In den vergangenen Jahren war es relativ ruhig geworden um die Reichsbürgerszene im Landkreis Dachau: Von Morddrohungen war nichts mehr zu hören und auch nicht von dreisten Erpressungsversuchen. Doch vor eineinhalb Wochen war es wieder vorbei mit der Ruhe: Eine groß angelegte Razzia in Österreich und mehreren deutschen Bundesländern führte die Fahnder in den Landkreis Dachau. Dort nahmen die Beamten nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft München einen Mann aus dem Rockermilieu fest. Das Amtsgericht München erließ einen Haftbefehl "wegen des dringenden Tatverdachts des unerlaubten Erwerbs und des unerlaubten Besitzes von Waffen". Der Mann sitzt seither in Untersuchungshaft.
Nähere Angaben zum Verdächtigen wollte die zuständige Generalstaatsanwaltschaft mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht machen. Bekannt ist jedoch, dass etwa 200 Polizisten in den Morgenstunden des 8. Juli die Wohn- und Geschäftsräume von insgesamt zwölf Personen durchsucht haben. Sie stellten zwei halbautomatische Kurzwaffen, eine Pumpgun, 200 Schuss Munition, eine Handgranatenattrappe, rechtsradikale Schriften, Reichsbürgerunterlagen und eine Vielzahl von PCs, Laptops und Mobiltelefonen sicher. Laut Generalstaatsanwaltschaft wird wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll- sowie das Waffengesetz ermittelt. Konkret soll es auch um Waffenlieferungen von Kroatien nach Deutschland gehen. Der mutmaßliche Verkäufer der Waffen wurde vor einer Woche in Kroatien festgenommen. Es handelt sich um einen 47-jährigen Deutschen aus dem Raum München.
Erinnerungen an die Jahre 2016 und 2017
Der Vorfall weckt im Landkreis Erinnerungen an die Jahre 2016 und 2017, als sich eine Episode mit Reichsbürgen an die nächste gereiht und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den Landkreis gar als einen von vier regionalen Schwerpunkten der "Reichsbürger" in Bayern bezeichnet hatte. Noch bevor im Oktober 2016 ein Reichsbürger im fränkischen Georgensgmünd einen Polizisten erschossen hatte, kam es am Dachauer Amtsgericht unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen zu einem Prozess gegen einen Landkreisbewohner wegen Erpressung. Er hatte einem Mitarbeiter des Dachauer Finanzamts eine Rechnung über mehr als 140 000 Euro zugestellt - als Strafzahlung dafür, dass der Finanzbeamte Steuern bei ihm eintreiben wollte. Der Leiter des Finanzamts, Robert List, hatte damals Anzeige erstattet und von wiederholten Vorfällen mit Reichsbürgern berichtet, die bei seinen Mitarbeitern "diffuse Ängste" ausgelöst hätten. Zu der Verhandlung war der Angeklagte zwei Mal nicht erschienen, weil Reichsbürger weder die Bundesrepublik Deutschland noch ihre Rechtsprechung anerkennen. Sie wollen auch keine Steuern zahlen und keinen amtlichen Personalausweis oder bundesdeutschen Reisepass bei sich tragen.
Auch das Landratsamt in Dachau geriet seinerzeit immer wieder in Konflikte mit Reichsbürgern. Es gab Anfeindungen gegen Mitarbeiter, und immer häufiger gingen anonyme Faxe und Briefe ein, die lediglich mit "Deutsches Reich" unterzeichnet waren. Der Dachauer Polizeichef Thomas Rauscher berichtete 2017, dass Richter des Dachauer Amtsgerichts von mutmaßlichen Reichsbürgern mit dem Tod oder schwerer Körperverletzung bedroht worden seien, teilweise schriftlich. Ein weiterer Tiefpunkt war erreicht, als im Juli 2017 Fahnder der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck bei einer bayernweiten Razzia das Anwesen einer mutmaßlichen Führungskraft der Reichsbürgerbewegung "Bundesstaat Bayern" in Schwabhausen durchsuchten und Beweismittel sicherstellten; der Mann soll illegale Urkunden und Pässe fabriziert und weitergegeben haben.
War die Ruhe trügerisch?
Der jetzige Waffenfund wirft schließlich die Frage auf, ob die Ruhe zuletzt trügerisch war - und die Gefahr durch Reichsbürger womöglich größer ist als gedacht, wenn sie illegal scharfe Waffen besitzen. Die Behörden geben sich trotz des Vorfalls relativ gelassen. Michael Holland vom Landratsamt teilt mit: "Ich habe den Eindruck, dass es ruhiger geworden ist." Seit November 2016 seien von der Behörde 65 Personen überprüft worden, bei 14 lägen Erkenntnisse vor, dass sie der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene zuzurechnen sind. Auch die Dachauer Polizei teilt mit, dass es ruhiger geworden sei um die Reichsbürger. Der Kreis der 20 bis 25 Personen aus dem Landkreis, die der Szene zugerechnet werden, habe sich jedenfalls nicht vergrößert, teilt Pressesprecher Björn Scheid mit. Morddrohungen oder andere Straftaten blieben aus.
Beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz hat man die Äußerung von Präsident Burkhard Körner aus dem Jahr 2017, Dachau sei ein "Zentrum der Bewegung", längst revidiert. Der Landkreis Dachau sei inzwischen "unauffällig" mit Blick auf die Reichsbürgerszene, sagt Pressesprecher Sönke Meußer. Er führt diese Entwicklung auf die konsequente Null-Toleranz-Politik der bayerischen Staatsregierung zurück. Bayern führt seit Jahren eine strikte Entwaffnung der Reichbürgerszene durch. Die Sicherheitsbehörden verzeichneten 2019 einen Rückgang der Szeneangehörigen um 6,6 Prozent von 4200 auf insgesamt 3920 Personen in Bayern.