Clubszene:Standfest auf der schiefen Bahn

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Voller Keller: Partys wie die Hip-Hop-Beat-Reihe "Bumm Klack" ziehen regelmäßig hunderte Fans in die Milla. (Foto: Niklas Niessner)

In einem ehemaligen Wasserkanal für ein Kraftwerk im Glockenbachviertel entdeckten Gerd Baumann und Till Hofmann vor zehn Jahren einen abgerockten Partykeller und machten daraus einen der beliebtesten Clubs Münchens: die Milla.

Von Michael Zirnstein, München

Auch nach zehn Jahren wissen die allerwenigsten, was das bedeutet: die oder das Milla. Erst mal, ganz klar: Die Milla ist weiblich. "Klingt schöner", sagt Lena Britzelmair, die neue Programmmacherin des Clubs, und nickt Gerd Baumann zu. Der Chef erklärt, dass es von "der Müllerstraße" kommt, wo er sein Musikstudio hat, "Müllerton" gefiel dem Filmmusiker ("Wer früher stirbt ...") nicht so, also nannte er es salopp Millaton. Daraus entstand sein Pop-Label mit den Kumpels Till Hofmann und Fußballrentner Mehmet Scholl. Und dann kam der Club dazu, den er Milla Rouge nennen wollte, samt Logo mit hochgerecktem Frauenbein wie im Verlustierlokal Moulin Rouge. Fand aber niemand außer ihm witzig, nicht Hofmann, nicht der Mit-Investor Peter Brugger von den Sportfreunden Stiller. Also schlicht: die Milla.

Es war Liebe beim ersten Besuch. Wobei Baumann häufig das Wort "zickig" gebraucht. Stehtische mit Hussen und Salzstangen standen da "zickig" herum, die Bar war von Ikea, "scheußlich" und auch "zickig", aber doch schauten sich Baumann und Hofmann fassungslos an in diesem abgewirtschafteten, noch weiß getünchten Party- und Klassik-Keller namens Bachbett unter der Holzstraße: "Wie gibt's denn sowas, so ein Laden, mitten in München?" Ein ehemaliger Wasserkanal für ein Kraftwerk, abschüssig, gekrümmt; ganz früher, so sollte ein Architekt später herausfinden, arbeitete hier der "Westermilla", ein Müller. Zufälle gibt's!

Jedenfalls kamen den Männern gleich Fantasien: An einen Tanztee mit Filterkaffee und Paartanz dachten sie etwa. Und Baumann schwebte ein plappernder Künstlersalon vor, der "Treibstoff" dafür sei Woody Allens Film "Midnight in Paris" gewesen. Aber dafür, das weiß er heute, müsste die Milla größer und weiter sein, um Ohrensessel aufstellen zu können.

Statt "Milla Rouge" und einem Frauenbein steht nun doch "Milla" am Lokal in der Holzstraße 28. (Foto: Stephan Rumpf)

In der Milla wird nicht gelümmelt. Das Publikum stand dicht an der Bühnenrampe, als Baumann hier selbst auftrat, ob mit Dreiviertelblut, mit seiner Band Parade, oder ob er mit seinem Film-Freund Rosenmüller Gedichte vorlas. Es sei einer der "coolsten Clubs, die es in München gibt", sagt Lena Britzelmair, nun nicht als Bookerin, sondern als Musikerin: drei, vier Mal habe sie hier gespielt, nicht mehr mit Tonwertkorrektur, aber als Rea Lenon und als Lizki. Der Blick von der Bühne geht scheps nach hinten vorbei an liebevoll verkritzelten schwarzen, dunkelroten Wänden hoch zur Bar, "man bekommt als Musiker mehr mit als in anderen Settings".

Es ist ein Glücksfall, dass die drei Betreiber den Raum meist nicht selbst bespielten (wobei schon toll: der Geheim-Gig der Sporties), wozu Lustspielhaus-Chef Hofmann mit seiner Musik- und Kleinkunstagentur Eulenspiegel sicher in der Lage wäre. Sie ließen hier stets junge, weit vernetzte Akteure der Szene ran. Wie Britzelmair, die bald für ihr Wiener Label in New York auftritt. Eine Idealbesetzung ist die Diplom-Juristin für die Milla, findet Baumann, und hofft auf eine "langfristige Bindung", auch weil sie die interessantesten hippen Acts ranbringt, die er, der Filmmusik-Professor selbst, eben gar nicht kenne.

