Dachau:"Es war die Hölle"

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Pfarrer Wolfgang Niederstraßer bezog in seinen Predigten deutlich Stellung gegen das NS-Regime. Wie er verweigerte auch seine Frau Inge den "Hitlergruß". (Foto: Familie Niederstraßer)

Pfarrer Wolfgang Niederstraßer leistete Widerstand gegen das NS-Regime. Dieses sperrte ihn dafür ins KZ Dachau, als einzigen Geistlichen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Jetzt hat Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm an den mutigen Bußprediger erinnert.

Von Renate Zauscher, Dachau

"Es war die Hölle" - mit diesen Worten hat der evangelische Pfarrer Wolfgang Niederstraßer (1907 - 1981) die Situation im Konzentrationslager Dachau während der letzten Wochen vor der Befreiung später geschildert. Niederstraßer musste diese Hölle in Dachau selber noch miterleben, nachdem er im April 1945 kurz vor Kriegsende dorthin deportiert worden war - als einziger Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Mit Tausenden anderen Häftlingen wurde Niederstraßer auf den Todesmarsch in Richtung Süden getrieben. Es gelang ihm, zu überleben, bis er bei Wolfratshausen befreit wurde.

Niederstraßers "Vergehen" in den Augen des nationalsozialistischen Staates: Er hatte, ebenso wie seine Frau Inge, schon früh den "Hitlergruß" verweigert. Außerdem hatte er 1938, anlässlich des 15. Jahrestags des Hitlerputsches, die Beflaggung von Kirche und Pfarrhaus mit der Hakenkreuzfahne abgelehnt. Vor allem aber hatte er im Juni 1942 in einem Trauergottesdienst für gefallene Soldaten im oberfränkischen Warmensteinach, ähnlich wie schon in früheren Predigten, deutlich Stellung bezogen gegen das kirchenfeindliche NS-Regime. Er protestierte darin gegen die staatlich betriebene "Auflösung des Glaubens". Seine konsequente Haltung brachte ihn schließlich in Lebensgefahr.

"Hätten auch wir diesen Mut gehabt?"

Am vergangenen Sonntag wurde anlässlich des 80. Jahrestags der für Niederstraßer verhängnisvollen Predigt des mutigen Mannes gedacht. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm feierte zusammen mit Björn Mensing, Pfarrer und Historiker an der Versöhnungskirche in Dachau, der den Widerstand von Wolfgang Niederstraßer 2005 erstmals dokumentiert hat, sowie mit Diakon Frank Schleicher den Gedenkgottesdienst. Daran teil nahm auch Ioanna Taigacheva, russische Freiwillige von der Aktion Sühnezeichen, und - im Zeichen ökumenischer Verbundenheit - die Pastoralreferentin Judith Einsiedel von der Katholischen Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte Dachau. Organist Franz Werner umrahmte die Feier musikalisch, während die vom Bayerischen Rundfunk bekannte Sprecherin Julia Cortis Teile aus Niederstraßers Biografie und, zusammen mit Judith Einsiedel, ausgewählte Bibelstellen vortrug. Direkt im Anschluss an den Gottesdienst sprach Staatsministerin Claudia Roth (Grüne), Beauftragte für Kultur und Medien und damit auch für die Gedenkstätten zuständig, ein sehr persönlich gehaltenes, sehr eindringliches Grußwort. Als Gäste waren unter anderem Nachfahren von Wolfgang Niederstraßer gekommen und mit Herzog Max in Bayern ein Mann, der als Kind selbst als sogenannter "Sippenhäftling" in Lagerhaft gekommen war, ebenso Nachkommen von anderen KZ-Überlebenden wie Max Mannheimer.

BR-Sprecherin Julia Cortis liest in der Versöhnungskirche Teile von Wolfgang Niederstraßers Biografie vor. (Foto: Niels P. Jørgensen)
(Foto: Niels P. Jørgensen)
Claudia Roth ist oft in der Gedenkstätte zu Gast. Zuletzt nahm sie im Juni 2022 an einem Gedenkgottesdienst in der Evangelischen Versöhnungskirche teil. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bedford-Strohm bezeichnete Wolfgang Niederstraßer in seiner Predigt als "Bußprediger, der nicht gehört wurde". Niederstraßer, erklärte der Landesbischof, habe vergeblich auf Beistand von der Kirchenleitung gehofft, seine Haltung sei auch nach dem Krieg nicht gewürdigt worden. Auch wenn "diese Worte viel zu spät kommen", so wolle er, Bedford-Strohm, als Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern offiziell "seine Hochachtung zum Ausdruck bringen für das Zeugnis von Pfarrer Niederstraßer". Bedford-Strohm rief in Erinnerung an den Widerstandspfarrer dazu auf, "nie wieder unsere Ohren zu verschließen, wenn Menschen Unrecht anprangern". Gleichzeitig sprach er davon, wie schwierig es sei, in einer gespaltenen Welt heute ein glaubwürdiges Zeugnis von Christus abzulegen.

Nicht nur des mutigen Pfarrers wurde während des Gottesdienstes gedacht, sondern auch anderer Menschen, die heute verfolgt werden. Stellvertretend für viele wurde an Pastor Wang Yi erinnert, den Leiter einer unabhängigen "Hauskirche" im chinesischen Chengdu, der 2019 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, ebenso an die Katholikin Volha Zalatar, die in der belarussischen Demokratiebewegung aktiv war und Ende 2021 für vier Jahre in Haft kam, und an den russisch-orthodoxen Priester Ioann Burdin, der gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine protestiert hatte und mit einer hohen Geldstrafe belegt wurde. In den Fürbitten während des Gottesdienstes wurde für Iwan Kutschmin, Pavlo Scharun und Vasyl Volodko gebetet, drei hochbetagte Überlebende des KZ in Dachau, die sich jetzt in der Ukraine in Lebensgefahr befinden.

Die Demokratie muss auch in Deutschland gegen Angriffe verteidigt werden

Nach dem Gottesdienst sprach Staatsministerin Claudia Roth über ihre Bewunderung für den widerständigen Pfarrer Niederstraßer. "Hätten auch wir diesen Mut gehabt?", fragte sie sich und ihre Zuhörer. Sie schlug dabei den Bogen zur gegenwärtigen Situation in der Ukraine, von der sie sich vor Kurzem bei einem Besuch in Odessa selbst ein Bild machen konnte, und zu den Männern und Frauen, die heute dort bereit seien, Freiheit und Demokratie ohne Rücksicht auf persönliche Konsequenzen zu verteidigen. Deutliche Parallelen sieht Roth zwischen der Situation, gegen die Pfarrer Niederstraßer während des Zweiten Weltkriegs Stellung bezogen hatte, und dem heutigen Krieg in der Ukraine: Damals, 1942, war Niederstraßers Predigt die Schlacht von Charkow vorangegangen, um deren Tote es im Trauergottesdienst wohl gegangen sei, sagte Roth. Und heute finde um eben diese Stadt, dem ukrainischen Charkiv, wieder eine "erbitterte Abwehrschlacht gegen einen brutalen Aggressor" statt - das sei "gespenstisch".

Aber auch in Deutschland sei die Demokratie "nicht immun" gegen Angriffe, fürchtete Roth. Es gelte, "rechtzeitig dafür zu sorgen, dass die Demokratie nicht ins Abseits der politischen Systeme gerät". Auch aus diesem Grund sei "das Erinnern unverzichtbar" - und unverzichtbar auch die Erinnerungsarbeit, wie sie in Dachau und hier gerade auch von Björn Mensing und Frank Schleicher, geleistet werde.

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