Amtsgericht Dachau:"Wären Sie nicht so jung, würde ich Sie richtig zusammenfalten"

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Ein dritter Verhandlungstermin ist für den 7. September angesetzt. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Die Anzeige einer heute 13-Jährigen hat einen 38-Jährigen aus dem südlichen Landkreis auf die Anklagebank gebracht. Der Vorwurf: sexueller Missbrauch von Kindern. Am zweiten Verhandlungstag will sich die minderjährige Zeugin jedoch nicht mehr an ihren Gang zur Polizei erinnern.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Richter Tobias Bauer hatte nach dem ersten Prozesstag extra noch einen zweiten Verhandlungstermin angesetzt, um die Zeugin zu hören, die 2021 bei der Polizei Anzeige gegen jenen 38-Jährigen erstattet hatte, der nun auf der Anklagebank sitzt. Denn, was sie damals ausgesagt hat, führte zu der wohl schwerwiegendsten Anschuldigung der Anklageschrift: Dem Mann aus dem südlichen Landkreis wird nämlich unter anderem sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen. Er soll Minderjährigen am Dachauer Bahnhof nicht nur Drogen angeboten haben, sondern sie auch nach einem Blowjob gefragt und als "geile Nutte" bezeichnet haben. Das Problem ist nur: Plötzlich mag sich die damals Elfjährige weder an den Vorfall erinnern, noch daran, dazu jemals eine Aussage bei der Polizei gemacht zu haben.

Beim ersten Verhandlungstermin war Richter Bauer schon an einer heute 16-Jährigen verzweifelt, die sich angeblich an nur sehr wenig erinnern konnte, was an einem Abend im Mai vor zwei Jahren am Dachauer Bahnhof passiert ist. Darauf sah er sich gezwungen, die heute immer noch minderjährige Zeugin vorzuladen. Immerhin war sie es ja gewesen, die den Angeklagten kurz nach dem Vorfall angezeigt hatte.

Doch als Richter Bauer die heute 13-jährige Karlsfelderin dazu befragt, sagt sie aus, dass sie den 38-Jährigen noch nie gesehen und auch nie angezeigt habe - und das, obwohl sowohl ihr Name, ihr Geburtsdatum, sowie auch Name und Geburtsdatum ihres Vaters mit den Angaben übereinstimmen, die damals bei der Polizei gemacht worden sind. Eine Verwechslung scheint dem Richter daher unwahrscheinlich.

Amtsgericht Dachau
:Komplizierte Wahrheitsfindung

Ein 38-jähriger Mann aus dem Landkreis Dachau soll sich sexuell übergriffig verhalten und Minderjährigen Drogen angeboten haben. Um die Vorwürfe restlos aufzuklären, will das Gericht noch eine Zeugin hören und ein psychologisches Gutachten heranziehen. Für Mitte August wird deshalb ein weiterer Prozesstag angesetzt.

Von Jacqueline Lang

Zunächst probiert es Richter Bauer dennoch freundlich. Er will wissen, wie oft es denn schon vorgekommen ist, dass sie bei der Polizei Aussagen machen musste, worauf die Schülerin erwidert, dass das schon öfter vorgekommen sei. Als die 13-Jährige auf weitere Nachfragen nur einsilbig antwortet und vorgibt, sich an rein gar nichts zu erinnern, wird Richter Bauer sauer: Ob es ihr eigentlich völlig egal sei, dass der 38-Jährige heute nur aufgrund ihrer Aussage vor Gericht stehe? "Wären Sie nicht so jung, würde ich Sie mal richtig zusammenfalten", sagt er, sichtlich ungehalten. Ihr Schutz, das macht er klar, sei allein, dass sie noch immer minderjährig sei und damit nicht strafmündig.

Nun bleiben nur noch Zeugen, die Angaben "vom Hörensagen" machen können

Skurril wird es, als Richter Bauer die Zeugin nach der 16-jährigen Zeugin vom ersten Verhandlungstag fragt. Diese hatte damals angegeben, zum Zeitpunkt des Vorfalls mit der 13-Jährigen befreundet gewesen zu sein. Diese will sich aber nicht einmal an deren Namen erinnern. Als Richter Bauer daraufhin fragt, ob sie ihn "verarschen" wolle, schaltet sich die Mutter, die im Zuschauerraum sitzt, ein. Auch ihr sei der Name einer solchen Freundin ihrer Tochter nicht bekannt, sagt sie. "Ich bin gerade ein bisschen sprachlos", ist alles, was Richter Bauer zu sagen bleibt, bevor er sich zu einer kurzen Beratung mit den beiden Schöffen zurückzieht. Immerhin hatte man sich, das wird Richter Bauer danach noch sagen, viel von der Aussage der Zeugin versprochen. Nun bleibt lediglich die Befragung von Zeugen, die den Vorfall nur "vom Hörensagen" kennen.

