"Die Unendliche Geschichte" als Theaterstück:Fantasie ist kein Kinderspiel

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Kindheitstraum: Leyla Bischoff reitet als Atreyu auf dem Glücksdrachen Fuchur. (Foto: Anna-Maria Löffelberger)

Die neue und einzige autorisierte Bühnenfassung von Michael Endes "Die unendliche Geschichte" läuft am Deutschen Theater in München - mit beiden Buchteilen, vielen Puppen und völlig neuer Flugerfahrung.

Von Michael Zirnstein

Tausende Kinder und Ältere sind schon auf dem Glücksdrachen geritten. Sie haben sich in Fuchurs weißer Mähne festgekrallt und sausten durch die Wolken - ob nun in ihrer Fantasie beim Lesen des Romans "Die unendliche Geschichte" von Michael Ende oder in den Bavaria Filmstudios, wo früher Besucher bei Führungen die Himmelsszene aus der Verfilmung nachspielen durften. Aber so wie Leyla Bischoff fliegt niemand auf dem sanftmütigen Ungetüm. Sie schwingt sich ihm auf den Nacken und wird vier Meter hoch in die Luft katapultiert, auf und nieder geht das, hin und her wie in einer Achterbahnfahrt, während sie sich mit ihrem treuen Begleiter unterhält.

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Leyla Bischoff ist im Ensemble des Salzburger Landestheaters, sie hat an der Münchner Schauspielschule Zerboni gelernt, aber auf diesen Einsatz in "Die unendliche Geschichte" konnte man sie kaum vorbereiten. Sie spielt Atreyu, hier als androgyne Heldenfigur mit grün getünchter Gesichtshälfte, sie bewegt mit einem Arm das Maul des Drachen lippensynchron zu dem, was dessen auf dem Boden gebliebener Darsteller spricht, und wird dabei ordentlich durchgeschüttelt. Für diese "Flugerfahrung", wie er es nennt, hat der Salzburger Intendant und Regisseur Carl Philip von Maldeghem mit seinem Werkstattleiter eigens einen TÜV-zertifizierten Kran mit rummelplatztauglichem Sicherungssystem entwickelt, der den in den Bavaria Studios bei der Verfilmung eingesetzten Kamerakran alt aussehen lässt.

"Die unendliche Geschichte" als Theaterstück ist eine neue Erfahrung. Von Maldeghem hat "das Buch verschlungen", aber den Film von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1984 nie gesehen. "Ich wollte nicht, dass die Filmbilderwelt die Bilder in meinem Kopf erschlägt", sagt der Regisseur, Jahrgang 1969. Michael Endes Roman von 1979 war einer der Schlüsselromane seiner Jugend: "Ich hatte wie so viele in meiner Generation den Eindruck, das ist nur für mich geschrieben. Es ging um die verführerische Möglichkeit, in eine Fantasie-Welt abzutauchen und Abenteuer direkt über ein Buch erleben zu können."

Schneller, als dem Zuschauer lieb ist, versinkt das Pferd Artax (Tina Eberhardt) in den Sümpfen der Traurigkeit. Held Atreyu (Leyla Bischoff) kann nicht helfen. (Foto: Anna-Maria Löffelberger)

Vielleicht war damit sein Weg geebnet, am Theater eigene Welten zu erschaffen; auf jeden Fall aber brachte ihn die jugendliche Prägung dazu, sofort Feuer und Flamme zu sein, noch bevor "Die unendliche Geschichte" auf dem Stückemarkt war. Und das hat durchaus gedauert. Zwar gab es schon 1980 ein Hörbuch und danach einige Hörspiele, nach Endes Tod im Jahr 1995 kam ein Ballett heraus (1999) und eine Oper (2004), aber eine offizielle, lizensierte Bühnenfassung gab es nicht. "Viele wollten aus dem Stoff alles Mögliche machen", erklärt von Maldeghem, "es wurden etliche Skripte in die Welt gesetzt. Aber Endes Erben wollten das alles nicht." Nur die erwachsene, psychologische Fassung, die sich der Dramaturg und Dramatiker John von Düffel (Thalia Theater, Deutsches Theater Berlin) 2021 ausgedacht hatte, faszinierte sie, und sie ließen ihn als Einzigen machen.

