Befreiungsfeiern in Dachau:Diplomatische Vertreter von Russland und Belarus ausgeladen

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Auf dem ehemaligen "SS-Schießplatz" Hebertshausen wurden zwischen 1941 und 1942 mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen: Russen, Belarussen und Ukrainer legten dort in den vergangenen Jahren immer gemeinsam Blumenkränze nieder. (Foto: Niels P. Jörgensen)

Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten zieht damit Konsequenzen aus dem Angriffskrieg in der Ukraine. Die ehemaligen russischen und belarussischen Häftlinge seien mit ihren Familien jedoch von Herzen eingeladen.

Von Helmut Zeller, Dachau

Putins Krieg wirft seine Schatten auch auf die Gedenkfeiern zum 77. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg: Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten hat aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Botschafter und Generalkonsuln Russlands und der Republik Belarus ausgeladen.

Der Stiftungsdirektor, Vizelandtagspräsident Karl Freller (CSU), begründet den Schritt damit, dass beide Länder die unverrückbaren Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit sowie die Achtung vor der Würde und Freiheit der Menschen, die sich aus den nationalsozialistischen Verbrechen als Auftrag ergeben hätten, in "gröbster Weise verletzt haben". Die ehemaligen russischen und belarussischen Häftlinge sind mit ihren Familien jedoch, wie Freller schreibt, von Herzen eingeladen, an den Befreiungsfeiern in Flossenbürg am 24. April und in Dachau am 1. Mai teilzunehmen.

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Diese Entscheidung ist Freller zufolge in enger Abstimmung mit den Leitern der beiden bayerischen KZ-Gedenkstätten, Gabriele Hammermann in Dachau und Jörg Skribeleit in Flossenbürg, abgestimmt. Auch die Gedenkstätten Mauthausen in Österreich und Buchenwald verwehren den offiziellen Repräsentanten der Russischen Föderation und der Republik Belarus die Teilnahme an den Gedenkfeiern, die erstmals nach zwei Jahren der Corona-Pandemie wieder in Präsenz stattfinden können.

Die Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora betont, dass das Gedenken an die KZ-Opfer aus diesen beiden Ländern dennoch eine zentrale Rolle spielen werde. "Zudem werden wir explizit daran erinnern, dass die ehemalige Sowjetunion neben Polen die Hauptlast des deutschen Raub- und Vernichtungskrieges getragen hat und dass es maßgeblich auch der Roten Armee zu verdanken ist, dass Deutschland und Europa vom Nationalsozialismus befreit wurde", heißt es in einer Erklärung der Stiftung.

Auch ehemalige Häftlinge des KZ Dachau bangen in der Ukraine um ihr Leben

Nach dem gewaltsamen Tod von Boris Romantschenko, der am 8. März im Alter von 96 Jahren bei einem Bombenangriff auf sein Wohnhaus in Charkiw getötet wurde, wäre es eine unerträgliche Vorstellung, am Jahrestag der Lagerbefreiung offizielle Vertreter der russischen und der belarussischen Regierung, die für seinen Tod verantwortlich sind, willkommen zu heißen. Romantschenko war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora. Hunderte weitere KZ-Überlebende in der Ukraine sind in Lebensgefahr, auch ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau.

Teilnehmer einer Gedenkstunde für den Buchenwald-Überlebenden Boris Romantschenko stehen vor dessen Foto. Der 96-jährige Boris Romantschenko wurde bei einem Bombenangriff in Charkiw getötet. (Foto: Bodo Schackow/dpa)

Die Evangelische Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte hat in den vergangenen Wochen in zwei Gottesdiensten an diese Menschen erinnert, von denen viele zu alt oder krank sind, um die Strapazen einer Flucht aus der Ukraine auf sich zu nehmen. Der Dachau-Überlebende Vasyl Volodko, 97, zum Beispiel wohnt mit seiner bettlägerigen Frau und seiner Tochter 20 Kilometer südwestlich von Kiew.

Dem Historiker Borys Zabarko, 86, ist die Flucht gelungen. Der Vorsitzende der Allukrainischen Vereinigung der Holocaust-Überlebenden ist mit seiner Enkelin in Stuttgart bei Verwandten untergekommen. Zabarko überlebte als Kind das Ghetto von Scharhorod. Auf der Flucht ist er an Covid-19 erkrankt, wird aber, wenn es sein Gesundheitszustand erlaubt, nach Dachau kommen. 1,5 Millionen Juden sind im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine getötet worden.

Früher waren die Rotarmisten die Retter

Für die Shoah-Überlebenden ist der Gedanke, dass die Nachkommen ihrer ehemaligen Retter, Soldaten der Roten Armee, sie nun töten wollen, nahezu unerträglich. Im ehemaligen Konzentrationslager Dachau waren zwischen 1941, nach dem Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni, und dem Jahr 1945 mehr als 25 000 Bürger der Sowjetunion gefangen. Sie erlitten nach den jüdischen Häftlingen die schrecklichste Behandlung durch die Lager-SS. Ungefähr 2500 wurden im Stammlager Dachau und seinen Außenlagern ermordet. Wie viele der Häftlinge aus der Ukraine waren, weiß man nicht, weil die SS die Gefangenen aus den eroberten Sowjetrepubliken nicht unterschied. Bei der Registrierung erhielten alle zur Kennzeichnung ein "R" - für Russe. Historiker schätzen, dass etwa drei Viertel dieser registrierten Häftlinge aus der Ukraine stammten.

Info-Tafeln erinnern heute an die Schicksale der von der SS ermordeten Opfer. (Foto: Toni Heigl)

Auf dem "SS-Schießplatz Hebertshausen", heute eine Gedenkstätte, wurden 1941 und 1942 von der Lager-SS mehr als 4000 kriegsgefangene Rotarmisten, unter denen auch viele Ukrainer waren, erschossen. An dem Ort dieses Massenmordes wird jedes Jahr im Anschluss an die Befreiungsfeierlichkeiten in der KZ-Gedenkstätte der Opfer gedacht. Diesmal bleibt den diplomatischen und konsularischen Vertretungen Russlands und der Republik Belarus auch hier der Zutritt verwehrt.

Stiftungsdirektor Freller erklärte ihnen: "Die präzedenzlosen Verbrechen, die in deutschem Namen begangen wurden, nehmen uns auch heute in die Pflicht, unser Zusammenleben nach den Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit zu gestalten und die Achtung vor der Würde und der Freiheit des Menschen in das Zentrum unseres Denkens und Handelns zu stellen." Diese Prinzipien aber würden in dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit Füßen getreten.

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