KVD-Schlossausstellung:Ausflug ins Blaue

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Auch drei Grafiken aus der Serie "Metamorphosen in Blau" des im Juni verstorbenen KVD-Künstlers Klaus Eberlein sind in der Ausstellung zu sehen. (Foto: Toni Heigl)

Die Sommerausstellung der Künstlervereinigung Dachau präsentiert sich heiter und vielseitig. Zu sehen sind einige recht ungewöhnliche Arbeiten von Gastkünstlern. Ungeachtet des Titels "blau machen" geht es um weitaus mehr als um das süße Nichtstun.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Er war der große Trinker unter den Literaten und der große Literat unter den Trinkern: Charles Bukowski. Im Katalog zur aktuellen Schlossausstellung der KVD ist ein Zitat von ihm abgedruckt: "Das ist das Problem am Trinken, dachte ich mir, während ich mir einen Drink einschüttete. Wenn etwas Schlechtes passiert, trinkt man, um zu vergessen; wenn etwas Gutes passiert, trinkt man, um zu feiern; und wenn gar nichts passiert, trinkt man, damit etwas passiert." Blau sein, das konnte Bukowski immer. Sein Konterfei ist es auch: blau.

Der Dachauer Künstler Florian Marschall hat den berühmten amerikanischen Autor porträtiert, das Gesicht zernarbt von der starken Akne seiner Jugendtage. Der alte Dichter leert eine Flasche, und es sieht nicht nach Limo aus. Man sieht den Blues auf diesem Bild, den Seelenschmerz in gedecktem Blau.

Es ist nur eine der vielfältigen Arbeiten, die in den kommenden Wochen in der Schlossausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) zum Thema "blau machen" zu sehen ist. Mehr als 180 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Bayern und darüber hinaus hatten sich bei einer Ausschreibung der KVD beworben, 30 wurden ausgewählt, mehrheitlich machten Gastkünstler das Rennen. Nicht nur die Zahl der Bewerbungen, auch die Qualität der Arbeiten hat die Jury überrascht.

"Transformation", Gemälde von Mandy Kunze, Meisterschülerin von Neo Rauch. (Foto: Toni Heigl)

Blickfang und Attraktion dieser Ausstellung ist das großformatige Gemälde "Transformation". Eine helle Wolke hängt über einer Wasserfläche, in der sich die Wolke spiegelt. Regentropfen treffen aufs Wasser. Es ist ein Blitzen gelber Pinselstriche, ein Spektakel voller Dynamik. Gemalt hat es die Leipziger Künstlerin Mandy Kunze, Meisterschülerin von Neo Rauch, dem bekanntesten Vertreter der Leipziger Schule.

Buch im Salzmantel

Zu den originellsten Arbeiten dieser Ausstellung gehört sicherlich der Beitrag von Yvonne Dienstbeck. Die Künstlerin aus dem Allgäu hat ein dickes altes Buch wochenlang in Salzwasser gelegt, bis das Wasser komplett verdunstet war. Auf Einband und Seiten ist eine Patina aus bläulich-weißen Kristallen und Krusten entstanden, die Frakturschrift auf den Seiten ist nicht mehr lesbar. Das Buch im Salzmantel verströmt dennoch eine ungeheure Autorität.

Sehenswert ist auch das kuriose Objekt "200 N" von Stefan Stock. Im Inneren des geheimnisvollen Apparats aus alten Elektronikbauteilen blinken blau beleuchtete Kristalle in wechselndem Rhythmus. Das Gerät scheint einem etwas mitteilen zu wollen, man hat nur keine Ahnung, was. Das bläuliche Licht strahlt Bedeutsamkeit aus, mehr noch einen Schimmer von Hogwart'scher Magie. Ein herrliches Ding ist das, auch wenn es keinen praktischen Zweck erfüllt. Es ist halt Kunst.

Eine Kombination aus Kristallen und technischer Anmutung ist das Objekt "200 N" von Stefan Stock. (Foto: Toni Heigl)
Yvonne Dienstbecks Objekt "Offen", ein in Salzkruste gehülltes Buch, wurde beschädigt. (Foto: Toni Heigl)

Präsentiert wird diese blautümelnde Schlossausstellung an himmelblauen Stellwänden. Mit diesem Gestaltungselement soll sich die zeitgenössische Kunst besser gegen den Renaissance-Prunk des Festsaals behaupten. "Das war ein großes Ding für uns", sagt der KVD-Vorsitzende Johannes Karl. Das Farbband setzt einen deutlichen Akzent, auch wenn der blaue Hintergrund nicht mit jeder Arbeit gleich gut harmoniert.

Blaupause für die Gelenkqualle

Eintönigkeit muss man angesichts der Vielfalt an Techniken und Stilen nicht befürchten. Der Dachauer Fotograf Wolfgang Feik zeigt Bilder aus einem Zeitraum von hundert Jahren im Eisenblaudruck, die Traunsteiner Künstlerin Claudia Weber entwickelt eine visionäre Blaupause für neuartige Gelenkprothesen, die aus speziell dafür gezüchteten Quallen gewonnen wird. Präsentiert werden sie als technische Skizzen mit weißen Strichen auf blauem Grund.

