Dachau:"So viel Schmerz, der nicht vergessen werden darf"

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"Ich komme aus Belarus und bin sicher, dass wir einen Großteil der Massen-Foltern und Massen-Verhaftungen nach den vergangenen Wahlen nicht erlebt hätten, wenn nur ein paar der belarussischen Autoritäten und Militär-Funktionäre zu Beginn ihrer Laufbahn diesen Ort hier besichtigt hätten", sagt Sviatlana Tsikhanouskaya in der KZ-Gedenkstätte Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die belarussische Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya richtet sich bei ihrem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau mit deutlichen Worten an die Machthaber in ihrer Heimat.

Von Isabell Gielisch, Dachau

Es ist ein ungemütlicher Sonntagnachmittag an einem bedrückenden Ort: Die tief stehende Sonne ist machtlos gegen den beißenden, kalten Wind, als die belarussische Bürgerrechtlerin Sviatlana Tsikhanouskaya einen Kranz vor dem Mahnmal an der KZ-Gedenkstätte Dachau ablegt. Dafür nimmt sie ihre Kapuze ab, die sie wegen des Windes fest umklammert hielt.

Eine Stunde zuvor war Tsikhanouskaya in Begleitung von Polizeieskorte und Bodyguards von der Münchner Sicherheitskonferenz nach Dachau gekommen. Kerstin Schwenke, Historikerin und Leiterin der Bildungsabteilung der KZ-Gedenkstätte, hat einen Rundgang für sie vorbereitet. Hochkonzentriert hört Sviatlana Tsikhanouskaya zu, stellt immer wieder Nachfragen, die Bodyguards sind stets wie ein Schatten an ihrer Seite.

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Seit den Präsidentschaftswahlen in Belarus im August 2020, die Machthaber Alexander Lukaschenko mit gefälschtem Wahlergebnis gewann, ist die Bürgerrechtlerin gezwungen, im Exil zu leben. Damals war sie die einzige zugelassene Kandidatin der Opposition und ließ sich aufstellen, nachdem ihr Ehemann Siarhey nicht mehr antreten konnte. Er war wenige Monate vor den Wahlen verhaftet und ist mittlerweile zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sie selbst halte sich nicht für eine Politikerin, ist von Beruf Englischlehrerin, aber man könne sagen, dass sie momentan die wichtigste Stimme der Demokratiebewegung in Belarus sei, erklärt Irina Grinkevich, die selbst aus Belarus kommt und Referentin bei der Gedenkstätte ist. "Sicher ist Tsikhanouskaya nirgendwo", so Grinkevich.

"Das höchste Gut im Leben ist der Mensch, und wir müssen dieses Gut beschützen und dafür kämpfen"

Von Litauen hat die Bürgerrechtlerin den diplomatischen Status erhalten, was ihr stetigen Personenschutz zusichert. Bei einem Pensum von rund zehn Terminen am Tag - zusätzlich zum Programm der Sicherheitskonferenz - ist es Tsikhanouskaya ein besonders Anliegen gewesen, die Gedenkstätte in Dachau zu besichtigen. "Ich bin hergekommen, um der Opfer des Regimes zu gedenken, das diese Wände hier errichtet hat. An diesem Ort ist überall so viel Schmerz, der nicht vergessen werden darf", sagt Tsikhanouskaya mit festem Blick. "Ich komme aus Belarus und bin sicher, das wir einen Großteil der Massen-Foltern und Massen-Verhaftungen nach den vergangenen Wahlen nicht erlebt hätten, wenn nur ein paar der belarussischen Autoritäten und Militär-Funktionäre zu Beginn ihrer Laufbahn diesen Ort hier besichtigt hätten. Das höchste Gut im Leben ist der Mensch, und wir müssen dieses Gut beschützen und dafür kämpfen."

Sviatlana Tsikhanouskaya ist eine Frau mit einer Mission. Für ihre Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz sei sie sehr dankbar, sagt sie. Sie sei froh, dass nicht die diktatorischen, sondern demokratische Repräsentanten ihres Landes dort waren. Es habe ihr die Möglichkeit gegeben, mit neuen Personen zu sprechen und neue Türen für ihr Land zu öffnen.

Für die nächste Münchner Sicherheitskonferenz wurde sie bereits eingeladen. "Ich hoffe, dass ich dann aus einem freien, neuen und demokratischen Belarus anreise", schließt Tsikhanouskaya. Nach einem Eintrag ins Gästebuch in der Gedenkstätte - "Thanks for keeping the history" ("Danke für die Aufrechterhaltung der Geschichte") - ist die Sonne fast untergegangen. Wagen und Polizeieskorte warten schon auf sie. Mit Blaulicht geht es los. Sviatlana Tsikhanouskaya hat keine Zeit zu verlieren.

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