Amtsgericht Dachau:Komplizierte Wahrheitsfindung

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Die Verhandlung wird am 17. August fortgesetzt. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Ein 38-jähriger Mann aus dem Landkreis Dachau soll sich sexuell übergriffig verhalten und Minderjährigen Drogen angeboten haben. Um die Vorwürfe restlos aufzuklären, will das Gericht noch eine Zeugin hören und ein psychologisches Gutachten heranziehen. Für Mitte August wird deshalb ein weiterer Prozesstag angesetzt.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Die Vorwürfe gegen einen 38-jährigen aus dem Landkreis Dachau wiegen schwer. Nicht nur soll er sich vor einer Frau an einer Bushaltestelle im Frühjahr 2021 entblößt haben, er soll einer anderen Frau auch ein pornografisches Bild mit eindeutigen Angeboten geschickt und zwei Minderjährige zu sexuellen Handlungen aufgefordert und ihnen Marihuana angeboten haben. Der Angeklagte bestreitet die ihm vorgeworfenen Handlungen vor dem Dachauer Amtsgericht im Wesentlichen nicht, schildert sie aber doch ein wenig anders.

Er geht davon aus, dass er zum Zeitpunkt der drei Taten an einer Psychose gelitten habe. Eigenen Angaben zufolge wurde bei ihm zu Studienzeiten eine hebephrene Schizophrenie diagnostiziert. Ob sich diese strafmildernd auf das Urteil des Schöffengerichts auswirken wird, ist nach dem ersten Prozesstag noch offen.

Auf die Frage von Richter Tobias Bauer, warum er die "Hosen runtergelassen" habe, sagt er, er habe nicht eine Frau sexuell belästigen, sondern vielmehr als passionierter Radfahrer vorbeifahrende Autos provozieren wollen. Als Richter Bauer ihn fragt, ob es sich also um ein "politisch-ökologisches Statement" gehandelt habe, bejaht der Angeklagte dies.

Auch dass er einer Kommunalpolitikerin via Facebook ein Bild von einer blonden Frau in sexueller Pose geschickt und sie gefragt hat, ob sie das sei, gibt der Anklagte zu. Verbunden war dies mit der Nachricht: "Wenn du fremdgehen möchtest, kannst du dich bei mir melden, Süße. Hatte schon lange keinen Fick mehr." Allerdings sagt er, er habe die Frau noch von Schulzeiten gekannt, später hätten sie dann mal "geshakert". Seine Kontaktaufnahme müsse man als Versuch verstehen, mit ihr "anzubandeln".

Am Dachauer Bahnhof mit einem Joint herumzulaufen, sei selbst ihm "zu heiß"

Vor allem beim dritten Anklagepunkt widerspricht der 38-Jährige der verlesenen Anklageschrift: Er habe am Dachauer Bahnhof keinen Joint geraucht, "das ist selbst mir zu heiß". Unter dem Einfluss von Marihuana und Alkohol sei er aber an jenem Abend tatsächlich vor dem McDonalds mit seinem Ghettoblaster umhergelaufen und dort auf die "Jugendbande" getroffen. Diese hätte ihn zuerst beleidigt, woraufhin er die stark geschminkten Mädchen gefragt habe, was ein Blowjob koste und sie als "Nutte" beschimpfte.

Am Joint zu ziehen, habe er ihnen aber definitiv nie angeboten. Warum er sich überhaupt auf ein Gespräch mit den Jugendlichen eingelassen hat, vermag er nicht zu erklären. Die Antwort, er habe versucht, diese zu "adaptieren", verfängt bei dem Richter jedenfalls nicht. Auf die Frage, warum die Polizei gerufen worden sei, sagt der 38-Jährige, es sei bei Jugendlichen gerade "modern, dass man jemanden anzeigt". Wie er zu dieser Feststellung kommt, auch das vermag er nicht zu sagen.

Eine Zeugin, ein mittlerweile 16-jähriges Mädchen, das unter den Jugendlichen am Dachauer Bahnhof gewesen ist, will sich trotz Richter Bauers Belehrung kaum noch an den Vorfall erinnern, auch eine Vorladung der Polizei will sie nie erhalten haben. Bis auf die Tatsache, dass der Angeklagte in einen Blumenkübel "gepisst", laute Musik gehört und den Mädchen in der Gruppe seinen "Ballon" habe zeigen wollen, will sie sich partout nicht an Einzelheiten erinnern können.

"So richtig Lust haben Sie nicht, an diesem Verfahren mitzuwirken"

Auch die Frage des Richters "Warum funktioniert denn Ihr Gedächtnis so dermaßen schlecht?" bleibt unbeantwortet, worauf dieser genervt resümiert: "So richtig Lust haben Sie nicht, an diesem Verfahren mitzuwirken." Er entlässt die Zeugin trotzdem unvereidigt, entscheidet aber aufgrund ihrer wenig hilfreichen Aussage, dass er noch ein anderes, zum Tatzeitpunkt erst elfjähriges Mädchen vorladen muss. Er habe das aufgrund ihres jungen Alters vermeiden wollen, nun aber führe kein Weg daran vorbei. Sie soll laut Anklageschrift nämlich diejenige sein, die von dem Angeklagten sexuell belästigt worden ist und Anzeige gestellt hat.

Die zweite Zeugin, die Frau, die die Polizei gerufen hat, nachdem der 38-Jährige sich vor ihr entblößt hat, sagt aus, dass der Angeklagte sie in der Königsbergerstraße in Dachau-Ost vom Supermarkt bis zur Haltestelle verfolgt und ihr hinterhergerufen habe. Sie habe sich erst umgedreht, als sie die Straße zur Haltestelle überquert habe, daraufhin habe sich der Mann "komplett nackt ausgezogen". Statt ihr zu helfen hätte ein älterer Herr an der Haltestelle den Angeklagten sogar noch angestachelt und gesagt, was für ein "Prachtstück" er doch habe. Dass der Angeklagte explizit sie und nicht, wie von ihm behauptet, vorbeifahrende Autos gemeint hat, davon ist die Frau aus Oberschleißheim überzeugt.

Die Verhandlung wird am 17. August fortgesetzt. Dann soll die 13-Jährige, die wegen des Vorfalls am Bahnhof Anzeige erstattet hat, als Zeugin gehört werden, außerdem wird ein Sachverständiger ein psychologisches Gutachten vorstellen.

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