Literatur:"Brecht ließ sich nicht vereinnahmen"

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Marketingmaßnahme: Bertolt Brecht ziert jetzt auch ein Handtuch. (Foto: Robert Allmann)

Vor genau 125 Jahren wurde Bertolt Brecht in Augsburg geboren. Die Stadt widmet dem Dichter ein ganzes Festjahr - und webt an dessen Mythos.

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

Das Augsburger Textilmuseum hat sich zum 125. Geburtstag von Bertolt Brecht eine besondere Würdigung einfallen lassen: Ein schickes schwarz-weißes Handtuch, 100 Prozent Baumwolle, gewebt in der hauseigenen Werkstatt. Darauf abgebildet das Konterfei des Schriftstellers, die unvermeidliche Zigarre im Mundwinkel. Ein zweischneidiges Geschenk. Ob der berühmte Sohn der Stadt es wirklich gut gefunden hätte, dass sich künftig jeder mit ihm die Finger oder Sonstiges abwischen kann, bleibt fraglich. Aber vielleicht hätte es ihn, den Spezialisten für Marketing in eigener Sache, auch amüsiert.

Für Antworten auf derart grundlegende Fragen gibt es in Augsburg einen Experten: Jürgen Hillesheim, Professor an der Uni Augsburg und seit 1991 Leiter der Bertolt-Brecht-Forschungsstätte mit der weltweit zweitgrößten Sammlung zu Brecht. Noch sitzt er in einem klassischen Gelehrtenzimmer mit Büchern bis zur Decke in der Staats- und Stadtbibliothek, doch der Auszug steht unmittelbar bevor, die Einrichtung wird renoviert und erweitert.

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Im Vorjahr hat Hillesheim eine sehr lesenswerte Doppelbiografie zu "Lotte Lenya und Bertolt Brecht" (wgb Theiss) veröffentlicht; gerade arbeitet er an einem Vortrag über die Freundschaft zwischen dem Bühnenbildner Caspar Neher und Brecht, spart dabei weder Nehers Produktionen in der NS-Zeit aus noch Brechts mangelnde Berührungsängste diesbezüglich in der Nachkriegszeit. Halten wird er das Referat zur Eröffnung der Ausstellung "Wanderer zwischen den Welten" Anfang März im Grafischen Kabinett. Augsburg hat sich schließlich vorgenommen, sich heuer nicht nur mit dem Brecht-Festival (Start an diesem Freitag, 10. Februar) zu begnügen, sondern den Dichter das ganze Jahr über unter dem Titel "Brecht125" mit Veranstaltungen zu feiern.

Jürgen Hillesheim ist Professor an der Uni Augsburg und Leiter der Bertolt-Brecht-Forschungsstätte. (Foto: Privat)

Was hätte Brecht nun zu dem Handtuch gemeint? "Da hätte er sich gefreut wie ein König", sagt der Literaturwissenschaftler. "Brecht ist keine kommunistische Ikone oder Lehrerfigur. Er taugt zu vielem, aber nicht als Projektionsfläche sozialromantischer Wünschbarkeiten." Das zeige sein Lavieren und strategisches Denken, wenn es um das Voranbringen seiner Kunst und um eigene Vorteile ging. Brecht habe nie Hemmungen gehabt, ein Werk umzuändern, wenn es die Aufführungschancen eines Stücks erhöhte. Positiv formuliert: "Wir haben dieser Flexibilität eines der bedeutendsten dichterischen Werke der klassischen Moderne zu verdanken."

Eigentlich hatte Hillesheim, Jahrgang 1961, nicht vor, sein Leben dem Augsburger Dichter zu widmen, er promovierte 1989 mit einer Arbeit über Thomas Mann, Brechts großem Antipoden. Doch dann kam das Angebot aus Augsburg. "Da konnte ich nicht widerstehen", sagt er während des Spaziergangs zu Brechts Geburtshaus und bleibt vor dem Perlachturm stehen. Hier saß der sechzehnjährige Gymnasiast während der ersten Kriegsnächte, hielt nach feindlichen Fliegern Ausschau und schrieb darüber Zeitungsartikel.

Bertolt Brecht als 20-Jähriger im Jahr 1918. (Foto: dpa)

"Liest sich wie Karl May-Erzählungen", sagt Hillesheim. Der Ton ist patriotisch und nationalistisch - "aber sonst wäre es in dieser Zeit der Kriegseuphorie nicht veröffentlicht worden". Allerdings rückt Brecht bald das Leiden am Krieg ins Zentrum seiner Texte. Schildert in den "Augsburger Kriegsbriefen", die er für die Münchner-Augsburger Abendzeitung zwischen dem 14. August und 27. September 1914 schrieb, das Ausladen verwundeter Soldaten. "So schwankt Bahre um Bahre vorbei. Deutsche sind drauf und auch Franzosen - alle tuen einem tief leid." Mitleid mit dem Feind, das war ungewöhnlich.

