Bildung:München baut neue Schulen - obwohl es dafür noch keine Schüler gibt

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Die neue Schule am Bauhausplatz gehört zu den Prototypen des neuen Münchner Schulhauses. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Diesmal war die Stadt schneller - die Grundschulen in neuen Wohnvierteln sind fertig, noch bevor dort die ersten Familien mit ihren Kindern einziehen.
  • Damit es bei Planung und Ausführung zügig und günstig vorangeht, mussten die Architekten einen Entwurf erarbeiten, der gleich an mehreren Standorten realisiert werden kann.

Von Melanie Staudinger

Münchens neue Grundschule steht im Nichts. Ihre Adresse, die Gustl-Bayrhammer-Straße 21, findet kein Navigationsgerät. Auf Satellitenbildern sieht man an dieser Stelle schlicht eine Brachfläche. Auch in der Realität ist sie umgeben von Feldern, so wie etwas weiter nördlich auch ihr Doppelgänger. Hier in Freiham, am westlichen Ende Münchens, hat die Stadt gerade zwei neue Grundschulen hingestellt, zwei von insgesamt vier, die im September den Betrieb aufnehmen - und die sich alle ziemlich ähnlich sehen.

Denn damals, im Jahr 2012, musste es plötzlich ganz schnell gehen. Neue Stadtviertel sollten entstehen, in Freiham, in der ehemaligen Funkkaserne in Freimann und in der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne in Bogenhausen. Und die vielen Kinder, die dort wohnen werden, brauchen dringend neue Schulen.

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Der Stadtrat beschloss deshalb vier Schulen in sogenannter Modulbauweise, das Baureferat beeilte sich mit Wettbewerben und Ausschreibungen, trieb die Baufirmen an. Doch fünf Jahre später stellt sich heraus: Die Stadt war diesmal zu schnell - nachdem es in der Vergangenheit eher Ärger gegeben hatte, weil die Schüler längst im Neubauviertel wohnten, die Schule aber auf sich warten ließ.

Diesmal aber spricht Schulbürgermeisterin Christine Strobl (SPD) beim Presserundgang durch die Schule, deren Adresse die Gustl-Bayrhammer-Straße sein wird, gar vom "Noch-nicht-Neubaugebiet Freiham". Bei jedem Schulbauprojekt in einem neuen Quartier sei die Stadt abhängig davon, wie schnell die Investoren bauten. "Und dieses Mal waren wir als erste dran". Ein richtiges kleines Bauprogramm hat der Stadtrat vor fünf Jahren auf den Weg gebracht, und die Architekten standen vor einer großen Herausforderung. Sie sollten eine Schule planen, die an vier unterschiedlichen Standorten mit vier unterschiedlich geschnittenen Grundstücken passt.

Es gab einen einzigen Realisierungswettbewerb mit strengen Vorgaben: Die Stadt will nur noch Schulen nach dem Lernhaus-Konzept bauen. Ohne dunkle Flure, in denen sich ein Klassenzimmer an das andere reiht. Moderne Schulen sollen hell und freundlich wirken, einsehbare Klassenzimmer haben und Multifunktionsflächen, damit all die neuartigen Unterrichtsmethoden ausprobiert werden können.

Eine Schule, die aus einzelnen Modulen besteht

Durchgesetzt haben sich Wulf-Architekten aus Stuttgart. Sie entwarfen quasi den Prototyp des Münchner Lernhauses für Grundschulen, ein Cluster, das aus vier Klassenzimmern, zwei Ganztagsbereichen, Sanitäranlagen und einem Teamraum für die Lehrer besteht. Diese Einheit lässt sich beliebig in alle möglichen Schulen integrieren - das spart Zeit und Geld beim Planen und Bauen. Um die Lernhäuser gruppieren sich dann je nach Platzverhältnissen Turnhalle, Schulverwaltung, Mensa und Hausmeisterwohnung.

Das Stuttgarter Architekturbüro hat mit diesen vier Schulen die Grundlage geschaffen für alle Grundschulneubauten in München. Und das werden viele sein. Im Jahr 2016 genehmigte der Stadtrat 1,8 Milliarden Euro für neue Projekte und Sanierungen, heuer waren es noch einmal 2,4 Milliarden. Dagegen wirken die jetzt eröffneten Grundschulen günstig: Um die 40 Millionen Euro hat jede von ihnen gekostet. Und sie alle waren billiger als ursprünglich veranschlagt, wie Detlev Langer vom Baureferat berichtet. Der Qualität hat das nicht geschadet, wie der Rundgang zeigt.

