit sichern!"

Tradition
:Weihnachtsvorfreude überall

Hüttenzauber, Adventsleuchten, Christkindlmarkt: Wer am ersten Adventswochenende im Landkreis nichts verpassen will, muss den Überblick bewahren.

Von Barbara Mooser

Heute ist Elisabeth Hamel 70 - und dem Gedanken der Wiederverwertung und der kreativen Lösungen stets treu geblieben: "Wir schmeißen praktisch nichts weg", sagt die Ebersbergerin. Außerdem möchte sie das Erbe ihres Vaters gerne mit anderen Menschen teilen, und bot daher kürzlich der Stadt eine Ausstellung an: "Früher Resteverwertung - heute Upcycling" sollte sie heißen. Daraus wurde zwar leider bislang nichts, zumindest nichts Eigenständiges, aber das Rathaus vermittelte Hamel den Kontakt zu Miriam Boehlke und Kai Platz, die am Ebersberger Christkindlmarkt nun erstmals eine Jurte mit einem vielfältigen Programm zum Thema Nachhaltigkeit bespielen. Am Samstag, 26. November, von 16 bis 17 Uhr wird Elisabeth Hamel also dort zu Gast sein, und einige Objekte zeigen, die in der Not der Nachkriegszeit gefertigt wurden, sowie neue Objekte, die heute im Sinne der Ressourcenschonung ihren Wert erhalten.

Für seine Kinder baute Hans Kanz in den 50er Jahren aus einem Stück Brennholz ein Auto. Das Notspielzeug überlebte tatsächlich alle neun Geschwister. (Foto: Christian Endt)

Dabei wird Hamel außerdem ein paar Mitmachaktionen anbieten, denn auch sie selbst schwört seit Jahrzehnten aufs Selbermachen, Reparieren und Wiederverwenden. Schon als junges Mädchen sei sie kreativ geworden, allein aus Not heraus. Damals ging ich auf die Frauenfachschule in München, lebte im Heim und hatte sehr wenig Geld", erzählt sie. Modische Vorstellungen hatte das Mädchen aber trotzdem - und verwandelte deshalb eine abgetragene Jeans in einen Rock. "Das war damals revolutionär!" Bald darf sich Hamel dann staatlich geprüfte Haushaltsgehilfin nennen, kein Wunder also, dass die Ebersbergerin nähen, stricken und häkeln kann wie ein Profi. Sogar große Löcher in Norwegerpullis werden kunstvoll gestopft, Hamel kennt für solche Probleme haufenweise Tricks. Aus etwas Altem etwas Neues zu machen, mit Witz und guten Ideen, das ist ihre Passion.

Elisabeth Hamel mit einem ihrer Lieblingsstücke, einem "Lüster" aus allem möglichen Verpackungsmüll. (Foto: Christian Endt)

Aus Herrenpullovern zum Beispiel schneidert Hamel Röcke, "und die ziehe ich auch alle an, die sind so was von schick", sagt sie und lacht. Aus Milchtüten hat sie eine Badetasche gehäkelt, aus den Verpackungen kleiner Süßigkeiten entstehen Ketten für den Fasching, aus alten Nylonstrümpfen Matten diverser Art. "Das habe ich in den 70ern im Kaufhaus Kepa, wo ich gejobbt habe, gelernt, von einer Verkäuferin, die diese Technik in Südafrika gesehen hatte." Auch als Hamels Sohn sich eine Diskokugel wünscht, wird sie kreativ und erschafft das Glitzerding kurzerhand selbst, aus Zeitungspapier, Pappe und silbernen Kaffeetüten.

Obwohl also selbst höchst geschickt und erfinderisch, ist Elisabeth Hamel voller Respekt für all die Hausfrauen nach dem Krieg, aber auch für die heutigen Afrikanerinnen. "Als Modeschöpfer steht einem ja jedes erdenkliche Material zur Verfügung - aber aus praktisch Nichts so tolle Sachen zu zaubern, das ist doch viel mehr wert", sagt sie. In der Nachhaltigkeitsjurte zeige sie jedenfalls nur einen Bruchteil dessen, was möglich sei: "Das Internet ist voll von guten Ideen, da kann jeder etwas finden!"

Diese Badetasche hat Elisabeth Hamel selbst gehäkelt - aus Milchtüten. (Foto: Christian Endt)

Heute leidet Hamel keine Not mehr, doch scheinbare wertlose Dinge umzugestalten, also der Trend des Upcycling, entspricht auch ihrem Umweltbewusstsein. "Ich bin sehr grün gefärbt und finde es sogar gut, dass wir jetzt alle mal sparen müssen", sagt sie. In ihrem Ebersberger Reihenhaus jedenfalls laufe die Heizung noch nicht, und sogar das warme Wasser habe sie teilweise abgedreht. Und gerade Plastik, das ja ewig halte, sei ein wunderbarer Rohstoff. "Alles ist besser, als dass es im Meer landet." Außerdem bereitet ihr diese Art der Kreativität nach wie vor große Freude. "Wir haben eben immer noch viele Fürze im Kopf, wie meine Schwester zu sagen pflegt." Diese heißt Adelheid Cohnen und näht liebend gerne Taschen - aus alten Kaffeesäcken.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Pilotprojekt für den Landkreis
:Nachhaltige Weihnachten

Drei engagierte Menschen wollen das Thema in seiner ganzen Fülle auf dem Christkindlmarkt in Ebersberg präsentieren: Es wird einen Pavillon geben, in dem alle Kreativen ihre Produkte anbieten können, sowie ein buntes Programm in einer Jurte.

Von Anja Blum

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: