Dachauer Familien in der Pandemie:Kinder fühlen sich häufiger einsam

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Für viele Kinder im Landkreis Dachau ist die Pandemie sehr belastend. (Foto: dpa)

In einer Online-Befragung unter den Familien im Landkreis hat das Kommunale Bildungsmanagement am Landratsamt ermittelt, wie es den Kleinsten in der Pandemie geht. Das Ergebnis ist alarmierend.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Wie hat sich der Alltag von Kindern durch Corona im Kindergarten- und Schuljahr 2020/21 verändert und wie sind die Kinder sowie deren Familien damit umgegangen? Diese Frage hat das sich das Kommunale Bildungsmanagement gestellt. Um eine Antwort auf diese komplexe Frage zu bekommen, wurden im September dieses Jahres zahlreiche Eltern im Landkreis Dachau befragt. Allein die rege Beteiligung - gerechnet hatte Bildungsmanager Dardan Kolic mit ein paar hundert ausgefüllten Fragebögen, am Ende waren es mehr als 1000 - macht deutlich, wie wenig sich Erziehungsberechtigte bislang gehört gefühlt haben: Die Antworten, vor allem was den Gemütszustand von Kindern, Eltern, ja ganzen Familien anbelangt, sprechen Bände. Denn auch wenn sich hinter den Antworten viele individuelle Schicksale verbergen, zeichnen die Studienergebnisse doch ein klares Bild: Den Kindern fehlt es an sozialen Kontakten im echten Leben, Zuflucht suchen viele in der digitalen Welt. Glücklich macht sie das jedoch nicht, negative Gefühle haben zugenommen. Überraschend sind die Ergebnisse der Studie nicht. Doch es ist wichtig, das, was längst vermutet wurde, mit Daten, sprich Fakten, zu belegen. Davon ist auch Kolic überzeugt, der mit seinem Team erst seit diesem Sommer schwerpunktmäßig für das Bildungsmanagement im Landkreis zuständig ist: "Das war unsere erste Befragung, aber bestimmt nicht die letzte."

Die Online-Befragung richteten sich schwerpunktmäßig an Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren sowie deren Eltern und umfasste insgesamt 47 Fragen. Rund ein Drittel - insgesamt 357 Personen - nutzten zudem die Möglichkeit, ergänzende Kommentare zu schreiben. Mit 495 Fragebögen, die von Familien, deren Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen, und 593 Fragebögen, die von Familien, deren Kinder die Grundschule besuchen, gibt die Befragung ein relativ guten Überblick darüber, wie es den Kleinsten, aber auch den etwas Größeren im Landkreis geht und wie sich ihr Alltag durch die Pandemie verändert hat. Ausgefüllt haben den Fragebogen - das dürfte wenig überraschen - mit 84,1 Prozent zum Großteil Frauen, sprich die Mütter.

Um zu erfahren, in welchem Umfeld die Jüngsten der Gesellschaft überhaupt leben, beziehen sich die ersten Fragen gar nicht auf die Kinder selbst, sondern an deren Erziehungsberechtigte. Was abgefragt wird, ist dabei sehr vielfältig. So geht es etwa darum, ob die Muttersprache der Eltern deutsch ist - in 89 Prozent der Fälle ist das zutreffend -, ob es einen Partner, eine Partnerin gibt - in 92 Prozent der Fälle ist das der Fall - aber auch welchen Bildungsgrad die Erziehungsberechtigten haben und ob sie einer Tätigkeit nachgehen. Relativ schnell wird beim Blick auf die Antworten klar, dass die meisten der Befragten offenbar keine Migrationsgeschichte haben oder zumindest deutsche Muttersprachler sind. Bildungsmanager Kolic weist allerdings in diesem Zusammenhang darauf hin, dass insgesamt auch nur "unter 18 Prozent Pass-Ausländer" im Landkreis leben. "Pass-Ausländer heißt natürlich nicht Migrationsgeschichte, und 18 Prozent ist nicht 11 Prozent, jedoch war es persönlich für mich sehr erfreulich und zufriedenstellend, dass 11 Prozent der Befragten Eltern mit Migrationsgeschichte waren", so Kolic.

Auch Alleinerziehende sind in der Studie augenscheinlich kaum vertreten. Unter jenen, die an der Umfrage teilgenommen haben, haben außerdem weit über die Hälfte mindestens einen Realschulabschluss, haben das Abitur gemacht oder einen Hochschulabschluss; 23 Personen haben gar promoviert. Die überwiegende Mehrheit von 84 Prozent ist in einem Angestelltenverhältnis, nur je acht Prozent geben an, selbständig oder ohne eine Beschäftigung zu sein. Mit 45 Prozent arbeiten knapp weniger als die Hälfte aller Befragten zwischen 20 und 34 Stunden pro Woche, nur 33 Prozent arbeiten mehr als 35 Wochenstunden. Anders sieht es aus, wenn man nach der Arbeitszeit des jeweiligen Partners fragt. Dort wird angegeben, dass dieser mit 86 Prozent mehr als 35 Wochenstunden arbeitet.

Die Arbeitszeit hat sich bei 50 Prozent der Befragten pandemiebedingt nicht verändert, nur 27 Prozent geben an, nun weniger zu arbeiten. 21 Prozent arbeiten sogar mehr als noch vor der Pandemie. Mit 73 Prozent hat jedoch ein Großteil zumindest teilweise im Home-Office oder zumindest zu flexibleren Arbeitszeiten gearbeitet. Auf die Partner trifft das mit 64 Prozent wiederum etwas seltener zu. 51 Prozent geben an, mit dem Einkommen "bequem leben" zu können, weitere 40 Prozent kommen zurecht. Allein sieben beziehungsweise ein Prozent geben an, nur schwer oder gar sehr schwer zurechtzukommen. Betroffen sind vor allem Alleinerziehende oder Menschen, deren Partner nicht im selben Haushalt lebt: Hier gaben ganze 22 beziehungsweise 33 Prozent an, Schwierigkeiten mit dem Einkommen zu haben.

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Ab Frage 19 geht es dann speziell um die Lebensverhältnisse der Kinder. Zum Beispiel wird gefragt, ob jedes Kind - mit 60 Prozent leben in mehr als der Hälfte der Haushalte zwei Kinder - über einen Rückzugsort in Form eines eigenen Kinderzimmers verfügt. 83 Prozent bejahen dies. Weiter geht es darum, von wem die Kinder während der Corona-Maßnahmen betreut worden sind. 94,1 Prozent geben dabei an: "Von mir", sprich von der Mutter. 70,5 Prozent geben an, dass sich der Partner beziehungsweise der andere Elternteil gekümmert habe. Weitere 39,7 Prozent geben an, dass das Kind in einer Kita, 17,7 dass das Kind in der Schule betreut worden ist. Bei 32,4 Prozent haben die Großeltern die Betreuung übernommen.

Zugenommen hat bei vielen Kindern die Internetnutzung und das Zocken von Computerspielen - und das auch ganz ohne Kontrolle der Eltern. Auch das "Nichtstun" hat im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten mit 31,3 Prozent zugenommen. Gleichwohl geben viele Eltern auch an, dass ihr Kind noch genauso viel bastelt oder ein Musikinstrument übt wie zuvor. Enorm zugenommen hat die Zeit, die das Kind mit der Mutter und etwaigen Geschwistern verbracht hat. Etwas mehr Zeit haben Kinder auch mit ihrem Vater verbracht. Rund 53,5 Prozent der Befragten geben jedoch an, dass der Kontakt ihrer Kinder zu Freundinnen und Freunden "deutlich weniger geworden" ist. Mit 34,2 Prozent haben viele auch ihre Großeltern deutlich weniger gesehen. In beiden Fällen wurden persönliche Treffen durch den Austausch über die sozialen Medien ersetzt.

