SZ-Adventskalender:Corona verschärft die Wohnungsnot

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Schon vor der Pandemie konnten sich immer mehr Menschen die horrenden Mieten im Landkreis und der Stadt Dachau nicht mehr leisten. Die Auswirkungen der Krise verschlimmern jetzt das Problem.

Von Jacqueline Lang, Dachau/Markt Indersdorf

Laut der bayerischen Verfassung hat jeder ein Recht auf eine "angemessene Wohnung". Dennoch leben im Freistaat zahlreiche obdachlose Menschen. Laut einer letztmalig 2017 flächendeckend durchgeführten Erhebung durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit Unterstützung des Bayerischen Landesamts für Statistik kommt auf 1000 Einwohner durchschnittlich eine wohnungslose Person. Auch der Landkreis Dachau bildet keine Ausnahme: Denn auch wenn hier anders als in Großstädten wie München keine Menschen auf der Straße leben, so sind doch zahlreiche Menschen in Sozialwohnungen untergebracht. Sozialpädagoginnen wie Isabel Rubik von der Caritas und Karin Reichlmeier vom Amper e. V. gehen davon aus, dass sich die Problematik durch die Corona-Krise spätestens im kommenden Jahr noch verschärfen wird. Schon jetzt aber werden beide Organisationen vom Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung unterstützt, um Wohnungsnot zu lindern, wann immer sie auftritt.

Isabel Rubik hat Anfang September ihre Arbeit in der Fachstelle Wohnen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit aufgenommen. Die Fachstelle ist zuständig für Menschen aus sieben Landkreisgemeinden: Erdweg, Haimhausen, Markt Indersdorf, Weichs, Röhrmoos, Schwabhausen und Vierkirchen. Entstanden ist die Anlaufstelle, die bei der Caritas angesiedelt ist, weil der Landkreis Dachau sich selbst als nicht zuständig erklärt hat. "Etwas Vergleichbares gab es vorher nicht", sagt Rubik. Langfristig hofft sie, dass alle Gemeinden des Landkreises die Fachstelle mitfinanzieren werden und so für ihre Bürger eine Anlaufstelle bieten.

Wie der Name schon verrät, geht es der Fachstelle vor allem um Prävention, damit Menschen gar nicht erst obdachlos werden. Derzeit arbeitet Rubik deshalb an einen einem Frühwarnsystem. Durch eine gute Zusammenarbeit mit Gemeinden, dem Dachauer Landratsamt, aber auch Vermietern und Mietern soll in Zukunft frühzeitig eingegriffen werden können, wenn es Probleme gibt - und nicht erst dann, wenn es schon zu spät ist.

Der Kündigungsschutz, der vom 1. April bis 30. Juli dieses Jahres galt, ist wieder ausgesetzt

Schon vor der Corona-Krise gab es viele Menschen, die sich die immer höher werdenden Mieten kaum noch leisten konnten. Kurzarbeit und Jobverlust aufgrund der Pandemie könnten das Problem noch verschlimmern, fürchtet Rubik. Ob und wie stark Landkreisbewohner coronabedingt von plötzlicher Obdachlosigkeit betroffen sein werden, werde sich aber wohl erst im kommenden Jahr zeigen, glaubt Rubik. Ähnliches befürchtet auch Sozialpädagogin Karin Reichlmeier vom Verein Amper e.V., einer Beratungsstelle für Familien, Alleinerziehende und Jugendliche. Der Kündigungsschutz, der vom 1. April bis 30. Juli dieses Jahres galt, ist wieder ausgesetzt - obwohl die wirtschaftlichen Folgen und damit auch die Gewissheit, weiter einen Job zu haben, der die Miete sichert, derzeit noch kaum abzusehen sind.

(Foto: SZ Grafik)

Obwohl Reichlmeier sich anders als Rubik nicht explizit um das Thema Wohnen kümmert, ist Wohnungslosigkeit ein Thema, das sie im Rahmen der Arbeit mit ihren Klienten immer wieder beschäftigt und das auch schon lange vor der Corona-Krise. Gleichwohl ist auch sie sich sicher: "Die Auswirkungen der Krise werden wir im nächsten Jahr spüren." Allerdings kann sie der Pandemie in gewisser Weise auch ihr gutes abgewinnen: So seien Vermieter derzeit teilweise kulanter und würden nicht sofort mit der Kündigung drohen. Zum anderen sei der Bezug von Hartz IV nicht mehr von vornherein ein Ausschlusskriterium dafür, überhaupt eine Wohnung zu bekommen. Außerdem würden über das Arbeitsamt auch Wohnungen bewilligt, die eigentlich oberhalb des normalerweise gesetzlich vorgeschriebenen Budgets liegen. Wenn man so will, hat die Coronakrise die bürokratischen Hürden zumindest kurzfristig herabgesenkt. Daran, dass es im gesamten Landkreis an Wohnungen mangelt ändert das freilich nichts.

