Die Folgen der Corona-Krise für Flüchtlinge:Die nächste Krise

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Papa Dioff hat einen Auftrag: Er näht die so dringend benötigten Mundschutzmasken. (Foto: oh)

Die Ausgangsbeschränkungen treffen die Flüchtlinge besonders hart, die in beengten Unterkünften leben müssen. Viele Asylsuchende sorgen sich, den Arbeitsplatz zu verlieren oder wichtige Behördentermine zu verpassen. Zudem werden traumatische Erinnerungen wach

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Papa Dioff jagt die Nähmaschinennadel durch den Stoff mit dem typisch bayerischen weißblauen Rautenmuster. Er hat einen dringenden Auftrag, einen, den er sich selbst gegeben hat: Mundschutz muss her, sehr viel davon und sehr schnell. Warum macht er das? Er gehört zu den vielen Flüchtlingen, die im Landkreis teils immer noch unter sehr beengten Verhältnissen leben. Papa Dioff habe ein wichtiges Anliegen, er wolle etwas zurückgeben, weil Deutschland ihn unterstützt habe, erzählt Michaela Wintermayr-Greck. Sie arbeitet ehrenamtlich im Projekt IMA - Integration mit Augenmaß mit, das vom Sozialministerium gefördert wird.

Papa Dioff ist nicht der einzige, der gerade seine Nähmaschine zum Glühen bringt. Rund 25 Migranten fertigen die Schutzmasken in freiwilliger Akkordarbeit. Keine einfache Sache, wenn man mit Kontaktverbot leben muss, so wie jeder derzeit. Michaela Wintermayr-Greck packt zu Hause Stoffe, Gummibänder, Einmalhandschuhe und eine Nähanleitung in einen Umschlag. Der geht per Post in die Flüchtlingsunterkunft. Weil viele Flüchtlinge nicht einmal das Geld für das Rückporto aufbringen können, aber gerne bei dieser Aktion mitmachen wollen, legt sie gleich einen frankierten Rückumschlag bei. Und weil aus kleinsten Anfängen inzwischen fast eine Großaktion geworden ist, organisiert die engagierte Helferin immer wieder Nähmaschinen, die zur Unterkunft gebracht werden. Dort angekommen, ruft sie den Betreffenden an, stellt die Nähmaschine an der zuvor vereinbarten Stelle ab und wartet außerhalb des Unterkunftsgeländes, bis per Whatsapp ein Foto als eine Art Empfangsbestätigung eintrifft.

Bereits seit Mitte März gilt ein Betretungsverbot für die Asyl-Helferkreise in den Flüchtlingsunterkünften. Informationen über die derzeit geltenden Bestimmungen hängen nach Auskunft des Landratsamts in mehreren Sprachen aus. Auch die Kümmerer sind vor Ort. Nur in Ausnahmefällen können die Asylsuchenden jedoch ihre Angelegenheiten im Landratsamt oder bei der Asylsozialberatung der Caritas persönlich besprechen - und verhalten sich in Sachen Mindestabstand "vorbildlich", wie es seitens des Landratsamts heißt.

Telefon, E-Mail und Briefkästen in den Unterkünften müssen einstweilen reichen. Die Situation ist frustrierend, auch wenn der Kontakt zu den Helferkreisen über WhatsApp und Facebook immer noch läuft. Doch die Angst der Asylsuchenden bleibt und sie wird größer, je länger die Restriktionen gelten. Nach dem Verlust der Heimat und traumatischen Fluchterlebnissen kommt jetzt die Sorge hinzu, den Arbeitsplatz zu verlieren, wichtige Behördentermine zu versäumen, wie beispielsweise die Verlängerung der Arbeitserlaubnis. Aber auch die Zahlen aus der Heimat beunruhigen. Offiziell gibt es in Afghanistan derzeit rund 400 Corona-Patienten, inoffiziell spricht man von Zehntausenden - und etliche afghanische Flüchtlinge erzählen am Telefon von erkrankten Familienangehörigen, die schutzlos dem Virus ausgeliefert sind, weil das Gesundheitssystem nur schlecht funktioniert.