Das Schöffengericht ist sich deshalb zunächst nicht einmal sicher, ob es Sinn macht, den Vater der Zeugin, sowie den Polizeibeamten, der die Anzeige damals aufgenommen hat, überhaupt noch vorzuladen, doch die Staatsanwaltschaft hält die Vorwürfe für so schwerwiegend, dass sie darauf besteht. Dem kommt Richter Bauer schließlich nach und betont, dass man freilich die Beweisführung nicht vorwegnehmen könne. Gleichwohl lässt er durchblicken, dass er geneigt sei, den Angaben des Angeklagten zu glauben. Der hatte ein Streitgespräch mit Jugendlichen am Bahnhof eingeräumt und auch, dass er nach einem Blowjob gefragt habe. Unwahr sei jedoch, dass er Drogen angeboten oder auch nur bei sich gehabt habe. Und auch im Fall des Blowjobs beteuert der 38-Jährige, dass er die Mädchen nur habe provozieren wollen. Um sexuelle Handlungen sei es nie gegangen.

Auch als er sich an einer Bushaltestelle in Dachau-Ost entblößt habe, sei es ihm nicht darum gegangen, die Frau, die das zur Anzeige gebracht habe, sexuell zu belästigen. Vielmehr habe er die vorbeifahrenden Autofahrer mit seiner Aktion provozieren wollen. Lediglich im Fall des Nacktbildes von einer blonden Frau, das er einer ebenfalls blonden Kommunalpolitikerin via Facebook mit der Frage nach einem "Fick" gesendet habe, sei von ihm als Flirtversuch gemeint gewesen. Grundsätzlich, auch das hatte der Angeklagte schon beim ersten Mal ausgesagt, leide er aber an einer hebephrenen Schizophrenie. Er glaube daher, zum Zeitpunkt der drei Taten, die sich alle im Frühjahr 2021 zugetragen haben sollen, unter eine Psychose gelitten zu haben.

Der psychiatrische Gutachter hält den Angeklagten nur für vermindert schuldfähig

Simone Sivo, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bestätigt mit seinem Gutachten, dass bei dem 38-Jährigen mit 25 Jahren eine Schizophrenie diagnostiziert worden ist. Bei dem Angeklagten äußere sich das aber nicht durch "Imperativ-Stimmen", also Stimmen im Kopf, die dem Angeklagten sagen, was er zu tun hat. Vielmehr zeige sich die Erkrankung in einem "unangepassten Sozialverhalten", die Denkvorgänge seien teilweise "gestört", die Gedanken "nicht immer logisch". Dass er sich, wie von der Staatsanwaltschaft vorgetragen, im Gespräch mit den Jugendlichen "komisch verhalten" habe, sei also gut möglich. Oft seien, auch das sagt Sivo, Menschen mit dieser Erkrankung aber selbst Opfer. So habe der Angeklagte angegeben, von den männlichen Jugendlichen, die ebenfalls am Dachauer Bahnhof zugegen waren, geschlagen worden zu sein.

Pädophile oder exhibitionistische Neigungen habe der Angeklagte seiner Auffassung nach nicht, es sei aber schon möglich, dass der Angeklagte wieder straffällig werden könnte, in dem er sich in der Öffentlichkeit entblößt. Aufgrund der Erkrankung des Angeklagten geht Sivo jedenfalls davon aus, dass der 38-Jährige nur vermindert schuldfähig ist.

Wie das Schöffengericht die Taten des Angeklagten letztlich beurteilen wird, ist auch nach dem zweiten Prozesstag noch unklar. Am Donnerstag, 7. September, sollen der Vater der 13-jährigen Zeugin, der sie damals zur Polizei begleitet hat, sowie der Polizist, der die Anzeige aufgenommen hat, vernommen werden - in der Hoffnung, dass sie zur Wahrheitsfindung beitragen können.

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