Lesung:Feuer unterm Hintern

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Beschwörender Appell: Christian Springer bei seiner Buch-Lesung in der Pasinger Fabrik (Foto: Oliver Hochkeppel)

Christian Springers Putin-Anklage in der Pasinger Fabrik.

Von Oliver Hochkeppel

Vielleicht war die Pasinger Wagenhalle trotz des zugkräftigen Namens Christian Springer nicht ganz voll, weil niemand so recht wusste, was einen bei der Lesung aus seinem neuen Buch "Ich und der Russe" erwarten würde. Das in leuchtendem Signalrot auf einem Tischchen drapierte Werk war ja erst zum Lesungstag fertig geworden. Wobei die Ankündigung im Flyer zur Themenwoche "Ist das Demokratie oder kann das weg?" schon das Wesentliche verriet: "Eine Aufregung, ein Appell, ein Weckruf, eine Einmischung" sei diese Antwort des Kabarettisten auf den Krieg an Europas Haustür.

Den sich dumm stellenden Volkskomiker - als Kurti in der "Spezlwirtschaft" etwa oder als Schlosswärter Fonsi - hat Springer schon lange abgestreift. Nicht zuletzt durch das knochenharte reale Engagement des ehemaligen Semitistik-Studenten als Syrienhelfer ist aus ihm ein echter Aufklärer geworden. Auf der Bühne, in Podcasts wie mit inzwischen einem Dutzend Bücher ist er sogar ein wenig in die seit dem Rücktritt von Georg Schramm verwaiste Rolle des Chefanklägers und -aufregers geschlüpft. Was sich mit "Ich und der Russe" eindrucksvoll fortsetzt. Die ganz persönliche Prägung seines Russland-Bildes, vom Familien-Trauma wegen des in Hitlers Ost-Feldzug verschollenen Großvaters über den West-Berliner Russen-Darsteller Ivan Rebroff bis zum Väterchen Timofei im Olympiapark, fügt sich ein in eine solide recherchierte Chronik der deutsch-russischen Geschichte samt der fatalen Entwicklungen seit Putins Aufstieg.

Auch deutsche Trittbrettfahrer wie Joe Kaeser werden hier angeklagt

Viele verblüffende Fundstücke und historische Bezüge, vor allem aber das Voraugenführen von all dem, was die meisten von uns aus Bequemlichkeit verdrängt haben, ordnen bei Springer das Zeitgeschehen ein, ein bisschen im Collage-Stil der im Buch erwähnten Karl Kraus'schen "Letzten Tage der Menschheit". Was nicht nur zu einer fulminanten Anklage Putins und seiner Helfer gerinnt, sondern auch seiner bewussten oder unbewussten deutschen Trittbrettfahrer von Joe Kaeser ("Josef Käser") bis Richard David Precht. "Das Buch ist einseitig", sagte Springer hinterher mit kurzem Verweis auf die schwarzen Flecken auf der ukrainischen Weste. "Doch erst kommt die Rettung, dann das Andere. Deshalb: Raus aus der Ukraine, jetzt! Und wir brachen keine Angst vorm kalten Popo, sondern mehr Feuer unterm Hintern."

Alles in allem starker Tobak, nicht auf Lacher ausgelegt. Zum Ausgleich hatte Springer die in allen Stilen versierte Allgäuer Sopranistin Andrea Jörg an seiner Seite. Mit dem in diesem Zusammenhang besonders berührenden "Empty Chairs And Empty Tables" aus "Les Miserables", einer strahlende Arie aus Händels "Xerxes" und Carole Kings "You've Got A Friend" zum Schluss steuerte sie zu so viel Text- und Kopfarbeit auch etwas fürs Gemüt bei (nochmals am 4. Dezember im Hinterhalt Gelting und am 9. Dezember im Gymnasium Bad Aibling).

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