Da ist zum Beispiel der 24-jährige Mohammad (Name von der Redaktion geändert). Er ist vor fünf Jahren vor Morddrohungen der Taliban geflüchtet, fast im Mittelmeer ertrunken, hat einen Selbstmordversuch hinter sich und ist seit zwei Jahren in psychologischer Behandlung. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat noch nicht über seinen Widerspruch entschieden. Seit gut einem Jahr hat er einen Job, lernt Deutsch und war voller Hoffnung, in seiner neuen Heimat endlich anzukommen. Und nun? Hängt das Damoklesschwert Kurzarbeit über ihm, kann er den Psychologen nur noch telefonisch erreichen, wenn überhaupt, und fürchtet um die Gesundheit und das Leben seiner Familie in Afghanistan, weil in seinem Dorf das Coronavirus wütet. Mohammad wird das Gefühl nicht los, seine Welt breche schon wieder zusammen - und die Suizidgedanken kehren zurück - trotz der vielen Telefonate mit Freunden und "seinem" Helferkreis.

Die Einschränkungen treffen Flüchtlinge besonders hart, denn ihre Zukunftsperspektive ist ungewiss, bedrohlich. Kann ich bleiben? Werde ich abgeschoben, wenn ich (noch) nicht anerkannt bin? Was passiert, wenn meine Firma pleitegeht? Was wird mit meiner Schulausbildung, wenn alle Zwischenprüfungen verschoben sind? Wer hilft mir beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen? Inneren Halt gibt vielen der regelmäßige Gottesdienstbesuch oder das Freitagsgebet in der Moschee. Doch auch das ist jetzt nicht mehr möglich. Eine Anordnung, die auf viel Unverständnis gestoßen ist, weil der Glaube oftmals das Einzige ist, was Flüchtlinge aus ihrem Heimatland gerettet haben. So konnte es geschehen, dass ein Flüchtling, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, vor einer orthodoxen Kirche in Kontakt mit einem Corona-infizierten Freund kam. Die bekannte Folge: Isolation in der Unterkunft. Doch Solidarität kennt keine Nationalität. Der örtliche Corona-Helferkreis versorgte den jungen Mann mit Lebensmitteln - und alles ging noch einmal gut aus. Auch in einer weiteren Flüchtlingsunterkunft im Landkreis waren einige Bewohner unter Corona-Verdacht - und alle Mitbewohner standen unter Quarantäne.

Aktuell sind laut Landratsamt vier Flüchtlinge im Landkreis positiv auf Covid-19 getestet. Sie werden in eigens eingerichteten "voll ausgestatteten Quarantäne-Zimmern" untergebracht. Doch auch wenn die Versorgung mit allem Notwendigen sichergestellt ist, bleibt die Frage: Was richtet diese Isolierung mit jungen Menschen an, die schon schreckliche Erfahrungen mit Folter und Gefängnis gemacht haben? Oder welche Erinnerungen löst die Schutzkleidung der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in Menschen aus, die bereits eine Epidemie erleben mussten und dadurch ihre ganze Familie verloren haben? Eine junge Frau aus dem Kongo erzählt am Telefon, in ihr seien alle Erinnerungen an die Ebola-Epidemie in ihrer Heimat wieder hochgekommen, als sie benutzte Schutzkleidung im Hauseingang liegen sah. Erst als ihr jemand erklärt habe, für sie selbst bestehe keine Gefahr, die Schutzkleidung müsse nach einmaligem Tragen entsorgt werden, habe sie sich beruhigt. "Woher soll ich das wissen? Bei uns kamen die Leute damals so, wenn sie die Toten weggebracht haben. Aber hier ist es besser. Das weiß ich jetzt," sagt sie hörbar erleichtert. Gut möglich, dass sie demnächst auch einen Mundschutz trägt, vielleicht ist der sogar von Papa Dioff genäht.

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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