KZ-Gedenkstätte Dachau:Der Junge, der Auschwitz überlebte

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Nach dem Krieg habe es niemanden interessiert, was er durchgemacht habe, erzählt Peter Gardosch beim digitalen Zeitzeugengespräch. Screenshot: Carla Behnke (Foto: Screenshot: Carla Behnke)

Peter Johann Gardosch war 13 Jahre alt, als ihn die Nazis 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppten. Wenig später wurde er ins KZ-Außenlager Kaufering III deportiert. Bei einem digitalen Zeitzeugengespräch erzählt er, wie ihm kurz vor Kriegsende die Flucht gelang.

Von Carla Behnke, Dachau

"Mit 13 durch die Hölle" - so heißt sein Buch. 2019 ist es erschienen und der Titel fasst das, was dem Dachau-Überlebenden Peter Johann Gardosch widerfahren ist, recht gut zusammen. Der heute 91-jährige Jude aus Siebenbürgen wurde damals, im Mai 1944, aus Ungarn deportiert und in Kaufering-III, Teil des großen Außenlagerkomplex Kaufering des KZ Dachau, verschleppt. Jüdische Häftlinge wurden dort unter menschenverachtenden Umständen gezwungen, Flugzeugteile zu bauen.

Gardosch sprach über seine Erlebnisse bei einem Zeitzeugengespräch, das die KZ-Gedenkstätte veranstaltet und live auf Youtube übertragen hatte. Die Leiterin der Gedenkstätte, Gabriele Hammermann, moderierte das Gespräch und die rund 40 Zuschauer konnten über die Kommentarfunktion Fragen stellen. Das aufgenommene Video ist auf dem Youtube-Kanal der Gedenkstätte weiterhin zu sehen.

Gardosch wurde am 8. November 1930 in Neumarkt am Mieresch geboren, in der Region Siebenbürgen, die damals noch zu Ungarn gehörte. Er war 13 Jahre alt, als im März 1944 die deutsche Wehrmacht in Ungarn einfiel und wurde im Mai desselben Jahres mit seiner Familie festgenommen. Kurz zuvor hatte seine Mutter noch ein Angebot ausgeschlagen, sich in der Jagdhütte eines Familienfreundes zu verstecken: "Deutschland ist ein zivilisiertes Land", habe sie gesagt, erzählt Gardosch. Sie dachte, sie müssten in Deutschland in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten. Erst wurde die Familie von ungarischen Soldaten in eine Ziegelfabrik transportiert, dann in einem Zug nach Auschwitz.

"Diese Fahrt war ein Horror"

70 bis 80 Menschen drängten sich in einem einzigen Wagon. Sie mussten sich einen Eimer Wasser und einen weiteren für die Notdurft teilen. "Diese Fahrt war ein Horror", erzählt Gardosch. In Auschwitz angekommen wurden die Häftlinge in Männer und Frauen, Alte und Kinder aufgeteilt. Das letzte, was der Gardosch von seiner Mutter, Großmutter und jüngeren Schwester sah, war der Strohhut, den die Mutter auf dem Weg für die Feldarbeit geflochten hatte. Sie wurden sofort durch Gas ermordet. Gardosch selbst trug bei der Selektion einen zu großen Mantel und machte sich einige Jahre älter. Nur deshalb überlebte er.

19 Tage waren sein Vater und er im Vernichtungslager im Auschwitz. Jeden Morgen zum Appell brüllte einer der Wachen: "Juden! Wer meldet sich zur Arbeit?" Es kursierte das Gerücht, wer sich meldete, würde direkt vergast werden. Die Rationen, welche die Häftlinge erhielten, waren so kalorienarm, dass sie innerhalb eines Monats verhungern würden. Also beschlossen Vater und Sohn, es zu riskieren: Sie meldeten sich zur Arbeit und wurden nach Kaufering-III gebracht. Dort wählte ein SS-Mann Gardosch als seinen Gehilfen aus, weil der Junge Deutsch sprach. Auch die Tatsache, dass er deswegen leichtere Arbeiten übernahm, habe ihm das Leben gerettet: "Die Arbeit an der Baustelle mit diesen riesigen Flugzeugen, dem Stahl, dem Beton - das hätte ich als Jugendlicher nicht überlebt."