Aus Petra Levis' aktueller Serie "Licht - Farbe - Transparenz" stammt das täuschend echt wirkende Bild eines transparenten saphirblauen Löffels. Die Münchnerin malt alltägliche Dinge wie Kaffeetassen und Schokoriegel, wirklichkeitsgetreu im Stile des Fotorealismus. In der Größe eines Spatens sieht der Löffel allerdings nicht mehr aus wie ein triviales Stück Plastikbesteck, er wird ein abstraktes Farbwunder, dessen Nuancen von hellem Türkis bis zu dunklem Blauviolett changieren. Das Gegenständliche, es löst sich auf wie blauer Sirup in blubberndem Sekt.

Um beschädigtes Knorpelmaterial zu ersetzen, greift die Medizin heute unter anderem zu aus Quallen gewonnenem Kollagen. Das hat Claudia Weber zu ihren Blueprints mit dem Titel "Cartilago Cnidaria" inspiriert. (Foto: Toni Heigl)
"Bewahrt" und "Glück" gehören zu einer Reihe von Arbeiten zum Thema Erinnerungen. Der links abgebildete Gegenstand stammt aus Japan, wo die Künstlerin Susanne Plischke mehrere Jahre gelebt hat. Rechts "Saphir" von der Münchner Malerin Petra Levis. (Foto: Toni Heigl)
Die "Geschichte einer erfundenen Vergangenheit" erzählt der Dachauer Fotokünstler Wolfgang Feik in seinen Cyanotypien. (Foto: Toni Heigl)
Wolfgang Sands "Geschöpfe von Gestern oder Morgen" tummeln sich im Foyer. (Foto: Toni Heigl)

Vor lauter Blau übersieht man im Foyer des Schlosses leicht die 2,50 Meter hohen "Geschöpfe von Gestern oder Morgen" von Wolfgang Sand. Ihre langen eleganten Beine sind aus Holz, die Leiber aus Eisen, nirgendwo findet sich auch nur ein Klecks Farbe. Diese Kreaturen sind beispielhaft für den Einfallsreichtum des Lebens, das sich auch nach dem Verschwinden der Menschheit immer weiterentwickeln wird. "Aus dem Blauen ins Blau", wie der Haimhausener Künstler Wolfgang Sand dem Titel seiner Installation als Erklärung hinzugefügt hat. Solche Hinweise braucht man manchmal, es gibt hier keinen durchgängigen roten Faden, manchmal sind es eher blaue Faserspuren.

Warum sich nicht einfach mal treiben lassen?

Manche Künstlerinnen haben das Thema "blau machen" allerdings genauso bearbeitet, wie es die meisten Leute landläufig wohl auch verstehen würden: als die zeitweise Befreiung aus den Zwängen des Alltags und seiner lästigen Verpflichtungen. Andrea Würtinger hat eine Badeplattform in Acryl gemalt, auf der sie sich manchmal vom Schwimmen im See ausruht. "Da bekomm ich dann so ein Gefühl von 'blau machen'", wird die Siegsdorfer Künstlerin im Ausstellungskatalog zitiert.

Lässiges Nichtstun ist auch das Thema bei Ursula Bolck-Jopp aus Vilsbiburg: Eine Frau und ein Hund sitzen auf einem Pier und schauen aufs Meer. Der Titel "Sittin' On The Dock Of The Bay" verweist auf Otis Reddings bekanntes Loblied aufs Faulenzen. Hübsches Detail: Das Dock besteht aus einem glitzernden blauen Kaugummipapier.

"Losgelöst" ist der Titel des Gemäldes in Acrylfarben von Andrea Würtinger. (Foto: Toni Heigl)

In der Kunstgeschichte war Blau schon immer eine Farbe von herausgehobener Bedeutung: In der Renaissance wurde sie mit dem Himmel assoziiert, mit dem Göttlichen, dem Ewigen. In der zeitgenössischen Kunst ist Blau immer noch eine Farbe von starker Symbolkraft, allerdings geht es hier generell etwas diesseitiger zu als in der frühen Neuzeit.

Die Münchnerin Carmen Nöhbauer visualisiert in ihrem Gemälde "Blaues Atmen" das Ein- und Ausatmen mit senkrechten blauen Pinselstrichen, die sich zum Muster eines rhythmisch wogenden Ozeans zusammenfügen.

Für die 1987 in Peking geborene Künstlerin Weiran Wang, die seit zwei Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, ist die Farbe Blau verbunden mit dem Gefühl, das sie hat, wenn sie in den Himmel blickt oder hinaus aufs weite Meer, ein Gefühl von Freiheit. Doch auf ihrem düsteren Bild "Der Sprecher" sieht man von diesem Blau sehr wenig. Es ist nur ein schmaler Spalt zwischen einem Vorhang aus einer uniformen schwarzen Menschenmasse, vor dem der abgebildete Sprecher gestikuliert. Durch den Ausschnitt kann man eine grüne Wiese erahnen und den grenzenlosen Himmel. Blau bleibt eine Sehnsuchtsfarbe.

"blau machen", Sommerausstellung der KVD im Schloss Dachau. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag, jeweils 16 bis 19 Uhr, Sonntag, 14 bis 18 Uhr. Die Ausstellung geht bis 3. September.

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