In einigen Gemeinden gibt es nicht einmal ausreichend Notunterkünfte, so dass Reichlmeier schon Fälle erlebt hat, in denen Familien leer stehende Container in Asylunterkünften zugewiesen wurden mit dem Argument, dass das, was für Geflüchtete gut genug sei, ja wohl auch für Obdachlose ausreichend sei. "Das ist dann immer das Totschlagargument", sagt Reichlmeier. Auch die Aussage "Sie kriegen keine Wohnungen, nur eine Obdach", hat Reichlmeier schon viel zu oft gehört. Gerade jetzt, in einer Pandemie, versucht sie dennoch alles, um die Familien, die sie betreut, nicht in Sammelunterkünften unterbringen zu müssen, "die Gefahr einer Ansteckung ist einfach zu groß, das kann ich nicht verantworten". Mit "allerhöchstem Einsatz" sei es ihr bislang meistens gelungen, alternative Lösungen zu finden.

Reichlmeier will aber auch nicht alles schlecht reden: Der Landkreis und die Gemeinden würden stets alles versuchen, was in ihrer Macht stehe. Vor allem die Stadt Dachau sei sehr bemüht, auch wenn schon mal prognostiziert werde, dass es neun Jahr dauern werde, bis eine Sozialwohnung frei werde und den Betroffenen geraten werde, doch dahin zu ziehen, wo Wohnraum noch bezahlbar ist. "Im Schnitt dauert es zwei Jahre, bis eine Wohnung gefunden ist. Die ist dann aber auch gut und günstig", sagt Reichlmeier. Und das sei dann wie ein "Sechser im Lotto".

In der Stadt Dachau gibt es rund 1500 Sozialwohnungen. Etwa 643 dieser Wohnungen unterliegen laut Inge Forster-Hauß, Abteilungsleiterin der Fachstelle Wohnen in Dachau, "noch der sozialen Bindung", was bedeutet, dass die Wohnungen, deren Bau mit staatlichen Mitteln gefördert wird, ausschließlich für soziale Gruppen, die auf dem freien Wohnungsmarkt nicht fündig werden, gedacht sind. Diese Wohnungen dürfen nicht leer stehen, was im Speckgürtel von München aber auch kein Problem darstellt - eher fehlen trotz des städtischen Angebots noch Wohnungen.

Neben der Großen Kreisstadt verfügt auch der Landkreis über Sozialwohnungen. Außer den 219 Wohnungen mit einer sogenannten Sozialbindung gibt es weitere 81 Wohnungen, für die der Landkreis gemeinsam mit den Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften eine Mietpreis- und Belegungsbindung ausgehandelt hat. Ein "Mehrbedarf" aufgrund der Pandemie sei bislang nicht festzustellen, Prognosen für die Zukunft könne man nicht abgeben, heißt es seitens des Landratsamts.

Laut der Expertin werden Räumungsklagen derzeit schneller als sonst bearbeitet

Forster-Hauß indes merkt so langsam, wie sich die Folgen der Corona-Krise bemerkbar machen: In den vergangenen Monaten hätten sich im Schnitt so viele Menschen an ihre Abteilung gewandt wie in den Vorjahren, doch aktuell sei ein "leichter Anstieg der Anfragen von Menschen, die sagen, dass ihre Wohnung in nächster Zeit gekündigt wird", zu verzeichnen. Der Grund: Bei gleichbleibenden Mietpreisen und gleichzeitig geringerem Einkommen durch Kündigungen oder Kurzarbeit können immer mehr Menschen ihre Miete nicht mehr bezahlen. Die Folge: Räumungsklagen. Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass Räumungsklagen derzeit schneller bearbeitet würden, sagt Forster-Hauß. Doch sie kann Entwarnung geben: In den städtischen Notunterkünften gibt es derzeit noch Kapazitäten. Wie lange noch, ist jedoch ungewiss.

Mithilfe der Spenden, die durch den SZ-Adventskalender alljährlich zusammenkommen, können die Dachauer Caritas sowie der Amper e. V. die Not aber zumindest ein wenig lindern.

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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