Vor zehn Jahren besichtigten Till Hoffmann und Gerd Baumann vor der Eröffnung ihren neuen Club; Mit-Investor Peter Brugger von den "Sportfreunden Stiller" war gerade nicht dabei. (Foto: Stephan Rumpf)

Auch Philipp Englhardt, der sich um Hip-Hop und Partys kümmert, ist drin. Als Produzent Ditu und Teil der Weltuntergäng ist er bekannt in der "Beat-Ecke", ein seltsames Hip-Hop-Format, oft ohne Raps; bei seinen später zum Label gewordenen "Bumm Klack"-Partys tanzen die Leute zu rhythmischen Instrumentals. Für derlei gibt es nun nicht gerade massig Spielplätze in München. Und man denkt bei zehn Jahren Milla zurück an kuriose Formate: "Same Old Song" etwa, wo JJ Jones und seine Mitstreiter dasselbe Stück, etwa "Stairway To Heaven", eine ganze Nacht lang interpretierten. Oder den "Milla Song Slam", wo acht Musikerinnen aller Genres jeweils acht Minuten das Publikum für sich gewinnen möchten. Ein Ort für ernste Experimente, von queer-feministischen "She-la"-Festen über die "Bassmeditation" bis hin zum bisher einzigartigen Straßenfestival "Milla Walky Talky", wo man vom Hauptquartier aus das ganze Glockenbachviertel in einen Musiktumult verwandelte. Eins von Baumanns Highlights war die erste "Jazz Jam", er rechnete mit fünf Musikern auf der Bühne und drei Leuten davor. Aber der Laden war berstend voll und schreiend laut und lebendig.

Mit Sebastian Horn (links) und seiner Moritaten-Band "Dreiviertelblut" spielte Gerd Baumann im eigenen Laden. (Foto: Florian Peljak)

Ein Geheimnis, sagt Booker Englhardt, ist, dass 90 Prozent des Teams von der Bar, der Tür und aus dem Büro selbst als Künstler aktiv sind und ihre Blase hier hereinholen, "so wird's ganz persönlich". Und so wird auch das dreitägige Jubiläumsfest eine Familienfeier, bei der ganz bewusst unter vielen Lieblingen wie Zouj, Lucy Kruger & The Lost Boys oder Mira Lu Kovacs die bisherigen Booker mitmischen: von der Pop-Avantgarde-Poetin Mira Mann über Cornelia Breinbauer mit Tiger Tiger bis zu Thomas Schamann mit den Dark-Wave-Helden Bleib Modern und eben Ditu und L One mit ihren Synthies und Drumcomputern.

Vom Musikclub aus eroberte man mit dem Straßenfestival "Milla Walky Talky" das ganze Glockenbachviertel. (Foto: Stephan Rumpf)

Erinnerungen sind schön, an Das Weiße Pferd, Die Damenkapelle, einen frühen Wanda-Auftritt hier 2014. Aber vor allem muss es vorangehen. "Wir haben grad den Vertrag um zehn Jahre verlängert", verkündet Till Hofmann da gerade, "weil irgendwas ist immer und was soll schon sein?" Also keine Krisenstimmung, wo immer mehr Musik-Clubs in München kämpfen oder dichtmachen? Man sei eh von Existenzkrise in Existenzkrise geschlittert, sagt Baumann, wirkt aber eher belustigt, denn besorgt, denn vor allem die Vermieter-Familie Bergau sei ihnen sehr zugetan. Gewinn wollen sie keinen machen mit der Milla, auf öffentliche Zuschüsse und eine Brauerei weitgehend verzichten, das "Gefühl der Freiheit" lassen sie sich was kosten. Baumann hätte noch Lust auf eine gefilmte Konzert-mit Talk-Reihe hier unten, wie "TV Noir" vom Berliner Freund Tex, das hier ein Gastspiel gab. Sonst vertrauen sie drauf, es mit dem richtigen Team offen und weiter laufen zu lassen, wie Hofmann sagt: "Nichts eben Lineares. Wir sind mit der Milla nicht nur räumlich auf die schiefe Bahn gekommen, um zu bleiben, um euch und uns Platz zu geben."

10 Jahre Milla, Fr.-So., 14.-16. Okt., Holzstraße 28, milla-club.de

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