Kunst:Am Anfang war die Farbe

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Paul Havermann präsentiert die Vielzahl seiner neuen Bilder in der platzsparenden Petersburger Hängung. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In seiner Atelierausstellung huldigt Paul Havermann mit seinen Gemälden der Schönheit der Natur, er thematisiert aber auch deren Bedrohung durch den Menschen. Der Maler gibt zudem Einblick in sein früheres Schaffen seit 1974.

Von Gregor Schiegl, Schwabhausen

Es ist schon mehr als zwei Jahre her, dass Paul Havermann seine letzte Ausstellung gezeigt hat. "Herbstflimmern" lautete der Titel damals. In der KVD-Galerie sah man seine vor Farben vibrierenden Gemälde, formschöne Detonationen von flirrendem Gelb, strotzendem Rot und wogendem Grün. Havermann pflückt die Inspirationen aus der Natur, nicht selten aus den verwunschenen Winkeln seines eigenen Gartens, in dem es im Sommer allerorten blüht und summt.

Schon im "Herbstflimmern" ging es auch um die allgegenwärtige Gefährdung der Umwelt durch menschliche Gier und Ignoranz, nicht nur am fernen Amazonas, auch in seiner Heimatstadt Dachau. Hier wird verdichtet, planiert, verkiest und betoniert, in der SZ-Serie "Bauen in Dachau" hat der Künstler diese Entwicklung ausführlich dargestellt und kritisiert.

Von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion

Seine neue Atelierausstellung ist nun einerseits so etwas wie eine Fortsetzung des "Herbstflimmerns" von 2021, sie ist aber auch eine Retrospektive auf Havermanns langes künstlerisches Schaffen. Die Arbeiten, die lange in Schubladen und Lagerräumen schlummerten, holt er für die Besucher wieder ans Licht. Sie reichen viel weiter zurück als 28 Jahre. Das ist die Zeit, die er alleine in den Räumen der Alten Schreinerei Lachner mit den farbverklecksten Holzfußböden schon malt. Wenn er nicht seiner neu entdeckten Leidenschaft, dem Klavierspielen, nachgeht oder ein paar Golfschläge in ein Fangnetz übt.

Die ältesten Bilder datieren auf das Jahr 1974. So kann man nachverfolgen, wie Paul Havermann sich über rund 50 Jahre zu dem feinsinnigen Künstler entwickelt hat, der er heute ist. Zunächst malte er gegenständlich, Akte, Selbstporträts, aquarellierte Skizzen italienischer Stadtansichten. Er brachte Interieurs auf die Leinwand, farblich reduziert, die schummrig, dunkel, einsam und beklemmend wirken, und durch das beengende Hochformat bisweilen fast klaustrophobisch.

Das ist umso bemerkenswerter als sein heutiger Stil - maßgeblich geprägt von seinem Professor, dem Landschaftsmaler Rudi Tröger - von einer lichten Heiterkeit geprägt ist, manchmal durchaus mit impressionistischen Zügen.

Gartenidylle unterm Apfelbaum

Ausgangspunkt für Havermanns Malerei ist immer die Farbe, die Form ist nur Gespielin. Im Zusammenwirken entstehen so berauschende Bilder wie das großformatige Gemälde "Unterm Apfelbaum". Es ist eine Gartenidylle aus Blütenduft und Blätterrauschen, malerisch umgesetzt mit lichten Farbtupfern. Man steht nicht vor dem Bild, man steht gewissermaßen mittendrin, umweht vom warmen Sommerwind.

Trotzdem wirkt der Künstler ein wenig skeptisch. Für Havermanns Verhältnisse ist das Bild schon fast zu konkret, am rechten Bildrand sieht man sogar einen aufgeklappten Gartenstuhl. Andererseits muss man manchmal deutlicher werden, wenn man eine Botschaft zu vermitteln hat. Einen Apfelbaum, der auf dem Nachbargrundstück stand, hat er extra noch einmal gemalt, ehe die Bagger kamen. Es ist eine Art "memento mori" und zugleich eine stille Anklage gegen den materiellen Ungeist der Zeit. Wo der Apfelbaum stand, befindet sich nun ein gepflasterter Parkplatz.

Das Bild "Ins Blaue hinein" wollte Paul Havermann eigentlich schon in der KVD-Schlossausstellung zeigen. (Foto: Niels P. Jørgensen)
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich einige Arbeiten in dem Stettener Atelier angesammelt. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Hier wird viel mit Farben gearbeitet, das sieht man sofort. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Das Spiel mit Farben und Formen in der Bauklötzchen-Variante. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Amperflimmern und Blumenwolken. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Blickfang dieser Ausstellung ist das raumgreifende Gemälde "Ins Blaue hinein", das schon ungewohnt figurativ ist: An einem Baum schaukelt ein Mädchen vor tiefblauem Grund, ziemlich wild und ziemlich hoch, ein anderes führt an einer Leine einen Hund spazieren, in der Linken hält sie bunte Luftballons. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass es sich um Werbeartikel der Bundestagsparteien handelt.

Eigentlich hatte Havermann die Arbeit schon bei der Schlossausstellung der Künstlervereinigung Dachau im Sommer zeigen wollen, doch das Bild fand darin keinen Platz. Das findet er natürlich schade, "ich wäre gerne darüber mit den Leuten ins Gespräch gekommen".

Vom Fliegen zum Fallen

Das übermütige Schaukeln, das im Bild mit kindlicher Freude ausgetestet wird, rührt an die Frage, wie weit das ganze Höher-Schneller-Weiter eigentlich noch gehen kann; irgendwann gibt es einen Kipppunkt. In die Politik, gleich welcher Partei, scheint der Künstler dabei wenig Vertrauen zu setzen. Im Begleittext heißt es: "Die bunten Luftballons der Erwachsenen steigen wie uneingelöste Versprechen auf ins ungewisse, dunkle Blau." Und man weiß, wie schnell dieses billige Glump platzen kann.

Havermanns künstlerische Stärke kommt in anderen Bildern stärker zur Geltung, dann nämlich, wenn er sich vom Ausgangsmotiv löst und es frei und gestisch in seine eigene Sprache der Malerei übersetzt. Dafür gibt es viele anschauliche und kraftvolle Beispiele. In einem kleinformatigen Bild türmen sich weiße Blüten zu farbgewittrigen Quellwolken, die rot aufschießenden Amarylliskelche, voll erblüht und damit schon am Welken, haben bei Havermann die Vitalität eines verheerenden Großbrands.

Manchmal umrahmt Paul Havermann seine Gemälde mit Holzstäben in den auf der Leinwand verwendeten Farben. Er setzt damit das Bild im Raum mit architektonischen Mitteln fort. Man erkennt darin die Methodik seines Arbeitens, es illustriert aber auch Havermanns Streben nach einem Urzustand, in dem Mensch, Natur und Architektur noch eine harmonische Einheit bildeten.

"Paul Havermann. Malerei." Atelierausstellung in der Alten Schreinerei Lachner, Dorfstraße 11 in Stetten. Vernissage am Freitag, 24. November ab 18 Uhr. Öffnungszeiten Samstag und Sonntag, 25./26. November sowie 2./3. Dezember von 12 bis 17 Uhr.

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