Dachau:"Ich werde kämpfen, bis sie hier ist"

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Mayla Mukdad hat bereits 1996 zusammen mit dem Rest der Familie die Flucht aus Afghanistan angetreten - nur mit einem kleinen Koffer. "Ich bin heute noch traumatisiert", sagt sie. Sie leitet inzwischen ein Kinderhaus in Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nilofar Mukdad hat es nicht auf eines der Flugzeuge geschafft, das sie aus Afghanistan hätte bringen können. Jetzt schwebt die Frauenrechtlerin weiter in Lebensgefahr. Ihre Schwester in Dachau will nicht aufgeben.

Von Christiane Bracht, Dachau

Die Luftbrücke nach Afghanistan ist geschlossen. Die Westmächte sind früher abgezogen, als geplant. Nilofar Mukdad (Name geändert) hat es nicht geschafft, auf eines der Flugzeuge zu kommen, das sie außer Landes hätte bringen können. Die Frauenrechtlerin, die bis vor einer Woche noch Staatsanwältin in Kabul war, schwebt weiterhin in Lebensgefahr. "Meine Angst um sie steigt von Stunde zu Stunde, denn die Gefahr wird größer", sagt ihre Schwester Mayla, die von Dachau aus in den vergangen Tagen versucht hat, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um sie in Sicherheit zu bringen.

"Zwei, drei Mal schienen wir schon am Ziel angekommen zu sein", berichtet sie. Doch in letzter Sekunde hätte sich die Rettung immer wieder zerschlagen. Für die 41-Jährige ein Wechselbad der Gefühle. Seit Sonntagabend ist der Kontakt zu Nilofar abgerissen. "Ich weiß nicht, ob sie noch lebt oder wie es ihr geht", klagt Mayla Mukdad. Doch sie macht gleich klar: "Ich bin optimistisch. Ich werde kämpfen, bis sie hier ist."

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Neben Hoffnung, Angst und Verzweiflung erlebte Mayla Mukdad in den vergangenen Tagen eine große Anteilnahme in Dachau und eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft. "Es hat mich total berührt und ich bin dankbar dafür", sagt sie. Viele Menschen hätten ihr Hilfe angeboten, sie unterstützt und sich sehr engagiert, während sie Kontakte zu Menschenrechtsorganisationen knüpfte oder mit den Bundestagspolitikern von SPD, Grünen und CSU sprach. Michael Schrodi (SPD), Beate Walter-Rosenheimer (Grüne) und Katrin Staffler (CSU) bemühten sich sehr, Nilofar Mukdad auf die Liste der gefährdeten Personen zu bekommen. Doch was die Rettungsaktion so besonders macht, ist, dass sie von Dachau aus angestoßen und innerhalb von kurzer Zeit zu einer internationalen wurde. Und zwar durch die Städtepartnerschaft zwischen Dachau und Fondi.

"Ich habe keine Minute gezögert, als ich den Hilferuf vom Oberbürgermeister bekommen habe"

Was in anderen Kommunen ein gesellschaftliches Ereignis ist, das mit einem Besuch pro Jahr abgefeiert wird, ist in Dachau mehr. "Ich habe keine Minute gezögert, als ich den Hilferuf vom Oberbürgermeister bekommen habe", sagt Salvatore De Meo, ehemaliger Bürgermeister von Fondi. Inzwischen sitzt er im Europaparlament. Eine Dreiviertelstunde nach dem ersten Kontakt meldete sich bereits ein Untersekretär des italienischen Verteidigungsministeriums in Dachau, erkundigte sich, warum Nilofar Mukdad gefährdet ist.

Weitere vier Stunden später gab es das erste Gespräch zwischen dem italienischen Verteidigungsministerium und der ehemaligen Staatsanwältin. Man schickte ihr alle nötigen Unterlagen. Einen Tag danach hätte sie zum Flughafen kommen sollen, um mit der nächsten Maschine der Italiener in Sicherheit gebracht zu werden. Doch dann gab es das Selbstmordattentat, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen, viele schwer verletzt wurden. Chaos brach aus. Für Nilofar Mukdad gab es keinen Weg mehr, zum Flughafen zu kommen. Deutsche und Italiener zogen ab.

Doch die Helfer gaben nicht auf. Die Italiener drängten weiter darauf, eine Bestätigung der Deutschen zu bekommen, dass Nilofar Mukdad zu den gefährdeten Personen gehört. Es dauerte lange, bis sie endlich auf der Liste des Auswärtigen Amts stand, sagt Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der sich selbst dafür einsetzte. Jetzt wird die Afghanin sogar als hochgefährdet eingestuft.

Bei seinem Versuch die Bestätigung über die Botschaft in Rom zu bekommen, hat der OB eine zweite Lawine ins Rollen gebracht, die Nilofar Mukdad beinahe gerettet hätte. Freitagnachmittag nach Dienstschluss rief er an. "Ich hätte nie gedacht, um die Zeit noch einen so kompetenten Mitarbeiter zu bekommen", sagt Hartmann. Der Mann investierte sehr viel Zeit, ebenso wie Kulturamtsmitarbeiterin Tanja Jørgensen-Leuthner, die für die Partnerschaft zuständig ist, und die Kontakte nach Italien von morgens bis abends hielt.

Nach Verhandlungen mit den Amerikanern bekamen die Italiener für Sonntagabend ein Kontingent von 184 Menschen zugesprochen, die sie auf einer amerikanischen Maschine hätten mitnehmen dürfen. Sie wollten 81 junge Studentinnen retten, die im Rahmen eines Austauschprogramms der Uni Rom in Afghanistan hängen geblieben waren. Mit ihnen sollte Nilofar Mukdad außer Landes geflogen werden, berichtet Tanja Jørgensen-Leuthner. "Es war der letzte Strohhalm für die Luftbrücke", sagt OB Hartmann. "Ich war kurz davor, Hurra zu schreien", sagt Jørgensen-Leuthner. Doch dann wurden wieder Raketen am Flughafen abgeschossen. Die Amerikaner hoben ab und verließen Afghanistan früher als vorgesehen. Weder die Studentinnen, noch Nilofar Mukdad und ihre Familie konnten gerettet werden.

"Leider waren wir nicht ganz erfolgreich", sagt Hartmann. Doch wenn man gemeinsam solche Aktionen in Bewegung setze, zeichne das "unsere Partnerschaft" aus. "Ich empfinde Dachau, wie meine zweite Haut", sagte Salvatore De Meo indes. "Die Städtepartnerschaft ist nicht nur da, um zusammen zu feiern und Ausflüge zu machen, sondern sich in der Not zu helfen, sich die Hand zu geben und gemeinsam den Weg zu gehen." Er werde in der EU bekannt machen, was man mit einer internationalen Städtepartnerschaft erreichen könne, kündigt De Meo an.

Mayla Mukdad hofft nun auf die diplomatischen Bemühungen der Länder und auf eine mögliche Flucht auf anderem Wege. Im ZDF, das sie am Dienstag in ihrer Wohnung empfangen hat, appellierte sie an alle Politiker, vor allem an Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Außenminister Heiko Maas: "Vergesst Afghanistan nicht, gebt die Frauen nicht auf." Die Frauen seien glücklich gewesen, in Freiheit leben zu können. Die Westmächte hätten große Hoffnungen geweckt und nun sei alles wieder komplett anders.

© SZ vom 01.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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