Christian Ude über den NSU-Prozess:"Die politische Dimension ist verkannt worden"

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Gesperrt wegen Umbaus: Im Saal 101 im Strafjustizzentrum beginnt am 17. April der NSU-Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts. (Foto: dpa)

Griechische und türkische Medienvertreter brauchen beim NSU-Prozess Plätze im Gerichtssaal - das hält Münchens Oberbürgermeister Christian Ude für "unverzichtbar". Im Interview mit der SZ spricht Ude vom enormen Imageschaden - und hofft auf den guten Willen des Gerichts.

Von Peter Fahrenholz

SZ: Die Kritik an der Platzvergabe im NSU-Prozess reißt nicht ab. Haben Sie Verständnis für diese Reaktionen?

Christian Ude: Wir brauchen doch nur einmal an die Situation zu denken, als es Morde in Russland oder der Türkei gab, die von den Staatsorganen nicht auf befriedigende Weise aufgeklärt werden konnten. Da hat die gesamte deutsche Öffentlichkeit den Verfahren eine enorme politische Bedeutung beigemessen und vor allem Transparenz gefordert. Diesen Anspruch müssen wir auch der türkischen Öffentlichkeit zubilligen.

Hat das Gericht aus Ihrer Sicht diese politische Dimension unterschätzt?

So ist es. Sie haben ohne Frage als korrekte Juristen gehandelt, sie wollten das Verfahren auf jeden Fall revisionsfest machen. Und es liegt ja tatsächlich im Interesse der Opferfamilien, dass es nicht auch noch im Gerichtsverfahren Pannen gibt. Die politische Dimension ist verkannt worden. Sonst hätte man nie auf die Idee kommen können, für die Medienplätze ein Windhundverfahren zu beschließen. Mit dem Risiko, dass es schief geht.

Es gibt ja Beispiele dafür, dass man der ausländischen Presse ein Kontingent reserviert. Denn die örtlichen Medien sind meist schneller. Dass der türkische und der griechische Staat und die Medien aus beiden Ländern ein Kontingent erhalten müssen, halte ich für unverzichtbar.

Sie kennen die Münchner Örtlichkeiten gut. Hätte es wirklich keinen anderen, größeren Saal gegeben, der für einen solchen Prozess geeignet gewesen wäre?

Natürlich wäre das eine Variante gewesen. Ich habe Verständnis dafür, dass das Gericht diese Variante verworfen hat, vielleicht auch, um jeden Geruch eines Sonderverfahrens zu vermeiden. Oder um auszuschließen, dass die Verteidigung irgendetwas hätte rügen können. Aber dass man nicht erkannt hat, dass die türkische und die griechische Seite berücksichtigt werden müssen, ich sage jetzt mal: koste es, was es wolle, das ist mir unbegreiflich.

Aber geeignete Örtlichkeiten hätte es schon gegeben?

Natürlich wäre das mit beträchtlichen Kosten verbunden gewesen . . .

. . . die der Bund hätte tragen müssen.

Ja, sicher. Aber selbstverständlich wäre das, wenn ich jetzt an unsere eigenen Lokalitäten denke, zum Beispiel auf dem Münchner Messegelände oder im MOC im Münchner Norden möglich gewesen.

Wäre denn auch eine Übertragung in einen anderen Raum möglich? Die Frage wird juristisch unterschiedlich bewertet. Aber Norwegen hat es beim Breivik-Prozess ja auch so gemacht.

Die politische Bedeutung des NSU-Prozesses ist sicherlich mit dem Breivik-Verfahren zu vergleichen. Dort war die Zahl der Opfer größer, bei uns ist das Staatsversagen größer gewesen. Aber es gibt in dieser Frage tatsächlich unterschiedliche juristische Meinungen.

Die einen sagen, dass dies einen Revisionsgrund liefern könnte, die anderen sagen, man hätte es riskieren können. Aber man wird der Justiz nicht vorwerfen können, dass sie auf jeden Fall auf der rechtlich sicheren Seite sein will.

Glauben Sie, dass sich das Gericht doch noch einmal bewegen wird?

Meine ganz Hoffnung ist, dass jetzt noch zusätzliche Plätze geschaffen werden. Meistens ist bei der Bestuhlung bei gutem Willen noch eine zusätzliche Reihe möglich, das weiß jeder Konzertveranstalter. Selbst wenn das Umbauten erforderlich machen sollte.

Es geht ja hier nicht darum, Tausende oder Hunderte zuzulassen, die das interessant finden. Sondern es geht darum, dass der türkische und der griechische Staat einen Beobachterstatus bekommen. Und dass die wichtigsten Medien dieser Länder die Chance haben, einen eigenen Einblick zu bekommen und nicht auf die innerdeutsche Berichterstattung angewiesen sind. Das muss respektiert werden, denn sonst wird die internationale Resonanz verheerend sein, ganz egal, wie sehr sich das Gericht bemüht.

Wie groß ist denn jetzt schon der Imageschaden für Deutschland?

Der ist enorm.

© SZ vom 06.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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