Sehr früh meldete der Intendant von Maldeghem sein Interesse an - und überzeugte John von Düffel, in Salzburg die österreichische Erstaufführung spielen zu lassen. Denn wie Ende sich nicht als Kinderbuchautor sah ("Ich schreibe für das Kind in uns allen") und wie von Düffel das Stück nicht als Kindertheater angelegt hatte, wollte er es auf den Abendspielplan setzen. Ganz so wie das Deutsche Theater in München, wo diese Inszenierung "ab zwölf Jahren" nun erstmals in Deutschland zu sehen ist - in der Stadt, in der der Garmischer Ende lange lebte, 1946 selbst sein erstes Stück schrieb ("Denn die Stunde drängt") und 1948 an der Schauspielschule der Kammerspiele studierte.

Neue Freunde: Bastian (Aaron Röll) trifft auf die Figuren seiner Fantasie. Viele Geschöpfe werden mit Puppen dargestellt. Richard Panzenböck, der ehemalige ORF-Puppenspielleiter, hat das Ensemble des Salzburger Landestheaters geschult. (Foto: Anna-Maria Löffelberger)

Es ist nun ein kleines Theater-Wunder: Die 480 Seiten lange verschachtelte Geschichte vom gemobbten Buben Bastian Balthasar Bux, der ein Buch über den Kampf des Helden Atreyu um das Reich Phantasien liest, in das er dann selber als Hauptfigur hineingezogen wird, ist ein zweistündiges Stück geworden. Der Film machte es sich zu leicht und erzählte vor allem den Abenteuer-Teil mit Atreyus Heldenreise. Von Düffel erzählt auch den zweiten psychologischen Teil, den für Maldghem theaterhafteren: Der Buchleser Bastian verliert sich in Phantasien. "Da erlebt man einen Menschen, der plötzlich Macht in die Hand bekommt, und der sich über seinen Gestaltungsfreiraum extrem verändert, der seine Freunde und Prinzipien verrät." Nach der Heldenreise im ersten Teil sei dies nach der Pause "der nächste Schritt in einem Entwicklungsroman", die "menschlichere Geschichte, wo es hart auf hart geht".

Natürlich ist auch im Theater das Buch mit der verschlungenen Schlange auf dem Einband die Saat von allem, im Sinne von "Am Anfang war das Wort". Alles entsteht aus der schwarzen Bühne heraus, einem Lichtpunkt. Dabei hatte von Düffel den großartigen identifikationsstiftenden Einfall, dass Bastian sich nicht in ein Antiquariat flüchtet, sondern direkt in das Theater. Hier trifft er auf den grauen Herrn Koriander, nicht Buchhändler, sondern Souffleur.

Die Figuren sprechen auch zum Publikum und erschaffen mit dem Publikum gemeinsam all die bekannten Orte Phantasiens, mal mit alten Theatertricks, mal nur als abstrakter Klang- und Videoraum, von den Sümpfen der Traurigkeit über den Elfenbeinturm bis zur Alten Kaiserstadt. Und alle sind da, die kindliche Kaiserin in einem Luftring, der Felsenbeißer, die Rennschnecke, das Pferd Artax, der Löwe, der Werwolf, die nervigen Schlamuffen. Manche sind Schauspieler, manche sind Puppen, manche wie der Drache Fuchur eine Mischung aus beidem. Theaterzauber, der dem Publikum genug Raum lässt, seine eigene Fantasie spielen zu lassen.

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Die unendliche Geschichte, Deutsches Theater München, 21. bis 25. Juni, Mi. - Fr. 19.30 Uhr, Sa. 15 & 19.30 Uhr, So. 14.30 Uhr, Schwanthalerstr. 13, www.deutsches-theater.de

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