"Das ist richtig schön hier, es gibt viel mehr Platz", sagt Gertrud Füchsle. Sie leitet seit neun Jahren die Grundschule an der Wiesentfelser Straße und darf im September mit ihren gut 240 Schülern in die neue Grundschule an der Gustl-Bayrhammer-Straße einziehen. Füchsle fotografiert fleißig die Räume und auch die Balkone, die sich wie eine zweite Schicht um das Gebäude ziehen. Noch kennen nicht einmal alle ihrer Lehrer das neue Zuhause der Schule, die an ihrem alten Standort Räume für die ebenfalls dort ansässige Mittelschule freimacht.

Die Kinder, berichtet Füchsle, hätten ihr neues Domizil zumindest schon einmal von außen gesehen. Begleitet von zwei türkischen Musikanten zogen sie noch im alten Schuljahr symbolisch von der bisherigen Schule zur neuen. Am Haupteingang aber war Schluss. Dort asphaltierten die Arbeiter gerade. Mittlerweile ist der Außenbereich weitgehend fertig. Geräte zum Klettern und Balancieren stehen bereit für die ersten Kinder, die im September kommen. Lediglich die Miniatur-Straßenmarkierung für die Verkehrserziehung muss noch auf den Pausenhof gemalt werden.

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Drinnen wird noch gearbeitet, der Großteil aber ist erledigt. In der Kindertagesstätte mit drei Krippen- und Kindergartengruppen fehlen noch die Trennwände für die Mini-Toiletten und die Spielsachen. Die Klassenzimmer sind schon möbliert. Whiteboard statt Tafel, das wuchtige Lehrerpult von früher ist einem leichten Tisch mit rückenschonendem Stuhl gewichen. Alle Kinderstühle sind gleich hoch, damit alle Kinder auf gleicher Höhe sitzen können.

Unten lässt sich aber eine Leiste an die Beinlänge anpassen, damit die Füße nicht in der Luft baumeln. Und es gibt - für Münchner Schulen der neuen Generation fast schon eine kleine Revolution - wieder viereckige Tische. Die ungeliebten Dreieckstische, die so lange verpflichtend bestellt werden mussten, sind nur mehr im Ganztagsbereich zu finden. "Wir haben hier alles ganztagstauglich gebaut", erklärt Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD). Allerdings hätten sich für eine Ganztagsklasse nicht genügend Kinder gefunden, die Schule startet daher mit einem Hort.

Da gleich vier Schulen fertig werden, freuen sich nicht nur die Grundschüler aus der Wiesentfelser Straße über ein neues Zuhause. In Freimann verlassen die Schüler ihre Container an der Gertrud-Grunow-Straße und ziehen in die Grundschule am Bauhausplatz. Für die Grundschule an der Ruth-Drexel-Straße in Bogenhausen gibt es eine Interimslösung, weil im Sprengel noch zu wenige Kinder wohnen. Die Schüler der Knappertsbuschschule ziehen dort ein, bis ihre eigene Schule saniert ist.

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Und die zweite Schule in Freiham an der Aubinger Allee 155 wird vorübergehend das Förderzentrum West beherbergen, das bisher am Schererplatz in Pasing untergebracht war. Die Förderschüler bleiben, bis ihr eigenes Schulhaus fertig ist. Dessen Bau können sie live mitverfolgen. Denn nur wenige Meter südlich entsteht der Schulcampus Freiham samt Sportpark, das Mega-Projekt der Stadt mit einem Bauvolumen von 338 Millionen Euro.

Weil sonst noch nichts steht, lässt sich der Baufortschritt von den zwei neuen Grundschulen aus beobachten. An der Stelle, wo sechs grüne Kräne in den Himmel ragen, werden bald Gymnasium, Realschule, Förderzentrum und eine weitere Grundschule stehen. Zum Schuljahr 2019/20 soll der Campus fertig sein - und hoffentlich auch die Wohnbebauung, damit genügend Schüler da sind.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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