Musikszene in Dachau:Rock und Pop statt Brettlbühne

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Kulturamtsleiter Tobias Schneider hat eine Vision: Dachau soll sich zur wichtigen Konzertstadt für internationale Bands entwickeln. Und er ist erfolgreich.

Gregor Schiegl

Nachdem die letzten Klänge der amerikanischen Band The National auf dem Rathausplatz verklungen waren, konnte ein Fan nicht mehr an sich halten. Wahnsinn, schrie er. The National! Live! In Dachau! Wahnsinn! Die Feuilletons schwärmen von der amerikanischen Rockband um Sänger Matt Berninger.

Seit 2004 ist Tobias Schneider Kulturamtsleiter in Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nicht nur in den USA, auch hierzulande. "The National werden wohl nie bei Starbucks den Soundtrack für einen Karamell-Macchiato in der Sesseloase beisteuern", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Für eine Indie-Band ist das kein Tadel.

Indie - kurz für Independent Music - ist eine Musikrichtung, die ausschließlich von kleinen Independent-Labels vertrieben wird. Eine Bewegung, die sich emanzipiert hat von den kommerziellen Vorgaben großer Plattenkonzerne mit ihrem Mainstream-Pop. Inzwischen zählt diese alternative Musikszene viele Anhänger.

The National füllt in Berlin problemlos Konzerthallen wie das Huxley's. Kein Wunder, wenn sich auch Münchner Konzertveranstalter die Finger lecken nach einem Act wie The National. Aber wo treten sie auf? In Dachau. Wahnsinn!

Hinter diesem Wahnsinn steckt Tobias Schneider, Leiter des Amts für Kultur, Tourismus und Zeitgeschichte in Dachau. Er ist gerade dabei, die Kreisstadt, 20 Kilometer von der Landeshauptstadt München entfernt, als "kleine Indie-Stadt fürs ganz Besondere" zu etablieren. Schritt für Schritt. Kann man das noch ambitioniert nennen? Oder ist das schon größenwahnsinnig? Und wer ist dieser Tobias Schneider überhaupt?

Der 36-Jährige ist ausgebildeter Theaterregisseur, er hat Literatur und Philosophie studiert und, ist mit der Schauspielerin Karen Breece verheiratet; sie haben eine Tochter. Bevor er 2004 nach Dachau kam, hat Schneider das Kulturprogramm der Landesgartenschau in Burghausen ausgerichtet.

Er ist zweifellos ein Mann mit Managerqualitäten - ein Hans Dampf ist er nicht. Wenn er spricht, dann erhebt er die Stimme nicht mehr als notwendig. Kein Großsprecher also.

Man muss wissen, dass Schneiders Vision der Indie-Stadt nicht an einem übermütigen Abend am Biertisch entstanden ist. Vielmehr haben die Ideen über drei Jahre hinweg langsam Gestalt angenommen. Man könnte auch sagen: Tobias Schneider hat ihnen Gestalt gegeben.

Es begann 2007. Schneider rief beim Europa-Manager der amerikanischen Wüstenrockband Calexico an. Der Manager heißt Berthold Seliger und kommt aus Fürstenfeldbruck. Es war ein Versuch. Hätte ja sein können, dass die Band irgendwann mal in der Nähe tourt. Und wie der Zufall will, hatte Calexico im Tourplan tatsächlich noch eine kleine Lücke frei. Es war kein besonders attraktiver Termin, mitten unter der Woche. Dafür war der Preis günstig. Schneider griff zu. So gelang ihm der erste Coup.

Die tausend Karten für das Open-Air am Rathausplatz waren sofort weg.

Wenige Monate später holte Schneider den gefeierten US-Folk-Sänger Sam Beam ( Iron & Wine) zu einem Konzert in die altehrwürdige Renaissance-Kirche von Sankt Jakob.Iron & Wine kamen direkt von Wien nach Dachau; gleich danach ging's weiter nach Brüssel. Die Kulturmetropole München guckte in die Röhre. Und so ging es weiter.

Schneider knüpfte mit Seligers Unterstützung Kontakte, sammelte Referenzen und Erfahrungen. Diese Erkenntnisse haben sich inzwischen zu einer Art Drei-Bühnen-Konzept verdichtet: Die Open Airs im Dachauer Musiksommer bieten den ganz großen Rahmen für bis zu 2000 Besucher. Kleinere Auftritte bis 300 Besucher legt Schneider in die Kirche. So wie heute. Da tritt mal eben Mark Lanegan auf, ehemaliger Sänger der Screaming Trees - das Konzert ist, natürlich, ausverkauft.

Seit Neuestem gibt es auch noch eine städtische Bühne für das kleine Format: Die zur Kultur-Schranne umgebaute Markthalle bietet Platz für 20 bis 100 Besucher, eine ideale Plattform, um weniger bekannte Künstler wie The Great Park vorzustellen. "Hier können wir als Kommune auch unseren Kulturauftrag wahrnehmen", sagt Tobias Schneider.

Kulturauftrag? Es gibt böse Zungen, die behaupten, Dachaus Kulturamtsleiter finanziere letztlich sein Hobby aus Steuermitteln. Richtig ist, dass Tobias Schneider nach einer musikalisch eher anspruchslosen Jugendphase ("Ich habe immer die Charts gehört") eine flammende Begeisterung für Independent-Musik entwickelt hat: für Iron&Wine, für Calexico. The National bezeichnet er selbst als seine Lieblingsband.

Für die wachsende Zahl der Neider aus den privaten Musikclubs kann Schneider sogar ein gewisses Verständnis aufbringen. "Wir haben als Kommune Möglichkeiten, die private Veranstalter so nicht haben." Viele Steuern und Gebühren, die sonst bei Konzerten anfallen, könne sich die Kommune sparen. Ergebnis: "Bei den Künstler kommt mehr vom Geld an." Das lockt nach Dachau.

Aber Dachau ist keine Stadt wie jede andere. Durch den Bau des ersten KZs auf deutschem Boden ist Dachau weltweit zum Synonym für die Gräuel des Nationalsozialismus geworden. Die Stadt versuchte das über Jahrzehnte hinweg mit einem gefälligen Bild vom "anderen Dachau" zu übertünchen: Dachau, die Stadt des Volksdichters Ludwig Thoma. Dachau, die Künstlerkolonie.

Das hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU) hat die Stadt neu ausgerichtet als "Lern- und Erinnerungsort". Schneiders Konzept von der kleinen Indie-Stadt ist kein Widerspruch dazu, im Gegenteil. Sie ist eine Erweiterung. Gerade die Musiker der Indie-Szene seien sehr offen und politisch interessiert, "da kommt man auch mal ins Gespräch".

Einmal habe er acht Musiker in einem Kombi zur KZ-Gedenkstätte gefahren, erzählt Schneider, sie wollten unbedingt dort hin. Vielleicht, so Schneiders Hoffnung, tragen die Künstler ja auch eine Botschaft in die Welt hinaus. Von einer Stadt, die langsam lernt, mit ihrer Vergangenheit umzugehen.

© SZ vom 24.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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