BR-Sinfoniker im Konzert:Mit der Riesenrätsche

Lesezeit: 1 min

In einem früheren Leben war Dirigent Simon Rattle Schlagzeuger. Im Herkulessaal schwingt er die Rätsche. (Foto: Astrid Ackermann)

Simon Rattle und seine BR-Sinfoniker spielen im Herkulessaal auch die Uraufführung eines Werkes von Thomas Adès.

Von Reinhard J. Brembeck

"Big Rattle": Viele Hörer werden den gerade erst ein paar Monate als Chefdirigent der BR-Sinfoniker unermüdlich waltenden Simon Rattle durchaus so betiteln wollen, zeigt der 69-Jährige doch gerade, was alles er vom Barock bis hin zu Zeitgenossen so bestaunenswert gut kann. Rattle war in einem früheren Leben Schlagzeuger, und für diese Musikerspezies ist "Rattle" eine Rätsche, die über dem Kopf geschwungen ein wildes Rattern von sich gibt; nicht nur Kinder sind davon begeistert. Und "Big Rattle" meint eine Riesenrätsche, die Rattle jetzt im Herkulessaal auch auf einem Tischchen neben sich liegen hat. Das vergisst man aber schnell in der Uraufführung des von Thomas Adès komponierten prall dahinströmenden Einsätzers "Aquifer", der Fachterminus meint grundwasserdurchflutete Gesteinsschichten.

Adès, Jahrgang 1971, ist ein erfolgsgewöhnter Komponist, seine Stücke sind stets publikumswirksam, mit Rattle verbindet ihn eine lange freundschaftliche Zusammenarbeit. "Aquifer" nutzt alle Möglichkeiten der spielwütigen Sinfoniker, die meist in Gesamtstärke gefordert werden in dieser dicht strömenden Orchestersintflut. Und erst ganz am Schluss ergreift Rattle die Big Rattle und macht, sie beherzt schwingend, dem in größter Lautstärke endenden Klanggeström ein Ende. Belustigter Riesenbeifall.

Auch in Vorspiel und Finale aus Richard Wagners "Tristan" überlässt sich Rattle dem satten, dunklen, dichten und warmen Klangfluss der Musiker, er befeuert ihn bis zur Entgrenzung. Gut, dass sich keine Sänger diesen Klangmassen stellen müssen.

In der eine Landpartie von gestressten Städtern nachzeichnenden Sechsten von Ludwig van Beethoven aber zeigt sich Rattle dann von seiner anderen Seite, da gibt er den Analytiker, der die Geflechte der Musik elegant aufdröselt. Besonders profitiert davon der langsame Satz, der schnell einmal zu lang, zu eintönig gerät. Rattle geht das Stück drängend an. Beethoven zeigt sich da plötzlich als avantgardistischer Bastler, sehr viel radikaler als sein Nachfolger Thomas Adès. Doch Rattle fordert den Sinfonikern nie mehr ab, als diese Meister ganz selbstverständlich können. Das ist bewundernswert viel. Aber etwas fehlt dann doch: die Vision, das Verlangen nach dem Unmöglichen und Transzendenz.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRolando Villazón im Konzert
:Spitzbübische Präsenz

Rolando Villazón begeistert bei seinem Arien-Abend mit den Münchner Symphonikern im Prinzregententheater.

Von Andreas Pernpeintner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: