Neben Zigarettenstummeln, To-Go-Bechern, zerbrochenen Glasflaschen und seit Beginn der Pandemie auch immer mehr FFP2-Masken, findet, wer sich, wie Wolfgang Klade die Mühe macht, den auf die Straße und ins Gebüsch geworfenen Müll aufzusammeln, allerlei Abstruses: Allein auf seinen Streifzügen durch sein Viertel im Oberaugustenfeld in den vergangenen Wochen hat Klade drei Schwangerschaftstests gefunden, unweit davon Schnapsflaschen und Schnuller. Der Klimaaktivist hat aber auch schon Windeln, Fahrradreifen oder einmal sogar ein Sofa gefunden. Als er jetzt nahe der Unterführung in der Augustenfelder Straße noch einmal die Böschung hochklettert, um zu zeigen, wie schnell so eine Mülltüte voll wird, findet er einen kaputten Beutel mit mehreren, teilweise noch vollen Spraydosen darin. Keine Viertelstunde und der Sack ist gefüllt. "Es ist echt traurig, wie schnell das geht", sagt Klade. Eine vorbeigehende Frau mit Hund nickt anerkennend. "Das finde ich toll, dass ihr das macht", sagt sie, da gehöre schon etwas dazu. Nur wenig später wirft Klade den schwarzen Müllbeutel zu den etwa 40 anderen große Tüten, die ebenfalls alle voll mit Müll sind und vor seiner Garage liegen. Sie sind der Beitrag der Dachauer People-for-Future und Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) zum globalen Weltklimastreik, der am 19. März stattfindet.
In vielen Ländern auf der ganzen Welt und auch in vielen deutschen Städten wird zwar anlässlich dieses Tages trotz Pandemie auf den Straßen demonstriert, in Dachau haben sich die Aktivisten aber bewusst dagegen entschieden. Zu viel Aufwand und bei dem Wetter, das nicht so recht weiß, was es will, wären wohl ohnehin nur sehr wenige Teilnehmer zu erwarten gewesen, sagt Klade, wenn man fragt, warum. Auf die Idee gebracht, stattdessen Müll zu sammeln, hat die Dachauer Aktivsten letztlich Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der selbst von den Chaos City Riders zum Sammeln aufgerufen worden war und dann seinerseits statt dem alljährlichen gemeinsamen Ramadama, das im Landkreis seit Jahren Tradition hat, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt zum Müllsammeln aufgerufen hat - coronabedingt aber eben nicht wie sonst im Pulk, sondern alleine oder zu zweit.
Hartmann selbst hat erst vor ein paar Tagen in seiner Mittagspause eine Mülltüte vollgemacht, ein Bild davon hat er in den sozialen Netzwerken gepostet und seinerseits unter anderem Landrat Stefan Löwl (CSU) aufgefordert, es ihm gleich zu tun. An diesem Freitag ist Hartmann aber gekommen, um von Klade, Karin Beittel von den Grünen in Bergkirchen und drei jungen Aktivsten den Müll symbolisch entgegenzunehmen. Beteiligt an der Aktion haben sich auch das Bündnis für Dachau und Volt. Damit es nicht zu einem Menschenauflauf kommt, haben die meisten ihre Säcke aber schon vor ein paar Tagen abgeliefert. Abholen wird den ganzen Müll der Bauhof. Das mache er übrigens auf Wunsch bei allen Bürgern, sagt Hartmann, und betont: "Wir kommen auch wegen zwei Säcken." Die Aktion der Stadt läuft noch bis einschließlich Freitag, 26. März.
Die Klimakrise beendet das bisschen gesammelten Unrat zwar nicht, aber der doch recht ansehnliche Müllberg sorgt immerhin wieder für ein wenig mehr Aufmerksamkeit für das Thema, das von der Coronakrise zwischenzeitlich nahezu völlig verdrängt worden ist - und das ist, wenn es nach Klade geht, auch dringend nötig, ja längst überfällig. Er selbst engagiert sich seit der Gründung von People-for-Future Dachau im September 2019 verstärkt für das Klima. Die Gruppierung, die sich vor allem aus Eltern von jungen Klimaaktivisten und anderen, interessierten Erwachsenen zusammensetzt, wolle, so Klade, "den Enthusiasmus der Jugend durch Erfahrung ergänzen". Und auch wenn die älteren Klimaaktivisten vielleicht bislang als Organisatoren nicht so sichtbar gewesen seien, habe man doch alle größeren Aktionen der Vergangenheit, wie etwa die Klimastreiks oder auch die Infostände zur Kommunalwahl im vergangenen Jahr, zusammen organisiert.
