Mittelalter-Folk:Ein kleines Sommermärchen

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Bei ihrem Auftritt auf der Ludwig-Thoma-Wiese verzichtet die Mittelalter-Folk-Band "Faun" auf eine große Bühnenshow. Ihre musikalischen Qualitäten kommen dafür umso stärker zum Tragen. Das Publikum ist hingerissen

Von Eva Waltl, Dachau

Engelsgleiche Stimmen erklingen auf der Dachauer Ludwig-Thoma-Wiese, eine große Harfe thront auf der Freilichtbühne, Menschen tänzeln durch die Stuhlreihen. Mit der sich langsam ausbreitenden Kälte schweben fünf dunkle Gestalten unter dem orangenen Licht der untergehenden Sonne auf die Bühne. "Habt ihr uns noch erkannt? Es fühlt sich surreal an, vor euch zu stehen", ruft Oliver "Satyr" Pade, organisatorischer Leiter der Band Faun in sein Mikrofon. Er würde seiner unermesslichen Freude am liebsten Ausdruck verleihen, indem er jedem Zuschauer den "Ellenbogen schüttelt." Wäre es nur erlaubt. Es ist ein besonderes Konzert in einer besonderen Zeit. Keine gigantische Bühne, kein aufwendiges Bühnenbild, keine virtuose Einlage des Bandmagiers. Stattdessen: eine akustische Reise durch Raum und Zeit. Wo die Musiker sonst ihre Klänge mit Elektroschnipseln zu unterlegen pflegen, singen sie am Samstagabend beim "Dachauer Musiksommer" begleitet von Streichinstrumenten und Flöten von Sehnsuchtsorten in Andalusien, finnischen Pferdemythen und wildschweinbratenden Kelten in der französischen Bretagne. Leiser, sanfter, kleiner als üblich.

Das erste Lied des Abends "Adam Lay Ybounden" katapultiert die Zuschauer ohne Umwege in das spätmittelalterliche England. Bei mehrstimmig harmonisch klarem Gesang und zarter Flötenmusik findet man sich nicht mehr auf dem rauen Kies der Ludwig-Thoma-Wiese in Dachau wieder, sondern inmitten eines nach Wildblüten duftenden Waldes, wo hinter jedem Baum Elfen anmutig hervorschweben und in Kreisen leichtfüßig tanzen. Riecht es tatsächlich nach nassem Moos?

Die Musiker der Band "Faun" auf der Bühne: Stephan Groth, Adaya Lancha Bairacli, Oliver Pade, Laura Fella und Ruediger Maul (von links). (Foto: Toni Heigl)

Von England geht es weiter nach Südspanien. Inspiriert von einem andalusischen Rosmarinzweig und Kräuterfrauen singt er das gleichnamige Lied "Rosmarin". Bei diesem Lied kommt sein ganzes Lyriktalent zum Vorschein. Er erntet tosendes Klatschen. "Es fühlt sich so viel besser an, Applaus zu hören, als einen Daumen auf Facebook zu sehen", freut sich Pade.

Das Konzept des Dachauer Musiksommers macht es möglich: 400 Stühle, je zwei nebeneinander, dann eineinhalb Meter Abstand, durchgängige Kontrolle durch Ordnungshüter, Maskenpflicht bei Ein- und Austritt. Ob man gemäß der Hygieneverordnung Unterwäsche auf die Bühne werfen dürfe, darüber bekundet Sänger Pade jedoch seine Unwissenheit. Insgesamt finden vier Konzerte dieser Art in Dachau statt, die Band Faun tritt als zweiter Interpret auf und das Interesse ist groß. Aus Wiesbaden ist Faun-Anhänger Florian Oechsle angereist und gibt sich euphorisch. Besonders die "vielfältige Mischung und das mittelalterliche Flair" gefalle ihm.

Vieles an Faun entspricht dem Klischee das man gemeinhin mit dem Mittelalter verbindet. Rasselnde Schellen, dunkle, beinah düstere Kostüme und die holde Maid, der ein Jüngling die Hand zum Tanze reicht. Wodurch sich die Band Faun aber von dem stereotypisierten und auch etwas negativ behafteten Genre des Neofolk gezielt abgrenzt, ist ihre unbändige Diversität und ihr Tiefgang. Sowohl was ihr musikalisches Können betrifft - sind sie ja allesamt Koryphäen auf ihrem Instrument - als auch die Thematiken betreffend, die sie in ihren Liedern aufgreifen. So entsteht der Begriff "Pagan Folk", den die Band eigens für ihren unverwechselbaren Stil kreiert hat. Mit Erfolg: "Von den Elben" ist der meist verkaufte Tonträger im Genre Mittelalter-Pop überhaupt, alle Alben landeten in den Top-Ten. So auch das jüngste Album "Märchen & Mythen", das im November 2019 veröffentlicht wurde, auf Platz sechs. Es ist ein Paradebeispiel des Genres.

Das Sitzkonzert auf der Ludwig-Thoma-Wiese erfüllt die Hygienemaßnahmen. 400 Zuschauer können an der Veranstaltung teilnehmen. (Foto: Toni Heigl)

Die aus Gräfelfing stammende Band versucht, das mittelalterliche Frauenbild zu revolutionieren und greift dabei tief in die Märchentrickkiste. Uralte Sagen erklingen neu und die Grimmschen Erzählklassiker rücken in ein anderes, neues Licht: romantisch, poetisch, ernst, tiefgründig. Die Texte der Band sind vielschichtig und klammern auch schwierige Themen nicht aus. Mit leichtfüßiger Verspieltheit behandeln sie beispielsweise den Tod. Allegorisch steht da eine Brücke, die die Reise in das Jenseits versinnbildlicht. Eine tanzende Reise, denn der Tod ist keineswegs länger furchteinflößend, vielmehr hopst, rennt und springt man ihm entgegen. Der Himmel verdunkelt sich unterdessen und die Sterne funkeln klarer auf das Publikum herab, in dessen Rücken sich die beleuchtete Altstadt auftut. Auf der kleinen Bühne erklingt nun ein ungarisches Volkslied, das mit Elementen griechischer Volkstänze gespickt ist und bei dem das Publikum sein Rhythmusgefühl unter Beweis stellt.

Laura Fella, eine der beiden Sängerinnen, steht in einem schwarzen, sanft fallenden Kleid auf der Bühne. Ihre Wangen sind rosig, ihr blondes langes Haar ist gelockt. Engelsgleich ihre Erscheinung, zerbrechlich zart ihre Stimme. Sie singt auf spanisch, und in diesem Moment erweicht selbst das letzte bis dahin noch steinern gebliebene Herz. Das Echo ihrer Stimme hallt noch auf dem Platz, während die Mikros schon abgestellt wurden. Dreifaches Verbeugen, Winken und ein graziöser Knicks. "Das war wirklich ein besonders schöner Moment für uns", haucht Pade. Spiegelt sich das helle Licht der Sterne in seinen Augen oder sind es Tränchen? Auch die Frage, ob man aus Hygienegründen Unterwäsche auf die Bühne werden darf, bleibt - zum großen Bedauern der Bandmitglieder - bis zum Ende des Abends ungeklärt.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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