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Kurz vor Kriegsende wurden die Häftlinge auf einen Todesmarsch nach Allach geschickt. Dabei konnten Gardosch und sein Vater entkommen. Der Vater, drei seiner Freunde und er hatten es geschafft, zwei SS-Männer zu überreden, mit ihnen zu fliehen. "Die wussten ja auch, dass der Krieg vorbei war." Es gab einen Unfall, ein LKW raste aus Versehen nachts in die Kolonne. Panik brach aus und die sieben Männer konnten davonlaufen. Eine Weile versteckten sie sich in einer bewaldeten Höhle bei Puch. Später versorgte sie ein Pfarrer aus dem Ort mit Brot und Wasser. Verstecken aber konnte der Pfarrer die Gruppe nicht. Stattdessen schickte er sie zu einem Kloster in Fürstenfeldbruck.

Auf dem Weg dorthin trafen sie amerikanische Soldaten, die erklärten, der Krieg sei beendet. Eine Champagnerflasche hatten sie dabei, mit dem Bajonett geköpft, erzählt Gardosch. Einer von ihnen war auf der Suche nach Verwandten, "die anderen sahen aus wie John Wayne". Für kurze Zeit kamen sie im Kloster unter, bei Pater Emmanuel Heiß, einem "herrlichen Menschen", wie Gardosch ihn beschreibt. Dann erhielten Vater und Sohn von den amerikanischen Besatzern die Papiere, um endlich heimzukehren. Gardoschs Onkel, ein Rechtsanwalt, der im Ersten Weltkrieg gedient hatte und als Held galt, hatte auf ihr Hab und Gut aufgepasst. Er selbst war laut Gardosch zu prominent gewesen, als dass man ihn hätte verhaften können.

"Ich war in Kontakt mit Albert Speer"

Doch mit der Heimkehr wendete sich nicht sofort alles zum Guten. Antisemitismus war nach wie vor weit verbreitet und ist es, so Gardosch, heute immer noch. Er sei damals mit einem "Grad an Naivität" zurückgekommen, im Glauben, dass man anerkennen würde, was er durchgemacht hatte. Der Junge, der in Auschwitz war. Stattdessen ist er zurück in die Schule gegangen. "Ordinär ausgedrückt", sagt Gardosch, es habe "kein Schwein" interessiert, was er durchgemacht habe. Bis heute habe sich das kaum geändert. "Wenn man heute mit dem Taxi durch Budapest fährt, erklärt einem der Taxifahrer, dass die Juden die Welt beherrschen und Rothschild Ungarn verkauft."

Nach der Schule hat Gardosch erst in der Heimat beim Rundfunk gearbeitet und ist 1963 nach Israel ausgewandert. Dann ging er nach Deutschland, studierte und wurde Unternehmensberater. Erst spät gelang es ihm, über die Schrecken seiner Kindheit zu sprechen Inzwischen hat er zwei Bücher veröffentlicht: "Die Wiedergutmachung" (2011) und "Mit 13 durch die Hölle" (2019).

Zum Schluss erzählt Gardosch noch von einer unerwarteten Anekdote: "Sie werden das nicht glauben: Ich war in Kontakt mit Albert Speer." Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1966 versuchte Hitlers früherer Rüstungsminister, skrupellos seine Verbrechen reinzuwaschen. Er schrieb Bücher und gab gerne Interviews. Gardosch erinnert sich an eine TV-Runde, an der Speer teilnahm. Er kannte den Moderator der Sendung und konnte über ihn Kontakt zu Speer herstellen. Gardosch erzählt, er habe Speer angerufen und gefragt, wie er Hitler damals unterstützen konnte. Speers Antwort war simpel. Dieser habe gesagt, so Gardosch: "Ich war 30 Jahre alt und hatte die Möglichkeit, mit dem mächtigsten Mann Europas in Kontakt zu kommen. Da ist es schwer, nein zu sagen."

© SZ vom 05.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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