Drogenkonsum:Vermeintlich heile Welt

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Sylvia Neumeier von der Beratungsstelle "Drobs" berichtet, wie Corona den Drogenhandel auf dem Land verändert hat

Von Horst Kramer, Altomünster

Als Sylvia Neumeier ihren Vortrag beendet hatte, herrschte erst einmal Stille im Sitzungssaal des Altomünsterer Rathauses. Einige der Ratsmitglieder wirkten bestürzt, ebenso der Leiter des Jugendzentrums (JUZ), Marlon Köhler. Neumeier hatte die Aktivitäten des Drobs e.V. dargestellt, die ehrenamtliche Dachauer Drogenberatungsstelle, die Neumeier vor 27 Jahren gründete und bis heute leitet. Klar, dass sie auf Fragen zur Lage in Altomünster vorbereitet war, hatte die Polizei doch erst im Februar vier Jugendliche aus Indersdorf und Altomünster mit Marihuana erwischt.

Die Drogenexpertin berichtete von der "Vertriebslinie" entlang der S-Bahnlinie S2A. Altomünster als Endstation spiele dabei eine besondere Rolle. Eine Botschaft, die für den JUZ-Leiter Köhler nicht neu ist, doch immer wieder Probleme bereitet. Vor vier Jahren bezog die kommunale Jugendeinrichtung das alte Bahnhofsgebäude. Schon damals gab es im Ort und dem damaligen Gremium Bedenken gegen die Lokalität. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Drogenszene entscheidend verändert, erzählte Neumeier: Kokain sei nicht mehr nur eine Modedroge in bestimmten städtischen Kreisen, sondern auch auf dem Land populär, sogar bei jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren. Einer der Gründe: "Kokain ist derzeit extrem billig."

Im Laufe des Abends relativierte Neumeier indes die Rolle des Bahnhofs als Umschlagplatz. Corona habe dafür gesorgt, dass viele Geschäfte über das Internet abgewickelt würden, so die Drobs-Chefin. Unter anderem von Dealern, die ihre Kunden mit einem Lieferservice versorgen, ähnlich wie bei einem Pizzadienst. Bis vor einigen Jahren fuhren die Drogenkuriere im nahen Aichach los, inzwischen hat ein Händler in Pfaffenhofen an der Ilm die Funktion übernommen, so Neumeier. Derzeit betreut das Drobs-Team zwölf Menschen aus dem Altomünsterer Gemeindegebiet, die mit Drogensucht zu kämpfen haben. Vor fünf Jahren waren es acht.

Köhler sollte im Anschluss an die Drobs-Chefin über die Altomünsterer Jugendarbeit in Corona-Zeiten erzählen. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, seine JUZ-Arbeit zu verteidigen. Er betonte, dass eventuelle Dealer nicht aus Altomünster kämen, sondern "von außerhalb". Köhler deutete Konfrontationen an, die er persönlich schon mit entsprechenden Personen gehabt hätte. "Rein verbal, nie physisch", wie er betonte. "Ich hätte mir auch die eine oder andere positive Botschaft von Frau Neumeier gewünscht", sagte er am Tag nach der Gemeinderatssitzung auf Nachfrage.

Sylvia Neumeier hat schon viele derartige Vorträge gehalten, sie kennt die Wirkung, wenn sie von jugendlichen Drogenkonsumenten, zerrütteten Familien und von Kids erzählt, die schon mit elf Jahren ihre ersten Vollrausch-Erlebnisse hinter sich haben. "Die Einstiegsdroge ist nicht Cannabis oder Nikotin, sondern Alkohol", betonte die Expertin. Das Vorbild der Eltern spiele eine entscheidende Rolle. "Suchtverhalten ist nicht genetisch bedingt, sondern wird erlernt", stellte Neumeier klar. Sie warb leidenschaftlich um Verständnis für die Suchtkranken. Deshalb verfolge Drobs einen "akzeptistischen Ansatz", wie Neumeier formulierte: "Zu uns können alle kommen! Egal in welchem Zustand. Jede und jeder werden immer freundlich und respektvoll aufgenommen." Eine Botschaft ist Neumeier besonders wichtig: "Für uns gilt eine Schweigepflicht wie bei Ärzten oder Rechtsanwälten. Kein Staatsanwalt der Welt kann uns zwingen, Informationen über die Menschen, die zu uns kommen, preiszugeben."

In der vermeintlich heilen Welt des Altolands hinterlassen Neumeiers Auftritte immer besonders tiefe Spuren. So auch im Oktober 2016, als ihr Bericht im Marktgemeinderat dazu geführt hatte, dass die Drobs-Drogenberater endlich auch an der Altomünsterer Mittelschule ihre Präventionsarbeit aufnehmen konnten. Die Lehranstalt, die für Jugendliche in Altomünster und Hilgertshausen-Tandern zuständig ist, hatte sich zuvor jahrelang gegen eine Kooperation gesperrt.

© SZ vom 30.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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