Hetze im Internet:Pranger-Portal landet auf Index

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Der OB und Dachauer Vereine werden auf dem rechtsextremen Online-Portal "Nürnberg 2.0" an den Pranger gestellt. Ermittlungen gegen die Betreiber laufen ins Leere. Nun steht die Seite auf dem Index für jugendgefährdende Medien.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Die rechtsextremen Internet-Trolle brandmarken Journalisten als "Lügenmedienvertreter" oder "Lumpen- und Schmierenjournalisten". Politiker der Grünen oder SPD diffamieren sie als "Volksverräter" oder "Linksfaschisten". Und Menschen, die Flüchtlingen helfen, sind für sie "Asyl-Lobbyisten". Seit mindestens neun Jahren schon können islamfeindliche und rechtsextreme Hetzer auf der Pranger-Plattform "Nürnberg 2.0 Deutschland" ihren Hass im Internet verbreiten. Sie wollen Journalisten sowie Politiker, Künstler, Firmen und Organisationen "zur Verantwortung" ziehen, weil diese angeblich die "Islamisierung Deutschlands" vorantreiben würden. Auf einer "schwarzen Liste" stehen auch der Name von Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der Runde Tisch gegen Rassismus, der Arbeitskreis Asyl Dachau und das Jugendzentrum Freiraum. Den Namen Walter Lübckes, des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten, haben die Betreiber von "Nürnberg 2.0" nach dessen Ermordung kommentarlos von der Liste gelöscht.

Die Seite existiert seit mindestens 2011, seitdem ist sie dem Bundeskriminalamt bekannt. Bisher waren die Behörden machtlos, weil niemand weiß, wer die Betreiber sind und die Seite von einem Server in den USA aus gehostet wird. Doch nun ist es einer Behörde gelungen, dem Online-Pranger das Publikum teilweise zu nehmen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat "Nürnberg 2.0" indiziert. Damit ist die Plattform zwar weiterhin online erreichbar, aber nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag darf für sie in Deutschland nicht mehr geworben werden.

Wer die Seite im Internet sucht, findet sie nicht mehr

Zudem haben sich einige ausländische Suchmaschinenanbieter, darunter Google, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook und Snapchat, freiwillig dazu verpflichtet, diejenigen Internetseiten nicht mehr anzuzeigen, welche von der Bundesprüfstelle indiziert wurden. Dazu zählt nun auch "Nürnberg 2.0". Kurzum: Wer die Seite im Internet sucht, findet sie nicht mehr. Damit dürfte die Seite weniger Zugriffe als bislang verbuchen.

Der Impuls kam von der Kommission für Jugendmedienschutz in Berlin, eine zentrale Anlaufstelle für Jugendschutz im privaten Fernsehen und Internet. Diese beantragte, die Pranger-Seite auf die Liste jugendgefährdender Medien zu setzen. "Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist durch diese Art von Inhalten eine Verunsicherung und Desorientierung zu befürchten", so die Kommission. Dem Antrag stimmte die Bundesprüfstelle, die in Bonn sitzt, am 9. Januar zu. Ein Gremium sei zu dem Ergebnis gekommen, "dass der Inhalt des Angebots jugendgefährdend ist", sagt Thomas Salzmann, stellvertretender Vorsitzender der Bundesprüfstelle. Die Jugendgefährdung ergebe sich daraus, "dass der Inhalt des Angebots Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert und die Taten des NS-Regimes verharmlost". "Nürnberg 2.0" ist nur ein Beispiel für weitere rechtsextreme Pranger-Plattformen, die im Netz kursieren. Die Betreiber der Seite "Judas Watch" etwa geben vor, "anti-weiße Verräter, Agitatoren und subversive Tätigkeiten" zu dokumentieren sowie "jüdischen Einfluss" hervorzuheben. Auch "Judas Watch" hat die Bundesprüfstelle vor Kurzem indexiert. Auch dieser Plattform habe "eine NS-verharmlosende Wirkung" und diskriminiere Menschengruppen, so Salzmann. Er spricht von einer "neuen Gefahr einer sozial-ethischen Desorientierung" durch Seiten wie "Judas Watch". Ähnlich sieht man das beim bayerischen Verfassungsschutz. "Grundsätzlich bergen Online-Pranger wie "Judas Watch" auch ohne konkrete Aufrufen zur Gewalt stets die Gefahr einer Ermutigung zu Handlungen gegen die aufgelisteten Personen", so ein Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz.

