SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 15:Wenn ein Patient 220 Kilo bei 1,70 Meter wiegt

Lesezeit: 2 min

Symbolfoto. (Foto: dpa)

Es gibt Fälle, in denen Pflegerin Julia Rettenberger an ihre Grenzen stößt - dann nämlich, wenn der Patient schwer übergewichtig ist.

Protokoll: Johanna Feckl

Auf Intensivstationen sind Patienten in oft nicht mehr in der Lage, sich ohne Hilfe im Bett umzudrehen. Für uns Pflegekräfte sind dann drei Fixpunkte wichtig: Schulter, Beckenkamm und Knie. Greift man die Punkte in dieser Reihenfolge an einer Körperseite, dann dreht sich der Patient in einer fließenden Bewegung auf die andere Seite. Es gibt aber Fälle, in denen funktioniert dieses Schema nicht - dann nämlich, wenn der Patient schwer übergewichtig, also adipös, ist.

Die WHO beschreibt eine Person als adipös bei einem Body-Mass-Index (BMI) -Körpergewicht in Kilo geteilt durch Körpergröße in Meter im Quadrat - von 30 oder höher. Einer Untersuchung des RKI zufolge trifft das auf gut 18 Prozent der Männer und Frauen in Deutschland zu. Das spiegelt sich auch auf unserer Station wider: Ein schwer übergewichtiger Patient ist immer zu versorgen, oft sind es mehr. Dass der BMI jenseits der 40 liegt, also eine Adipositas permagna vorliegt, kommt alle zwei Monate vor. Mein letzter Patient auf den dies zutraf, wog 220 Kilo bei einer Größe von 1,70 Meter - das entspricht einem BMI von 76. Das hat nichts mehr mit zehn Kilo hin oder her zu tun.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 14
:Nicht schon wieder!

Arbeiten am Limit, Schicksale, die einen nicht mehr loslassen: Pflegerin Julia Rettenberger über die Rückkehr von Corona in die Ebersberger Kreisklinik.

Protokoll: Johanna Feckl

Wenn ein schwer adipöser Patient zu uns kommt, dann können wir ihn nicht in unseren herkömmlichen Intensivbetten versorgen. Es gibt eine 24-Stunden-Hotline, unter der wir ein Schwerlastbett ordern, das an die Bedürfnisse von Patienten in dieser Gewichtsklasse ausgelegt ist. Läuft alles nach Plan, dann dauert es nicht länger als einen Tag bis zur Lieferung. In der Zwischenzeit muss es irgendwie mit unseren Standardbetten gehen. Vier bis fünf Pflegekräfte sind notwendig, damit wir den Patienten minimal drehen können. Mehr geht nicht.

Julia Rettenberger, Intensivpflege-Fachkraft Kreisklinik Ebersberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einfacher ist es da mit dem Schwerlastbett. Das muss man sich wie eine ausgefeilte Luftmatratze vorstellen: Die Liegefläche besteht aus verschiedenen Druckluftkammern. In Therapie-Intervallen von zehn Minuten verändern sie den Luftdruck, sodass der Patient in minimaler Bewegung ist - wie auf einem Massagestuhl. Zum Umlagern vom Standard- ins Schwerlastbett müssen wir zwar mindestens zu sechst sein. Aber dafür klappt das Betten danach mit drei oder vier Pflegekräften, denn die Druckluftkammern helfen mit: Lassen wir auf einer Seite Luft ab, dann braucht es nicht mehr so viel Kraft, um den Patienten auf diese Seite hin zu drehen.

Vielen stark adipösen Patienten ist bewusst, dass sie aufgrund ihres Gewichts eine aufwendigere Versorgung erfordern. Aber nicht allen. Ich wünsche mir jedes Mal, dass es bei ihnen "Klick" macht und sie sich nach ihrer Entlassung aus der Klinik medizinische Hilfe suchen. Nicht, damit wir Pflegekräfte wieder einen leichteren Job haben, sondern weil Adipositas auf Dauer lebensbedrohlich ist.

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 27-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station.

© SZ vom 16.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 14
:Nicht schon wieder!

Arbeiten am Limit, Schicksale, die einen nicht mehr loslassen: Pflegerin Julia Rettenberger über die Rückkehr von Corona in die Ebersberger Kreisklinik.

Protokoll: Johanna Feckl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: