Bauen in München:Auf Stelzen, aber nicht in den Wolken

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In Rotterdam stehen bereits Häuser auf Stelzen. (Foto: imago/ecomedia/robert fishman)

Die Idee, Häuser künftig über Parkplätzen zu errichten, elektrisiert Politiker und Experten. Das Beispiel anderer Städte zeigt: München müsste nicht bei null anfangen.

Von Alfred Dürr und Heiner Effern, München

Großartige Ideen haben am Tag danach manchmal das Problem, dass sie im Alltag ankommen. Was also bleibt vom außerordentlichen Aufsehen, das die SPD am Mittwoch mit ihrem Modellprojekt erregte, das die Wohnungsnot in München lindern soll? Man könnte doch bestehende Parkplätze mit günstigen Wohnhäusern aus Holz überbauen, schlugen Oberbürgermeister Dieter Reiter und Fraktionschef Alexander Reissl vor. Die Gebäude sollen auf dünnen Stelzen stehen, Parkplätze würden kaum wegfallen, und die Stadt würde noch schöner aussehen. Wunderbar. Und der Alltags-Kater? Bleibt aus. Vorerst zumindest.

Diese positive Stimmung für innovatives Bauen will OB Reiter in der Stadt schaffen und ausbauen. Deshalb ist es für ihn sehr wichtig, die Praxistauglichkeit der Idee möglichst schnell zu beweisen. Bis Ende des Jahres soll der viergeschossige Modellbau aus Holz auf dem Parkplatz des Dantebads stehen. 120 Wohnungen über einem Parkplatz.

Für Familien mit Kindern nicht geeignet

Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag arbeitet bereits fieberhaft daran, hält sich mit offiziellen Stellungnahmen aber zurück. Mit den Prüfungen zu zentralen Themen wie Brandschutz oder Lärmimmissionen sei man noch nicht fertig, heißt es. Die Hürden seien aber nicht hoch. So werde beispielsweise ein zweites Treppenhaus als Fluchtweg eingeplant. Der Lärm von außen könne durch Schallschutzfenster abgewendet werden. Ein wichtiges Thema sind die notwendigen Freiflächen für die Wohnungen. Die sollen dann auf dem Dach entstehen.

Ein Projekt des Bauunternehmers Ernst Böhm in Bad Aibling dient als Vorbild für München. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Spielplätze vor dem Haus gibt es nicht. Damit ist aber auch klar, dass das Wohnhaus über dem Parkplatz nicht für Familien mit Kindern geeignet ist. Vorgesehen sind in diesem Fall dringend benötigte und bezahlbare Apartments für alleinlebende Personen. Dass Extrakosten für die Überbauung von Parkplätzen entstehen, sei kein zentrales Problem. Auch der Bau von Tiefgaragen sei teuer.

Die größte Herausforderung ist wohl, dass der Zeitplan sehr sportlich ist. Auf der anderen Seite erhoffe man sich wichtige Erkenntnisse aus dem Modellvorhaben, sagt ein Verantwortlicher bei der Gewofag.

Auch Experten aus der freien Wirtschaft halten die Idee für umsetzbar. Wenn man Fraktionschef Reissl fragt, woher seine Idee kam, dann fällt der Name Ernst Böhm. Der Unternehmer errichtete in Bad Aibling ein achtstöckiges Hochhaus aus Holz und daneben ein dreigeschossiges Gebäude - auf Stelzen über dem dazugehörenden Parkplatz. Brand- und Lärmschutz? Kein Problem, sagt Böhm, alles vom Landratsamt Rosenheim geprüft und genehmigt. Die Kosten? Parkplätze bieten sogar einen Preisvorteil, weil sie entweder schon der Stadt gehören oder weil sie in privatem Eigentum totes Kapital sind, das mit Baurecht plötzlich an Wert gewinnt. Und die nötigen Stellplätze, die per Satzung zusätzlich zu den überbauten Parkplätzen vorgeschrieben sind? Böhm verweist auf Hamburg und Berlin. Beide Städte haben diese Satzung abgeschafft.

Der Oberbürgermeister hofft auf die Discounter

Bleibt die Frage, ob genügend Parkplätze in München infrage kommen. Die Gewofag untersucht bereits, wo auf ihren Grundstücken noch Potenzial vorhanden ist. Die städtischen Areale vor Schwimmbädern, Kliniken oder Lehrerparkplätze außerhalb von Schulen sind endlich. Die Stadtwerke winken auch ab. OB Reiter betont deshalb den "Showcase"-Charakter des Projekts am Dantebad: Wenn die Idee Erfolg haben soll, müssen private Eigentümer wie etwa Discounter-Ketten anspringen. Doch deren Filialen liegen auch in Gewerbegebieten, in denen Wohnen nicht erlaubt ist.

Da macht Florian Pronold (SPD) Hoffnung, Staatssekretär im Bundesbauministerium. Sein Haus sei gerade dabei, die Grenzen für solche Modelle durch eine Gesetzesänderung auszuweiten. Künftig wird es im Baurecht eine neue Gebietsform geben, die Gewerbe und Wohnen näher zusammenbringt. "Wir müssen die Dinge neu denken", sagt Pronold angesichts des Drucks auf dem Wohnungsmarkt gerade in Ballungsräumen. Der enge Kontakt auch nach München diene dazu, noch bestehende Barrieren zu beseitigen. "Sollten dafür Änderungen im Bundesrecht nötig sein, kann man mit uns immer darüber reden."

"Die Wohnungs-Krise in München kann der Motor für spannende Lösungen sein", sagt der Architekt Florian Fischer. Er gehört der vor Kurzem gegründeten Genossenschaft "Kooperative Großstadt" an. Diese will Bauprojekte auch an ungewöhnlichen Orten oder mit besonderen Formen entwickeln. Er findet die Idee am Dantebad gut und warnt davor, solche Projekte gleich zu zerreden. Im Moment, sagt er mit einer gewissen Ironie, "ist Mut unser Alleinstellungsmerkmal als Genossenschaft". Wenn den nun auch andere entwickelten, "haben wir vielleicht schnell ein Problem".

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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