Vortrag über Suchtkranke in Dachau:"Ich bin Lobbyistin für mein Klientel"

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Wenn es um Drogen geht, kennt Kreisrätin Neumeier sich aus. Die Drobs-Gründerin hilft, wo es geht

Von Jacqueline Lang, Dachau

Für das Treffen der Kreisrätinnen im Juni haben Stephanie Burgmaier (CSU) und Marese Hoffmann (Grüne), die die Treffen federführend organisieren, eine aus ihren eigenen Reihen eingeladen: Sylvia Neumeier, SPD-Kreisrätin. Neumeier berichtet der kleinen Runde aus acht Kommunalpolitikerinnen bei der digitalen Zusammenkunft am Mittwochabend von ihrer langjährigen Arbeit als Geschäftsführerin der Drogenberatungsstelle Drobs in Dachau. Ihr Vortrag ist auf eine halbe Stunde angesetzt, doch weil es viele Fragen gibt, spricht Neumeier am Ende gut eine Stunde über ihr Herzensthema. Eines wird jedoch schon nach wenigen Minuten klar: Auch im vermeintlich beschaulichen Landkreis Dachau sind Drogen aller Art ein immenses Problem. Eines, das man nicht löst, indem man so tut, als würde es nicht existieren und Betroffene stigmatisiert.

Gegründet hat Neumeier den Verein Drobs vor gut 27 Jahren, weil sich bis dahin augenscheinlich niemand so richtig zuständig für die Belange von Suchtkranken zu fühlen schien obwohl es bereits eine Suchtberatung, angesiedelt beim Landratsamt, gab. Seitdem arbeiten Neumeier und ihr Team systemisch, sprich ganzheitlich: Sie nehmen nicht nur die Sucht selbst in den Blick, sondern auch die Ursachen und sie helfen Betroffenen und deren Angehörigen. Zu diesem ganzheitlichen Ansatz gehört seit 1998 auch eine Substitutionsbehandlung.

Der jüngste Klient, so erzählt Neumeier, sei neun Jahre alt gewesen und sei selbst bei der Drogenberatungsstelle vorstellig geworden. Seit er fünf Jahre alt gewesen sei, habe er Alkohol konsumiert, seit er sieben Jahre alt gewesen sei, Cannabis. So erschreckend das im ersten Moment klingt, so wichtig ist es Neumeier zu verstehen: Suchterkrankung kann ab dem Prägungsalter, also zwischen drei und fünf Jahren, auftreten. Sie appelliert daher auch an die anwesenden Kreisrätinnen, sehr gewissenhaft auch mit legalen Drogen wie Zigaretten und Alkohol umzugehen, wenn Kinder anwesend sind. Und, auch das sagt Neumeier: "Suchtstoffe sind oft eine Ersatzbefriedigung." Häufig stehe der Konsum von Drogen aller Art daher im Zusammenhang mit Missbrauch oder Vernachlässigung.

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Stolz sei sie, sagt Neumeier, darauf, dass mittlerweile kein Kind die Schullaufbahn im Landkreis durchlaufe, ohne an einem Vortrag zur Suchtprävention teilgenommen zu haben - übrigens über alle Schulformen hinweg. Bereits in der 5. Klasse gehe es los mit legalen Drogen, in der 6. Klasse würden die Themen Online- und Mediensucht behandelt, in der 7. Klasse werde dann über illegale Substanzen gesprochen und in der 9. Klasse gehe es um sogenannten safer use, sprich um möglichst sicheren Drogenkonsum. Wie notwendig diese Aufklärungsarbeit bereits bei Jugendlichen ist, belegen die Zahlen: Bereits in der 7. Klasse haben laut Neumeier 100 Prozent der Kinder selbst Erfahrungen mit Alkohol gemacht, 30 Prozent haben in diesem Alter sogar bereits illegale Substanzen probiert.

Früher, so Neumeier, sei das in den meisten Fällen Cannabis gewesen. Kein Wunder: Ein Gramm Gras bekommt man derzeit im Landkreis für fünf bis zehn Euro, "das ist mit dem Taschengeld zu bezahlen". Mittlerweile handle es sich bei der Einsteigerdroge immer häufiger aber auch um Amphetamine. Laut Neumeier ist das auf den zunehmenden Druck innerhalb der Leistungsgesellschaft zurückzuführen: "Auch die Kinder und Jugendlichen wollen funktionieren." Neumeier, die selbst gelernte Traumafachberaterin ist, ist es wichtig, dass Menschen sich mit ihrem Problem nicht alleine gelassen fühlen. Sie versichert deshalb, dass jede und jeder, der sich hilfesuchend an ihre Beratungsstelle wende, innerhalb einer Woche mit einem Termin rechnen könne - im Idealfall sogar am darauffolgenden Tag. Derzeit betreut Drobs rund 450 Menschen im Landkreis, zu Höchstzeiten waren es auch schon einmal 500. Viele betreut Neumeier über Jahre hinweg.