"Meine Generation hat es versaut", sagt Klade auf die Frage, warum er sich engagiert. Seit er selbst Kinder habe, sei es ihm ein Anliegen, Verantwortung zu übernehmen. Klade schätzt, das es in Dachau zwischen 50 und 100 Gleichgesinnte gibt. Weitere Unterstützer wie Beittel aus Bergkirchen haben durch Aufrufe versucht, auch im übrigen Landkreis Menschen für die Aktion zu mobilisieren.
Jonathan Berger ist einer der jüngeren Klimaaktivisten aus Dachau. Der 16-Jährige ist ebenso wie Klade von Beginn an dabei, er sitzt aber auch für die Grünen im Dachauer Jugendrat. Bevor Streiks in Dachau organisiert wurden, war Jonathan auf den Demos in München. Für ihn ist sein Engagement alternativlos, auch wenn viele seiner Freunde das nicht so sehen. Dafür braucht er seine Eltern nicht mehr zu überzeugen, seine Mutter engagiert sich wie Klade für People-for-Future. Ob es altersbedingte Unterschiede gibt? Über Einzelheiten werde natürlich immer wieder diskutiert, sagt Jonathan, im Kern sei man sich aber einig. Auch Klade will sich lieber auf die Gemeinsamkeiten innerhalb der Bewegung konzentrieren, als auf die Unterschiede: "Es gibt so viel, was uns eint."
Neben Jonathan, der sich auch über die medienwirksamen Aktionen hinaus engagiert, sind spontan auch Clara Kloiber und Clara Müller-Sohnius, beide 18, gekommen, um ihre Mülltüten vorbeizubringen. Dass sie gerade erst vom Sammeln kommen, sieht man an ihren mit Matsch bespritzten Hosen und dreckigen Schuhen. Von der Aktion erfahren hätten sie über eine Whatsapp-Gruppe und über Instagram, erzählen sie gerade, als eine Frau im schwarzen Auto vorbeifährt, auf dem in weißer Schrift Sprüche stehen wie "Freiheit braucht Mut". "Das ist die Gegendemo", sagt Klade trocken. Er meint die Querdenker-Bewegung.
Man sei dankbar für die Unterstützung aus der Bevölkerung, sagt Oberbürgermeister Hartmann unterdessen, "denn wir schaffen das nicht mehr alleine als Stadt". Seit Beginn der Pandemie sei der Müll immer mehr geworden. Als er in der Hexengasse und am Schlossparkplatz gesammelt habe, sei er "schockiert" gewesen, wie schnell der Müllsack voll gewesen sei.
Als Stadt sei man bemüht, so Hartmann, einen Beitrag zu mehr Klimaschutz zu leisten. Zwar könne man als Kommune nicht über die Rahmenbedingungen entscheiden, das bedeute aber längst nicht, dass man vor Ort nichts machen könne. Bislang laufe die Umsetzung konkreter Projekte aber noch "zu unkoordiniert", so Hartmann. Eine Art Klimaschutzmanager, für den sich erst unlängst trotz angespannter Finanzlage eine Mehrheit im Dachauer Stadtrat ausgesprochen hat, solle nun mehr Struktur reinbringen.
Ob das reichen wird, um die Forderungen der Klimaschutzaktivisten zu erfüllen, ist mehr als fraglich. Nach dem Pariser Klimaabkommen soll die Erderwärmung auf mindestens zwei Grad - besser noch 1,5 Grad - begrenzt werden, doch um dieses Ziel zu erreichen, müssten alle Staaten, die unterzeichnet haben - inklusive Deutschland - weitaus drastischere Maßnahmen ergreifen, als das bislang der Fall ist. Auch die Müllsammelaktion wird den Klimawandel nicht stoppen. Trotzdem finden Klade und die anderen es wichtig, auch im Kleinen mit gutem Beispiel voranzugehen. Gar nichts zu tun, sei schlicht keine Option. Nicht umsonst lautet das Motto des diesjährigen globalen Klimastreiks "No more empty promises", keine leeren Versprechen mehr. Zumindest die Mülltüten sind jedenfalls alles andere als leer.