"Anders als Berlin besitzen wir keine originale Wohnung", bedauert Hillesheim bei der Ankunft am Brecht-Haus. Eugen Berthold Friedrich Brecht, hier am 10. Februar 1898 geboren, zog als Baby schon wieder aus. Die Stadt hat das kleine Handwerkerhaus 1981 gekauft und 1998 die jetzige Dauerausstellung zu Leben und Werk Brechts eröffnet. In Stationen eingeteilt folgt die Präsentation den Städten, in denen er lebte: Augsburg, München, Berlin, dann die Jahre im Exil, schließlich Ost-Berlin.

In den Vitrinen stehen rare Erstausgaben, Schulzeugnisse oder Die Ernte, eine Schülerzeitschrift aus den Jahren 1913 und 1914, deren Inhalt Brecht größtenteils mit seinen eigenen Werken bestritt. Freilich ist die Präsentation in ihrer Textlastigkeit nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Nach dem Jubiläumsjahr steht eine größere Sanierung an. Neu und bereits gestartet ist im Dachgeschoss ein "Artist-At-Risk Residency"-Programm. Erster Gast ist die Moskauer Theaterregisseurin Anastasia Patlay.

Brechts Eltern verließen das Geburtshaus, als Eugen sechs Monate alt war, zogen erst ins Haus "Bei den Sieben Kindeln" in der Jakobervorstadt und im Jahr 1900 dank eines Karrieresprungs des Vaters in eine große Werkswohnung der Haindl'schen Papierfabriken an der Bleichstraße. 1953 verewigt Brecht die idyllische Umgebung in einem nahezu romantischen Text: "Vorbei an meinem väterlichen Haus führte eine Kastanienallee entlang dem alten Stadtgraben; auf der anderen Seite lief der Wall mit Resten der einstigen Stadtmauer. Schwäne schwammen in dem teichartigen Wasser. Die Kastanien warfen ihr gelbes Laub ab." Der erste Versuch, die so beschriebene Fröhlichstraße in Brechtstraße umzuwidmen, scheiterte 1963. CSU-Stadträte wollten keine Straße nach einem Aushängeschild der ostzonalen Machthaber benennen, erzählt Hillesheim. Drei Jahre später klappte es.

Bertolt Brecht 1918 mit seiner Freundin Paula Banholzer in Paris. (Foto: imago)

Die Krankheiten der Mutter überschatten Brechts Jugendjahre. "Meine Mutter zählt bald 50 Jahr // Von denen dreißig sie am Sterben war", dichtet der Sohn 1919, ein Jahr vor deren Tod. Auch um seine Gesundheit steht es nicht gut. Er klagt über Herzbeschwerden und Angstanfälle, nachzulesen im "Tagebuch No. 10", dem frühesten autobiografischen Dokument von 1913. Ob er tatsächlich zuvor neun weitere Tagebücher geschrieben hat, wie die Zahl 10 suggeriert, ist unklar, erhalten hat sich nichts. Möglicherweise diente die Zahl auch nur zur Selbststilisierung, mutmaßt Hillesheim.

Als die Haushälterin in der Bleichstraße einzieht, um die kranke Mutter zu pflegen, muss Brecht 1910 in die Mansarde oben im zweiten Stock ausweichen. Dort im "Zwinger" oder im "Kraal", wie er sein Domizil wahlweise nennt, entstehen seine ersten großen Werke: fast alle Gedichte der "Hauspostille" und die Dramen "Baal" und "Trommeln in der Nacht".

An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nie. Legendär die Auseinandersetzungen mit seinen Lehrern am Gymnasium, als er mitten in der allgemeinen Kriegsbegeisterung den Nationaldichter Schiller in einem Aufsatz als "oberlehrerhaft" und dessen Schilderung von Wallenstein Kriegslagers als realitätsfern bezeichnet, wie "eine Bierzeltidylle mit Bockbierausschank".

Sich freiwillig in den Krieg zu melden, wie es Caspar Neher 1915 tat, wäre ihm nicht eingefallen. Brecht hatte kein Verständnis für dessen nationalen Enthusiasmus, ließ daran in Briefen nicht den geringsten Zweifel. "Du bist vielleicht ein Trottel ... du bis an allem schuld, was über dich kommt..." Im April 1917 wurde Neher in der Champagne verwundet, verschüttet und bald "kriegsverwendungsfähig" zurück an die Front geschickt. Der empörte Brecht verarbeitete Nehers Erfahrungen in der "Legende vom toten Soldaten".

Er selbst kam um den Dienst an der Waffe herum, arbeitete von Oktober 1918 bis Januar 1919 als Krankenwärter in Reservelazaretten. Und beobachtete die politischen Umwälzungen während der Räterepublik im Frühjahr 1919 interessiert, aber mit skeptischer Distanz. "Brecht ließ sich nicht vereinnahmen", sagt Hillesheim. Seiner Ansicht nach betrachtete der Antimilitarist Brecht die kommunistischen Revolutionsversuche nur als Fortsetzung des Krieges. Und hielt sich fern. Ganz so wie sein Bruder Walter später leicht boshaft schrieb: "Gefährliche Tätigkeiten, in die man selbst hätte verwickelt werden können, waren nicht sein Geschmack."

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