Gastronomie-Spiel:"Generell herrscht oft ein rauer Umgangston in den Kneipen"

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Martin Emmerling trinkt nicht mehr so oft auf seiner Tour durch die Münchner Boazn mit. Ein Helles aber geht meistens. (Foto: Stephan Rumpf)

Martin Emmerling hat das "Boazn-Quartett" erfunden. Regelmäßig muss er das Spiel aktualisieren, weil diese Lokale schließen. Ein Gespräch über Bier-Stüberl in München und warum er glaubt, dass eine Großstadt sie braucht.

Martin Emmerling arbeitet als Kabarettist, Künstler, Autor und hat vor vierzehn Jahren das "Boazn-Quartett" erfunden. Gerade hat er eine Neuauflage herausgebracht, seit der Version von 2021 haben zehn von 32 Kneipen aus dem Kartenspiel geschlossen. Die Erlebnisse aus den Boazn, Bairisch für kleines Lokal, bringt Emmerling auch mit auf die Bühne, seine Performance als Kneipen-Wirt war zuletzt in "My Fair Lady" im Gärtnerplatztheater zu sehen. Mittlerweile ist der 43-Jährige auch in anderen deutschen Städten unterwegs und erkundet dort Stüberl und Spelunken.

SZ: Herr Emmerling, wie hat sich Ihre Liebe zu Boazn entwickelt?

Martin Emmerling: Ich erinnere mich an die Neugierde, wenn ich als Kind mit dem Fahrrad an eine der vielen Boazn mit ihren vergilbten Vorhängen vorbeigefahren bin. Für mich war klar: Sobald ich groß bin, will ich herausfinden, was sich hinter ihnen verbirgt. Später war es sicherlich mein künstlerischer Drang nach Individualität, dort reinzugehen, wo sonst niemand reingeht. Außerdem fühle ich mich der Arbeiterklasse verbunden. Ich bin in einer Arbeitersiedlung in Unterhaching groß geworden und liebe Fußball.

Was macht die Boazn für Sie besonders?

Ich komme dort mit Menschen ins Gespräch, die ich in meinem alltäglichen Leben wahrscheinlich nicht treffen würde und will ihre Geschichten hören. Deshalb bin ich gerne alleine unterwegs, sowohl auf Reisen als auch daheim: Ich bin ein leidenschaftlicher Beobachter - und dabei ist es ganz egal, ob ich in einer Boazn sitze oder im Schumann's, in München oder in Odessa.

Welche Begegnung werden Sie nie vergessen?

In der "Gruam" ist mir die "Handwurscht" im Gedächtnis geblieben. Auf einem Plakat wurde sie für 2,50 Euro angepriesen, aber keiner konnte mir je sagen, was eine "Handwurscht" ist und es gab sie auch nie. Es gab auch schräge Begegnungen: Früher waren rund um den Großmarkt ein paar 24-Stunden-Kneipen, dort traf man noch auf andere Gestalten. Wenn man einem Zuhälter begegnet, dem das Kokain aus der Nase läuft, verkneift man sich besser einen Spruch.

Sie kommen in Boazn schnell ins Gespräch. Haben Sie auch mal erlebt, dass Sie von den Anwesenden nicht aufgenommen worden sind?

Natürlich! An Orten, an denen alles so bleiben soll, wie es immer war, ist das Misstrauen gegenüber Neuem groß. Einige Boazn wollten beim Quartett nicht mitmachen, weil sie skeptisch waren. Und generell herrscht oft ein rauer Umgangston in den Kneipen, vor allem bei Neuankömmlingen. Man darf den bayerischen Grant nicht als liebevolle Eigenschaft kultivieren - oft ist es einfach verdammt schlechte Laune und Frustration, die auf Andere projiziert wird.

Sie machen Varianten Ihres Quartetts auch in anderen deutschen Großstädten. Gibt es einen Unterschied zu den Kiezkneipen in Hamburg und den Veedelskneipen in Köln?

