Der Streit um die Nachbesetzung der pädagogischen Leitung an der KZ-Gedenkstätte Dachau ist entschieden: Die Stelle wird erneut ausgeschrieben. "Wir werden jetzt mit den Verantwortlichen in der Gedenkstätte im Sinne einer kollegialen und sachorientierten Zusammenarbeit in den Dialog treten und beabsichtigen, die Ausschreibung neu aufzusetzen", sagte Karl Freller, der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätte am Freitagnachmittag. Der Personalrat der Dachauer Gedenkstätte nahm die Nachricht höchst erfreut zur Kenntnis: "Wir begrüßen sehr, dass jetzt neuausgeschrieben wird. Das haben wir von Anfang an gefordert", sagte Personalratsvorsitzender Guido Hassel.
Der Dachauer Stellenstreit hatte sich in den vergangenen Tagen immer weiter hochgeschaukelt. Seit Herbst 2020 fehlt ein Leiter an der Bildungsabteilung. Mangels überzeugender Bewerber wollte Freller seine Büroleiterin Erika Tesar zur neuen Chefin der Bildungsabteilung machen. Dagegen protestierten der Personalrat und ein großer Teil der Belegschaft. Sie kritisierten, dass Freller weder den Personalrat noch den Stiftungsrat in seine Entscheidung eingebunden hatte und dass der promovierten Politikwissenschaftlerin Erika Tesar die nötige pädagogische Qualifikation für den Posten fehlt. Der Konflikt um die Personalie lief aus dem Ruder. Fast täglich meldeten sich verschiedene Menschen und Verbände zu Wort, die in der Erinnerungsarbeit aktiv sind. Sie trieben so indirekt eine Polarisierung der Debatte voran, in der sich auch der Ton verschärfte. Gleichwohl stimmten alle Beteiligten darin überein, dass der Streit den (auch internationalen) Ruf der wichtigsten KZ-Gedenkstätte Deutschlands nachhaltig beschädigt.
Jetzt hat Freller eingelenkt. Der Stiftungsdirektor und Landtagsvizepräsident (CSU) muss damit eine persönliche Niederlage einstecken. Gleichwohl betont Freller selbst auf Nachfrage, den Ausgang des Stellenstreites nicht als Niederlage zu sehen. Denn es gebe weder Gewinner noch Verlierer, wenn der Ruf der Gedenkstätte beschädigt werde, so Freller. Er sei froh, eine wichtige Debatte angestoßen zu haben, nämlich die um die Fragen, wie in Zukunft Nachkommen von NS-Opfern in Gedenkstätten eingebunden werden sollten und wer die "empathische" Rolle in der Erinnerungsarbeit übernehme, wenn es irgendwann keine Zeitzeugen mehr gebe. "Das ist eine Diskussion, die es wert ist, geführt zu werden, und die nun hoffentlich weiterlaufen wird", sagte Freller. Er wollte seiner Büroleiterin Erika Tesar die Stelle auch wegen ihrer Familiengeschichte geben. Erika Tesars Urgroßvater und zwei seiner Brüder wurden in Konzentrationslagern ermordet, weil sie Juden waren. Dafür bekam Freller Rückendeckung von Abba Naor. Der 92-jährige Holocaust-Überlebende hatte sich für Erika Tesar ausgesprochen und gefordert, dass das Ansehen der Gedenkstätte nicht weiter durch "scharfe Töne" gefährdet werden solle. Jetzt ist auch Abba Naor, der den Streit von Isarel aus beobachtete, mit der erneuten Ausschreibung einverstanden. Das Vorgehen entspreche dem Wunsch des ehemaligen Dachau-Häftlings Abba Naor, teilte die Stiftung am Freitag mit.
Michael Piazolo begrüßt die Neuausschreibung
Während die Debatte um die Einbindung der Nachfolgegenerationen von KZ-Opfern nun, wie Freller hofft, weitergeht, dürfte sich der Dachauer Stellenstreit letztlich auf der arbeitsrechtlichen Ebene entschieden haben. Noch immer ist unklar, ob Freller nicht vielleicht doch den Personal- und Stiftungsrat in seiner Entscheidung mehr einbinden hätte müssen und somit rechtswidrig gehandelt hat. Auf einen langen Rechtsstreit, der dem Ansehen der Gedenkstätte noch mehr geschadet hätte, wollte sich niemand einlassen. Auch aus dem Kultusministerium, das als Rechtsaufsichtsbehörde der Stiftung Bayerische Gedenkstätten fungiert, dürfte Freller die Unterstützung gefehlt haben. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler), der zugleich Vorsitzender des Stiftungsrates ist, kommentierte die Entscheidung am Freitag so: "Ich begrüße die von der Stiftung beabsichtigte Neuausschreibung der Stelle der pädagogischen Leitung. Damit wird die Chance eröffnet, die wichtige pädagogische Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte positiv weiterzuentwickeln."
Die Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel (Grüne) hatte Frellers Vorgehen von Anfang an scharf kritisiert und verlangt, das offizielle Bewerbungsverfahren wieder aufzunehmen. Dass nun genau das geschieht, begrüßt sie. Triebel erwartet jetzt "eine Ausschreibung, die den Anforderung an die Stelle gerecht wird, die international Interessierte erreicht und ein transparentes Verfahren", das die Gedenkstellenleiterin Gabriele Hammermann und den Personalrat in "angemessener Weise" mit einbeziehe. Mit diesen Kriterien sieht Triebel in der Neuausschreibung eine große Chance: "Die Ausrichtung der pädagogischen Arbeit, wie sie derzeit in Fachkreisen geführt wird, kann nicht ausgeblendet werden, sondern sollte im Einstellungsprozess eine Rolle spielen", sagte Triebel. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann blieb wie in den vergangenen Tagen auch am Freitag bei ihrer Linie und sagte nur, dass sie offene Personalfragen nicht kommentieren wolle. Höchst fraglich ist, ob sich Erika Tesar nach allem, was vorgefallen ist, für die Stelle der pädagogischen Leitung bewerben wird. Freller sagte, es tue ihm leid, dass seine Büroleiterin derart zwischen die Stühle geraten sei.