Corona-Proteste:Mehr klare Kante zeigen

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In Markt Indersdorf demonstrierten Menschen gegen "Demokratie-Missbrauch", während gleichzeitig hunderte "Spaziergänger" unterwegs waren. (Foto: Toni Heigl)

Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige werden immer selbstbewusster. Das Problem ist nicht Telegram. Das Problem ist der Hass. Die Politik muss mehr klare Kante zeigen.

Kommentar von Thomas Radlmaier

Politik und Gesellschaft im Landkreis Dachau haben ein massives Problem. Dieser ist ein Hotspot für Impfpflichtgegner, Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige. Die vermeintlichen "Spaziergänger" treten die Demokratie selbstbewusst mit Füßen. Sie veranstalten regelmäßig unangemeldete Demonstrationen, begehen Ordnungswidrigkeiten, während Polizei und Behörden nur zusehen können. Sie rufen dreist "Wir sind das Volk", sie verhöhnen im Netz Corona-Tote und sie verharmlosen den NS-Terror - und das ausgerechnet in Dachau, wo zwischen 1933 und 1945 mehr als 41 500 KZ-Häftlinge ermordet wurden. Und sie werden von Tag zu Tag selbstbewusster. Sie radikalisieren sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Das zeigen die Chatprotokolle lokaler Gruppen auf Telegram. Doch das Problem ist nicht der Nachrichtendienst. Das Problem sind die Menschen, die dort hetzen. Ihr Hass, der sich entlädt an Politikern, Journalisten oder Eltern, die ihre Kinder impfen lassen wollen.

Das Phänomen dieses Hasses kam nicht erst durch die Corona-Pandemie auf. Es war schon vorher da. Und es würde auch nicht dadurch verschwinden, dass Telegram in Deutschland blockiert würde, wie das manche Politiker vorschlagen. Tatsächlich drückt diese Forderung nur die Hilf- und Einfallslosigkeit der Politik aus, der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Sie soll ablenken vom jahrelangen Versagen der Politik im Umgang mit Verschwörungsgläubigen, Rechtsradikalen, Antisemiten und Rassisten.

Reflex des Totschweigens

Das versuchte Totschweigen dieses Problems ist zum Reflex in der Politik geworden. Die CSU zum Beispiel hat vor einigen Jahren versucht, potenzielle AfD-Wähler zu umgarnen. Bei CSU-Politikern klang plötzlich ein populistischer Sound an, den man davor nur von der AfD kannte. Viel zu spät hat die CSU eingesehen, dass diese Strategie nicht funktioniert. Und auch jetzt würden einige Politiker, auch im Landkreis Dachau, das Problem, das sich hinter den sogenannten "Spaziergängen" verbirgt, lieber totschweigen. Sie wollen die Impfgegner und Pandemieleugner nicht reizen, in der Hoffnung, dass diese irgendwann wieder von der Bildfläche verschwinden. Das ist ein gefährlicher Irrweg - und ein Freifahrtsschein für den Radikalisierungs-Express.

Es braucht klare Kante. Viele Menschen im Landkreis Dachau zeigen diese bereits. Sie versammeln sich zu Demonstrationen, um gegen "Demokratie-Missbrauch" zu protestieren. Und es gibt auch Politiker, die sich klar positionieren, wie der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann. Doch noch viel mehr Politiker und Akteure aus der Zivilgesellschaft müssen ihrem Beispiel folgen.

© SZ vom 23.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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NS-Vergleiche, Reichsbürgerpropaganda und Verschwörungsmythen: Auf Telegram verabreden sich Impfpflichtgegner und Pandemieleugner zu unangemeldeten "Spaziergängen". Geheime Chatprotokolle zeigen, wie sich der Dachauer Corona-Protest radikalisiert.

Von Berit Kruse (Daten) und Jessica Schober (Text)

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