So verschieden die deutschen Großstädte sind, die Kneipen-Kultur ist doch überall recht ähnlich. Ich war für das Quartett neben München, in Berlin, Hamburg und Köln unterwegs und habe oft dieselben Charaktere getroffen und dieselben Geschichten gehört. Zum Beispiel die von dem Nachbarn, der seine Miete bald nicht mehr zahlen kann. In Berlin sind manche Kiezkneipen oft 100 Jahre alt, leben aber vom jungen Stammpublikum.

Spielerisch lernt man mit dem Quartett die Münchner Kneipenkultur kennen. (Foto: Stephan Rumpf)

Manche der Stammgäste haben wohl ein ernst zu nehmendes Suchtproblem. Wie gehen Sie mit diesem Alkoholismus um?

Wenn ich mich mit den Leuten unterhalte, geht es oft um Jobverlust, gescheiterte Beziehungen, Krankheiten. Alkohol ist für viele Gäste der gemeinsame Nenner, der dafür sorgt, dass man schnell aufgenommen wird und ins Gespräch kommt. Mit den Wirten pflege ich oft eine persönliche Beziehung, aber bei den Gästen bin ich nicht nah genug dran, um ihre Probleme lösen zu können. Seitdem ich zweifacher Vater bin, trinke ich zudem nicht mehr so oft mit.

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In den vergangenen Jahren mussten viele Boazn schließen. Werden Ihre Kinder diesen Teil der Münchner Stadtgeschichte noch erleben?

Es werden weniger, aber es wird die kleinen Kneipen und Stüberl weiterhin geben. Zu entscheiden, ob das dann "echte Boazn" sind, bleibt anderen überlassen. Zum einen hat man in einer Großstadt immer eine gewisse Bodenständigkeit, die ihre Orte braucht - nicht alle sind arm, nicht alle reich. Zudem spielt der Retro-Gedanke eine Rolle: Boazn versprechen ein altes München, das es so vielleicht heute schon nicht mehr gibt. Aber die Leute wollen auch in der Zukunft zusammenkommen, es gemütlich haben und sich in Lokale flüchten, in die sie alleine gehen können. Das ist nämlich auch ein essenzieller Punkt bei einer Boazn, dass man alleine hingeht!

Wenn wir schon dabei sind, was macht eine richtige Boazn überhaupt aus?

Das Bodenständige - und das spiegelt sich bei den Preisen wider. Kneipen, die Bier für fünf Euro ausschenken oder Cocktails auf der Karte haben, gehören für mich deshalb nicht dazu. Außerdem steht in der Ecke natürlich ein Spielautomat und es läuft oft das Radio. Fantastisch, denn niemand weiß, welcher Song als Nächstes kommt!

Wie hat sich denn der Bierpreis entwickelt?

Verändert hat er sich durch gestiegene Preise bei den Brauereien, vor allem aber durch höhere Heiz- und Stromkosten. In manchen Boazn kostet das Bier jetzt über vier Euro, aber oft bekommt man es noch für weniger. So zum Beispiel im "Bierschuppen" im Dreimühlenviertel für 2,90 Euro.

Liegt es auch an den steigenden Kosten, dass so viele Boazn schließen mussten?

Viele meinen, dass Corona Schuld war, aber das glaube ich nicht: Boazn haben meistens keine Mitarbeiter und oft eine geringe Pacht, weil sie nur wenige Quadratmeter und alte Mietverträge haben. Ich glaube, das Boazn-Sterben begann schon mit dem Rauchverbot 2008. Damals erzählte mir ein Gast, der hätte sich eine Schankanlage zu Hause gebaut, um seine Boazn-Freunde zu sich einzuladen - denn dort könnten sie rauchen. Viele Betreiber gehen auch in Rente, die jungen Nachfolger fehlen.

Woran liegt das?

Die Interessen der jungen Generation haben sich verändert: Statt Currywurst gibt es Asiatisch, statt in die Boazn geht man nachmittags in die Kaffeerösterei. Es gibt durchaus gelungene Weiterführungen, etwa das "Bumsvoll" in Giesing. Wenn man reinkommt, sitzt der Betreiber am Automaten und trinkt ein Helles vom Fass. Natürlich ist er stolzer 1860-Fan und obwohl er erst in seinen Zwanzigern ist, ist er ein richtiger Boazn-Wirt.

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