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Kommentar von Thomas Radlmaier

Dass nun "Judas Watch" und "Nürnberg 2.0" ausgerechnet deshalb indiziert wurden, weil sie gegen den Jugendschutz verstoßen, ist bezeichnend für die Machtlosigkeit der Sicherheitsbehörden bei der strafrechtlichen Verfolgung der Betreiber solcher Hetzportale. Der Runde Tisch gegen Rassismus hat im vergangenen Sommer wegen "Nürnberg 2.0" Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Geschehen ist seitdem kaum etwas. Das bayerische Landeskriminalamt habe versucht, an das Unternehmen heranzutreten, bei dem die Seite registriert ist, um eine Sperrung zu erreichen, berichtet Christoph Oberhauser, stellvertretender Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft München. "Entsprechende Anfragen waren allerdings ohne Erfolg. Eine rechtliche Handhabe, die in den USA ansässige Internetfirma zur Sperrung der Homepage zu verpflichten, besteht nicht." Das Verfahren wurde Mitte November eingestellt. Die Vertreter des Runden Tisches bekamen daraufhin Post von der Staatsanwaltschaft München II. Darin heißt es, dass "der Täter bisher nicht ermittelt werden konnte". In dem Schreiben ist als Tatvorwurf "Beleidigung" genannt. Beim Runden Tisch ist man damit gar nicht einverstanden. "Ich finde das unsäglich, das ist mehr als eine Beleidigung", sagt Peter Heller, Sprecher des Runden Tisches. Schließlich werde auf der Seite dazu aufgerufen, Menschen Übel anzutun.

Peter Heller plädiert dafür, rechtsextreme Vorfälle öffentlich zu machen und Behörden wachzurütteln. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Vertreter des Runden Tisches gegen Rassismus, zu dem auch die Stadt Dachau gehört, haben im Oktober einen offenen Brief an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), Bundesinnenminister Horst Seehofer und den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) geschrieben. Letzterer antwortete nach wenigen Wochen. Die beiden Bundesministerien ließen mit ihren Antworten mehrere Monate auf sich warten. Günter Krings (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, dankt dem Runden Tisch auf sechs Seiten für dessen "couragierten Einsatz" gegen Rassismus und nennt Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität. Krings weist darauf hin, dass eine Gefährdung der auf der Liste von "Nürnberg 2.0" genannten Personen und Institution nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes aktuell auszuschließen sei. Diese Bewertung ändere sich auch nicht dadurch, "dass bei der Auflistung einzelne Personen oder Institutionen hinzugefügt oder entfernt werden". Der letzte Eintrag auf "Nürnberg 2.0" stammt angeblich vom 9. November 2019.

Die Mitglieder des Runden Tisches begrüßen zwar, dass die Bundesregierung nach dem Anschlag von Halle Maßnahmen ergriffen hat, um verstärkt gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Doch für Heller kommt die Reaktion des Staates viel zu spät. "Die Brisanz rechtsextremer Aktivitäten ist in Deutschland viel zu lange übersehen und sogar ignoriert worden." Er plädiert dafür, rechtsextreme Vorfälle immer öffentlich zu machen. Die Behörden müssten wachgerüttelt werden. Für Heller ist klar, dass von Portalen wie "Nürnberg 2.0" eine große Gefahr ausgeht. Er sagt: "Dort wird für rechtsextreme Ansichten geworben. Und je öfter das in Köpfen einsickert, desto mehr setzt sich ein Bild fest. Und aus einem Bild wird ein Plan."

© SZ vom 08.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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