Interreligiöser Gottesdienst:"Der Schmerz wird bleiben"

Lesezeit: 3 Min.

Pfarrer Björn Mensing entzündet eine "Friedenskerze" für die Ukraine. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die evangelische Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau erinnert an ehemalige ukrainische Dachau-Häftlinge und gedenkt in einem multireligiösen Friedensgebet der Opfer des russischen Angriffskrieges.

Von Helmut Zeller, Dachau

Seit Tagen kein Lebenszeichen mehr von Vasyl Volodko. Tag 25 im Ukraine-Krieg. Auf dem Altar der evangelischen Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau steht neben einer Vase mit einer roten Rose ein Portraitfoto des heute 97-jährigen ehemaligen Dachau-Häftlings. Er lebt mit seiner bettlägerigen Frau und seiner Tochter Vera 20 Kilometer südwestlich der heftig umkämpften ukrainischen Hauptstadt Kiew. Mitte März hatte das Maximilian-Kolbe-Werk in Freiburg mit der Familie noch Kontakt. Volodkos Tochter sagte noch: "Uns stehen zwei besonders schwierige und gefährliche Tage bevor." Kirchenrat Björn Mensing hat sich noch sehr um einen Kontakt zu Volodko bemüht, einen der fünf ehemaligen ukrainischen KZ-Häftlinge, die in dem interreligiösen Gottesdienst am Sonntag im Mittelpunkt stehen. Aber niemand hat seit dem 15. März von Volodko gehört.

Zu Beginn spricht in der mit 90 Besuchern voll besetzten Kirche Apostolos Malamoussis, Erzpriester des Ökumenischen Patriarchats, ein Friedensgebet. Pfarrer Mensing entzündet eine "Friedenskerze" für die Ukraine. Die Kerze mit einem Regenbogenmotiv, dem Erzengel Michael und der ukrainischen Flagge wurde von Schwester Benedicta aus dem nebenan gelegenen Kloster Karmel hergestellt. Sie habe als Kind, erzählt Mensing, in Wien in Kellern die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg überlebt.

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Es fehlt nicht an bewegenden Momenten während des fast zweistündigen Gottesdienstes - vollends ergriffen sind die Besucher von der Sängerin Natalia Ruda, die vor einigen Tagen aus der Ukraine nach München geflüchtet ist. Sie trägt drei Lieder aus ihrer Heimat vor, das letzte erzählt von dem Schmerz einer Mutter, die ihren Sohn im Zweiten Weltkrieg verloren hat.

Die Sängerin Natalia Ruda ist erst vor einigen Tagen aus der Ukraine nach München geflüchtet. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Besser als diese Fünf kann man nicht von der Freiheit, der Würde und dem Frieden erzählen

Pfarrer Mensing verzichtet nach den Biografien der fünf ehemaligen Dachau-Häftlinge, erzählt von früheren Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen, auf die vorgesehene Predigt - "da war schon so viel Predigt darin", sagt er. Denn besser als diese Fünf kann man nicht von der Freiheit, der Würde und dem Frieden erzählen. Volodymyr Dshelali (1925-2020), Jurij Piskunov (1925-2007), Vasyl Novak (1924-2020), Vasyl Volodko und Vasyl Bondar, geboren 1926, haben als Jugendliche und Kinder erleben müssen, wie ihre Welt unter der Gewalt und dem Hass der Deutschen zerbrochen ist. Sie haben wie zigtausend andere ihrer Landsleute Verschleppung, Zwangsarbeit, Folter, Schläge, Hunger, Krankheiten und Demütigungen erfahren.

90 Besucher nehmen an dem multireligiösen Gottesdienst in der Evangelischen Versöhnungskirche an der KZ Gedenkstätte Dachau am Sonntag teil. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sie haben überlebt, doch auch im Leben danach, das für die meisten mit der Verfolgung als angebliche Kollaborateure Hitlerdeutschlands durch die Sowjets begann, unter den traumatischen Erfahrungen gelitten. Anika Mensings Stimme bebt, als sie Volodko zitiert, der berichtete, wie er aus der Baracke 23 im KZ Dachau zur Desinfektion musste und in der Kälte nackt zurückgetrieben wurde, als er auf dem Todesmarsch vom 26. April 1945 von einem SS-Mann mit den Gewehrkolben bewusstlos geschlagen wurde und wie tot auf der Straße liegenblieb. Später wird ein Besucher sagen, er gehe mit dem Auftrag aus diesem Gottesdienst nach Hause, immer und überall dem Hass entgegenzutreten.

"Menschen sterben, und dafür gibt es keine Entschuldigung"

"Der Schmerz wird bleiben", prophezeit Mayya Bakulina, eine frühere russische ASF-Freiwillige an der Versöhnungskirche. Sie meint damit Putins Krieg, den Angriff auf die Ukraine, egal wie er enden werde. Die 31-Jährige hat 2014 Moskau verlassen, wie sie sagt. "Menschen sterben, und dafür gibt es keine Entschuldigung." Sie trage Russland in ihrem Blut, in ihrem Herzen. Aber Scham, Schmerz und Abscheu erfülle sie angesichts des Krieges gegen die Ukraine und die eigenen Bürger in Russland.

Jan Kwiatkowski, früherer polnischer ASF-Freiwilliger und Mitarbeiter des Max-Mannheimer-Studienzentrums in Dachau spricht über die Welle an Hilfsbereitschaft in seinem Land. Zwei Millionen sind inzwischen nach Polen geflohen. "Die Menschen öffnen ihre Häuser", sagt Jan Kwiatkowski: Die Hilfswelle gehe von der Zivilgesellschaft aus.

Die Rolle der Regierung könne man vernachlässigen, sie habe zwei Grenzen geschaffen. An der polnisch-ukrainischen würden die Flüchtlinge aufgenommen, an der polnisch-belarussischen spiele sich eine humanitäre Katastrophe ab. Statt herzlicher Begrüßung gebe es Abschiebungen. Er hoffe auf eine größere politische Sensibilität in Polen.

Jüdische Gemeinden helfen Flüchtlingen

Apostolos Malamoussis, Erzpriester des Ökumenischen Patriarchats in München, spricht in der Evangelischen Versöhnungskirche ein Friedensgebet für die Ukraine. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zoryan Augustin Atamanyuk, Priester der Ukrainischen Katholischen Kirche und Kaplan im Pfarrverband St. Jakob, spricht ebenso ein Friedensgebet wie der Imam Şeref Ovalı vom Interkulturellen Dialogzentrum in München. "Brüder und Schwestern in der Ukraine, gebe euch Gott Mut, Kraft und Barmherzigkeit." Die Karmel-Priorin Schwester Irmengard Schuster liest aus dem Evangelium nach Matthäus und bringt die zentrale Botschaft auf den Punkt: "Selig, die Frieden stiften, denn sie werden die Kinder Gottes sein."

Im Anschluss erinnert Rabbiner Steven Langnas an der Jüdischen Gedenkstätte daran, dass die Juden seit alters her in der Ukraine eine spezielle Rolle gespielt hätten. Langnas ist Seelsorger des Saul-Eisenberg-Seniorenheims der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern in München. Es sei nicht übertrieben zu sagen, dass die ukrainische Erde von jüdischem Blut getränkt sei, sagt der Rabbiner in Erinnerung an den Holocaust. Doch auch wenn manche historische Ereignisse bis heute Auswirkungen hätten, gebe es wieder blühendes jüdisches Leben im Land. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland hätten ihre Herzen geöffnet und würden Flüchtlingen helfen - Juden wie Christen.

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