Genossenschaftsprojekt:Ohne Wohnungen keine Pflegekräfte

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Im Großraum München haben es Pflegekräfte besonders schwer, eine Wohnung zu finden. (Foto: Tom Weller/dpa)

Die Genossenschaft "Habt ein Herz für soziale Berufe" will bezahlbaren Wohnraum schaffen für Menschen, die in Altenheimen oder Krankenhäusern arbeiten. Doch die Mitglieder kämpfen gegen große Probleme. Eines davon sind fragwürdige Ansprüche von Vermietern.

Von Julia Putzger, Dachau

Eigentlich wäre es ein "Rundum-Sorglos-Paket", das wird Bernhard Seidenath nicht müde zu betonen. Der CSU-Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis spricht von der Genossenschaft "Habt ein Herz für soziale Berufe", die im Kampf gegen den Fachkräftemangel vor allem im Pflegebereich als Wohnungsvermittlerin agieren möchte. Doch so recht ins Rollen gekommen ist die Sache noch nicht, seit Gründung der Genossenschaft im Herbst 2019 wurden erst zwei Wohnungen erfolgreich vermittelt. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Für Kliniken und Altenheime rund um München ist es eine enorme Herausforderung, Pflegekräfte zu finden. Nicht nur der allgemeine Fachkräftemängel in diesem Sektor erschwert die Suche, sondern auch der Wohnungsmarkt. Mehrmals sei es vorgekommen, dass eine Fachkraft das Arbeitsverhältnis wieder absagen musste, da sie einfach keine leistbare Wohnung in der Region finden konnte, berichtet Thomas Liebhart, Direktor des Pflegeheims Kursana Domizil Dachau, bei einem digitalen Hintergrundgespräch, das Seidenath initiiert hat. Für Liebhardt kommt die Genossenschaft daher wie gerufen, er sieht in ihr ein zukunftsträchtiges Modell.

"Das ist ein Modell, das weit über die Grenzen Dachaus Beachtung findet"

Die Genossenschaft will einerseits bezahlbaren Wohnraum für Fachkräfte im sozialen Bereich schaffen. Andererseits geht es darum, Vermieter zu animieren, leer stehenden Wohnraum zu vermieten, indem man ihnen Sicherheit gibt. Mieter der Wohnung ist dauerhaft die Genossenschaft, die über ihre Mitglieder - die Helios Amper-Kliniken Dachau und Indersdorf, das Kursana Domizil in Dachau sowie der ambulante Pflegedienst "miCura" - Untermietverträge mit den Arbeitnehmern vereinbart. Seidenath sieht in diesem Konstrukt gleich vier Vorteile: Der Arbeitnehmer bekommt eine leistbare Wohnung zur Verfügung gestellt, der Arbeitgeber kann die benötigte Fachkraft einstellen, der Vermieter muss sich keine Sorgen um Mietzahlungen machen und die Gesellschaft kann auf gute Versorgung im Klinikum und in der Pflege zählen. "Das ist ein Modell, das weit über die Grenzen Dachaus Beachtung findet", sagt Seidenath, der die Gründung der Genossenschaft angestoßen hat.

Doch es gibt noch viel zu verbessern, vor allem was das Angebot der Wohnungen betrifft. "Das Matching fehlt noch", gibt Seidenath zu. Sabine Appel, Genossenschaftsvorständin und Co-Geschäftsführerin der Karlsfelder Hausverwaltung-Immobilien Flack GmbH, über welche die Wohnungsakquise läuft, war nach eigener Aussage bisher mit ungefähr 15 Vermietern im Gespräch. "Aber zehn der Angebote hatten über 100 Quadratmeter Wohnfläche, es waren Doppelhaushälften oder Einfamilienhäuser", so Appel. Da der typische Bedarf laut Liebhart aber in Richtung Eineinhalb- bis Zweizimmerwohnung mit einer monatlichen Warmmiete von 600 bis 900 Euro geht, sind die Genossenschaftsmitglieder zwar dankbar für diese Angebote, finden unter ihren Arbeitnehmern aber keine passenden Mieter. Bevor die Genossenschaft das Angebot jedoch ausschlägt, will sich Seidenath künftig an das Franziskuswerk Schönbrunn wenden. Die Einrichtung sei neben der Sozialservice-Gesellschaft des BRK aktuell "in Lauerstellung" und überlege, ebenfalls Genossenschaftsmitglied zu werden, so der CSU-Politiker. Finden sich innerhalb der Genossenschaft hingegen mehrere passende Mieter, gehe man laut Appel nach dem Prinzip "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" vor. Liebhart erklärt, dass es im Kursana keinen Kriterienkatalog oder Ähnliches gebe, anhand dessen entschieden werde. Lediglich wende man sich zuerst an Bestandspersonal, um dieses zu halten, bevor man künftigen Mitarbeitern eine Wohnung anbiete.

Wohnungsangebote an sie: Sabine Appel sitzt im Vorstand der Genossenschaft "Habt ein Herz für soziale Berufe". (Foto: oh)

Ein weiterer ausschlaggebender Faktor dafür, dass eine Wohnung erfolgreich vermittelt werden kann, ist die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel: "Das ist ein entscheidendes Kriterium", betont Liebhart und erklärt: "Die Frühschicht bei uns beginnt um sechs Uhr morgens, die Spätschicht endet nachts um halb zehn. Wenn nur zwei-, dreimal am Tag ein Bus in einen Ort fährt, dann fallen solche Orte automatisch aus der Auswahl."

"Diese Menschen halten unsere Gesellschaft am Laufen"

Laut Seidenaths Hochrechnung von vor zwei Jahren gibt es im Landkreis rund 1800 leer stehende Wohnungen. Doch auch die Ansprüche der potenziellen Vermieter müssen berücksichtigt werden. Immer wieder Thema ist dabei Herkunft und Muttersprache der Mieter: "Wenn möglich bitte jemanden mit Muttersprache Deutsch", diesen Wunsch habe sie schon öfters von Vermietern gehört, erzählt Appel. Kursana-Direktor Liebhart, der bei der Personalsuche auch verstärkt auf qualifizierte ausländische Bewerber angewiesen ist, kann da nur appellieren: "Diese Menschen halten unsere Gesellschaft am Laufen und ermöglichen denen, die unseren Wohlstand aufgebaut haben, einen würdigen Lebensabend. Wir müssen ihnen eine Chance geben."

Neben all den allgemeinen Schwierigkeiten hat aber auch die Corona-Pandemie der Genossenschaft einen Strich durch die Rechnung gemacht, wie Appel erzählt: "Eigentlich dachten wir, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für unser Anliegen, weil die Entwicklung im vergangenen Jahr gezeigt hat, dass Pflegekräfte immer wichtiger werden." Leider sei es jedoch so gewesen, dass Vermieter aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus lieber keine Pflegekräfte, die unter Umständen tagtäglich Kontakt zu Infizierten haben, als Mieter wollten. Seidenath fasst deshalb zusammen: "Wir müssen mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Aber das, was wir machen, ist genau das, was wir brauchen."

Wer der Genossenschaft eine freie Wohnung anbieten möchte, wendet sich am besten direkt an Sabine Appel: wohnungsgenossenschaft@hvi-flack.de oder telefonisch unter 08131/275 80-25.

© SZ vom 08.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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