Dazu passt, dass etwa 10,9 Prozent angeben, es stimme "voll und ganz", das ihr Kind einsam gewesen sei im vergangenen Schuljahr. 25,3 Prozent der Befragten geben allerdings an, dass das teilweise zugetroffen haben. Auch dass ihr Kind sich eher einsam gefühlt und sich ausgeschlossen gefühlt habe, bestätigen zwischen 20 und 30 Prozent. Vor Corona, auch das geben viele Eltern an, sei ihr Kind mit 27,4 Prozent sehr häufig glücklich gewesen. Lediglich 9,2 Prozent können das während Corona noch bestätigen. Gleichzeitig häufen sich Gefühle wie Nervosität, Angst und Trauer. Laut Angaben der Eltern hat sich bei ganzen 70 Prozent der Kinder "mindestens ein emotionaler Aspekt verschlechtert". Auch Kopfschmerzen und Zappeligkeit nehmen zu, wohingegen die Bewegung in vielen Familien abgenommen hat. In der Konsequenz sei es vermehrt zu Streitigkeiten innerhalb der Familien gekommen.

Die Studie zur Situation von Kindern in der Pandemie ist die erste Studie von Bildungsmanager Dardan Kolic und seinem Team - es soll aber nicht die letzte gewesen sein. (Foto: Landratsamt Dachau)

Die umfassenden Ergebnisse der Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der EU gefördert worden ist, liegen nun also vor. Doch was nun? Mit einer "tiefergehende Analyse, in der fragenübergreifende Schlussfolgerungen möglich sind", wurde laut Bildungsmanager Kolic bereits begonnen. Zudem sollen noch dieses Jahr "Workshops mit der schulpsychologischen Beratungsstelle, den Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und weiteren Bildungsakteuren" stattfinden.

Klar dürfte schon jetzt sein: Jede Studie ist immer nur so gut wie ihre Teilnehmenden. Die komplette Bandbreite an Erziehungsberechtigten und ihren Kindern abzubilden, ist gleichwohl schwer. So haben etwa nur vergleichsweise wenige Väter den Fragebogen ausgefüllt, auch Menschen mit Migrationsgeschichte und niedrigeren Bildungsabschlüssen haben prozentual weniger teilgenommen. Ob etwa Letzteres repräsentativ für den Landkreis Dachau sei, vermag Kolic nicht zu beantworten - hierzu fehlen bislang die Daten. Grundsätzlich hält es der Bildungsmanager aber durchaus für wahrscheinlich, dass bestimmte Personengruppen in der Studie unterrepräsentiert sind, womöglich auch, weil man sie bislang nicht erreicht habe. Das selbsterklärte Ziel sei, das betont Kolic, "Bildung für alle", und daran arbeite man "motiviert und optimistisch". Gleichwohl sei man jedoch "realistisch genug zu wissen, dass es eine große Herausforderung ist". Weitere Studien dieser Art - auch "zielgruppenspezifische Befragungen" - sollen in Zukunft helfen, diese Lücken zu schließen.

Parallel bemüht sich das Kommunale Bildungsmanagement schon jetzt um einen "niedrigschwelligen und unkomplizierten" Weg des Austausches mit Eltern und hat dafür die digitale Veranstaltungsreihe "Raum für Begegnung (Bildung)" auf die Beine gestellt. Einmal im Monat Abends bekommen dort Eltern neue Anregungen, Ideen und Tipps für ihre Kinder - digital und kostenlos. "Die Themenauswahl ist groß und reicht von guten Apps bis hin zu Methoden, wie das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt werden kann", so Kolic. Es sei uns klar, dass es dafür nicht unendlich viele Ressourcen gebe für solche Angebote und die dafür benötigten Gelder. Doch die Daten aus der Elternbefragung könnten helfen, so hofft Kolic, Fördergelder oder andere Mittel noch besser einzusetzen, denn "bis jetzt konnten wir Sachen vermuten - nun haben wir Daten, mit denen wir Bedarfe belegen können". Und tatsächlich belegen die Zahlen sehr deutlich: Die Situation alle Befragten hat sich durch die Pandemie verschlechtert - ganz unabhängig von der Ausgangslage. Gerade deshalb darf die Datenerhebung aber nur der erste Schritt sein.

© SZ vom 25.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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