Ausstellung:Muskeln zeigen

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Starke Leistung: Mit ihrer Präsentation, die auf der Performance "Sugar Muscles" basiert (hier bei der Akademieausstellung), konnte Julia Walk das Publikum beim Perspektivenpreis des Kunstclubs 13 überzeugen. (Foto: Igor Vrdoljak)

Fast wie früher: In einer Diplomausstellung der Münchner Kunstakademie zeigen rund 40 Absolventen ihre Arbeiten

Von Jürgen Moises

Das Vertraute im Fremden wiederzuentdecken - diese Erfahrung haben schon einige gemacht. Bei Eun Young Lee war es die Landschaft ihrer Kindheit, die die aus Südkorea stammende Malerin unerwartet am Fuße der Alpen wiederfand. Das heißt: Da waren die vertrauten Felder, Hügel, Wälder, Pflanzen, aber doch "irgendwie anders", wie Eun Young Lee beschreibt. Daraus gemacht hat sie nun malerische Landschaften, die sehr real aussehen, aber doch aus der Fantasie stammen und die sie als "Pfade in Zwischenräume" bezeichnet. Zu sehen sind sie in der ersten Diplomausstellung dieses Jahres in der Münchner Kunstakademie. Die ist als alljährliches Ritual ebenfalls etwas Vertrautes. Aber seit Corona fühlt sie sich dann doch ein bisschen anders an.

Wobei man sagen muss: Mit "2G+" ist es fast schon wieder wie vor zwei Jahren, als die Diplomausstellung tatsächlich noch normal geöffnet war. Ein paar Monate später, bei der Jahresausstellung, musste die Akademie dann komplett schließen. Nun kann man nach dem Impf- und/oder Test-Nachweis relativ frei durch die vier Stockwerke spazieren und sich die Werke von rund 40 Diplomanden ansehen. Außerdem gibt es sie online auf der Website. In die Kindheit geht es dabei nicht nur bei Eun Young Lee zurück. Vieles wirkt introspektiv oder wie ein Versuch der künstlerischen Selbstvergewisserung. Und im Vergleich zu den Vorjahren gibt es relativ viel Malerei. Oder ist das am Ende nur eine Pandemie-bedingte Einbildung?

Senem Denli übersetzt Fotos aus sozialen Netzwerken in Gemälde. Das Ergebnis sind ihre "Instagram Paintings". (Foto: Igor Vrdoljak)

Aniko Violet jedenfalls reist in ihrer Werkserie in die Stadt ihrer Herkunft, Budapest, zurück. Sie greift in ihren Gemälden Architektur, Szenerien oder Fundobjekte von dort auf und macht daraus rätselhafte Bilder. Vieles wirkt realistisch, aber dann doch wieder nicht, vermeintliche Hauptfiguren erweisen sich als Nebendarsteller. Und dort, wo man Gitter sieht, ist nicht klar: Wer ist hier innen und wer außen? Lukas Hoffmann macht aus Holz, Farbe, Faden oder Aluminium poetisch-surreale Gebilde, die an Pflanzen, Bäume oder eine Angel erinnern. Zusammen wirken sie wie eine Art Kulisse für ein unbekanntes Spiel. David Ilzhöfers Bilder und Skulpturen bewegen sich irgendwo zwischen den Gebrüdern Grimm und Disney. Da gibt es einen Zwerg aus Pappmaché im Glassarg. Eine Neufassung von Schneewittchen?

Bemalte Bodybuilder und gezeichnete Spannungskurven

Senem Denli hat "Instagram Paintings" gemacht, das heißt Motive aus dem sozialen Netzwerk in große Gemälde oder Kalenderbilder übersetzt. Julia Walk hat für ihre Arbeit "Sugar Muscles" drei Bodybuilder als Material für sich entdeckt. Die lässt sie in einem Video und teilweise live posieren und übergießt sie mit Zuckerfarbe. Außerdem stehen sie als Pappfiguren im Raum. Asuka Miyaharas von Pflanzen inspirierte Gemälde sind tagebuch-artig während des ersten Lockdowns entstanden. Eteri Nozadze aus Georgien setzt sich in ihrem poetischen Künstlerbuch mit der fremden deutschen Sprache auseinander. Und Anna Glas hat die Spannungskurven eines EEGs in große Zeichnungen übersetzt. Die Grundlage dafür bildet eine neurowissenschaftliche Studie, bei der man Probanden Gesichtern zeigte. Je nachdem, ob die Gesichter bekannt oder unbekannt waren, fiel eine der Kurven anders aus.

Hier kommt der Party-Peter: Stephanie Zimmer tritt als Alleinunterhalter auf. (Foto: Igor Vrdoljak)

Damit wird, könnte man sagen, aus menschlicher Begegnung Kunst. Und das ist etwas, was auch bei Performances passiert. Wie etwa bei Valentina Pino Reyes, die in einem Eichhörnchen-Kostüm auf Besucher wartet und damit Fremdheitserfahrungen thematisiert. Birgit Wagner hat einen alten Hochwebstuhl aus dem Akademiekeller geholt und webt damit in einer Dauerperformance das Wort "Schneller". Und Stephanie Zimmer tritt als "Party Peter" auf: als Alleinunterhalter mit Hut und Schnauzer, der auf dem Keyboard Schlager und Pophits spielt.

Täuschend echt: Joost-Vincent Schaer hat MVV-Karten gedruckt. Die soll man mitnehmen - aber nicht verwenden. (Foto: Igor Vrdoljak)

Um gesellschaftliche Fragen geht es aber auch, etwa bei Sophie Neustifter, die ein Zelt aus Tetra Paks gebaut hat. Als Symbol für ein neues, kommendes Nomadentum? Joost-Vincent Schaer verknüpft das Unterwegs-Sein ebenfalls mit Sozialem. Er hat täuschend echte Streifenkarten gedruckt, mit denen er für einen kostenlosen ÖPNV und Mobilität als Grundrecht wirbt. Man soll welche mitnehmen, aber: bitte nicht verwenden. Weil er sonst Ärger bekommt. Stattdessen sollen die Karten ein Symbol der Selbstermächtigung sein, eine Anregung, sich selber Karten zu drucken.

Diplomausstellung 2022.1, bis 15. Feb., Mo. bis Fr., 14-20 Uhr, Sa. & So., 12-20 Uhr, Akademie der Bildenden Künste München, Akademiestr. 2, www.adbk.de

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