Ramona Fruhner-Weiss (CSU) will von Neumeier im Anschluss an deren Vortrag wissen, welche Substanzen im Landkreis im Umlauf sind und wie hoch die Rückfallquote ist. Eines nimmt Neumeier gleich vorweg: "In Dachau gibt es alle Drogen, die man sich vorstellen kann." Die Frage sei letztlich nur, was von wem wie viel nachgefragt werde: Opiate und Opioide machen laut Neumeier etwas mehr als 50 Prozent aller konsumierten Drogen im Dachauer Land aus, weitere 30 bis 40 Prozent würden auf Cannabis entfallen, der Rest seien Amphetamine, aber dieser Anteil würde in den letzten Jahren zunehmen. Und ja, auch Crystal Meth werde durchaus im Landkreis konsumiert, wenn auch deutlich weniger als anderswo in Bayern. Auch die Frage nach der Rückfallquote beantwortet Neumeier ohne die Dinge schön zu reden: Eine einmalige Suchterkrankung "bedeutet, ein Leben lang gefährdet zu sein."Allerdings, und auch darauf sei sie stolz, würden sich viele Menschen schon an sie wenden, bevor sie rückfällig würden - schlicht weil sie wüssten, dass sie bei Drobs nicht verurteilt würden. Unter der Notrufnummer 0172/8474555 ist immer jemand erreichbar. Hier können Menschen anrufen, die nicht mehr weiter wissen - ohne dass auf sie herabgeblickt wird und ohne dass sofort die Polizei kommt. Ihr längstes Krisengespräch habe einmal 17,5 Stunden gedauert. Am Ende habe sie erfolgreich einen Suizid verhindert, erzählt Neumeier.

Das Thema Drogen ist eng verwoben mit dem Thema Prostitution. Von Stephanie Burgmaier darauf angesprochen, stellt Neumeier zunächst eines klar: "Es sind nicht nur die Frauen, die sich prostituieren." Und ja, natürlich komme es auch in Dachau vor, das Menschen ihren Körper verkauften, um ihre Krankheit zu finanzieren. Das sei vielleicht nicht schön und könne auch schwere Folgen für die Psyche haben, aber wenn sich jemand bewusst dafür entscheide, "dann ist das für mich ein Beruf, wie jeder andere auch."

Lena Eberl (CSU) und Helga Rauhut (Grüne) interessiert, wie Neumeier der Legalisierung von Cannabis gegenübersteht. Für diese ist die Antwort klar: Mit der Legalisierung ab 21 Jahren hat sie kein Problem, allerdings würde sie sich wünschen, dass auch legale Drogen wie Zigaretten und Alkohol erst ab 21 Jahren verfügbar sind.

Abschließend will Burgmaier noch wissen, ab wann Kinder aus ihren Familien geholt werden müssen, wenn die Eltern suchtkrank sind. Auch hierzu hat Neumeier eine klare Haltung: Oberstes Ziel müsse immer sein, die Familien zusammenzuhalten, so die Geschäftsführerin von Drobs. Allerdings sagt sie auch: "Ich bin dem am loyalsten gegenüber, der das schwächste Glied ist." Da das in der Regel die Kinder seien, holt sie im Ernstfall gemeinsam mit dem Jugendamt auch Kinder aus den Familien. Im Notfall scheue sie daher auch nicht davor zurück, das Jugendamt einzuschalten.

Weil Notsituationen keine Uhrzeit kennen und auch keine Rücksicht auf eine Pandemie nehmen, hat die Drogenberatungsstelle während aller Lockdowns durchgehend weitergearbeitet. Um die Versorgung - vor allem mit den Substitutionsmitteln - gewährleisten zu können, hat Neumeier im ersten Lockdown acht Wochen lang all ihre Mitarbeiter ins Home-Office geschickt, während sie den Laden alleine geschmissen hat. Wäre sie erkrankt, hätte ihr Stellvertreter, der gleichzeitig ihr Sohn ist, übernehmen können und immer so weiter, sagt Neumeier. Vom Gesundheitsamt habe sie sich dafür extra eine Sondergenehmigung eingeholt.

Dieser gute Draht zu den Behörden, das sagt Neumeier ganz offen, sei einer der Gründe, warum sie Kreisrätin geworden ist: "Ich bin Lobbyistin für mein Klientel." Lauscht man ihrem Vortrag aufmerksam, beschleicht einen das Gefühl, dass Suchtkranke und ihre Angehörigen noch weit mehr Menschen gebrauchen könnten, die in ihrem Namen Lobbyarbeit leisten.

Am 6. Juli laden die Kreisrätinnen die Bundestagskandidatinnen der CSU, Grünen und Freien Wähler zum Gespräch ein. Die Veranstaltung ist als Hybrid-Veranstaltung geplant. Nähere Infos folgen.

© SZ vom 15.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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