Szenario:Was dürfen Kinder lesen

Lesezeit: 2 min

Die Freiheit des Wortes ist ihnen ein Anliegen: Laurie Halse Anderson mit US-Generalkonsul Timothy Liston beim Empfang in der Internationalen Jugendbibliothek Schloss Blutenburg. (Foto: Florian Peljak)

Laurie Halse Anderson, gerade mit dem "Astrid Lindgren Gedächtnispreis 2023" ausgezeichnet, spricht in München über Zensur, die ihre Werke in den USA erfahren.

Von Jutta Czeguhn

Laurie Halse Anderson kommt direkt aus Schweden. In der Stockholm Concert Hall hat ihr Kronprinzessin Viktoria den "Astrid Lindgren Gedächtnispreis 2023" verliehen, den mit knapp einer halben Million Euro höchst dotierten Preis für Kinder- und Jugendliteratur. 1000 Leute waren dort im Saal, Anderson in feiner Robe. In der Münchner Blutenburg, im schlichten Jella-Lepman-Saal, benannt nach der jüdischen Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek, geht es legerer zu. Unter sehr vielen weißen Papierlampen mutmaßlich schwedischen Ursprungs spricht die US-Schriftstellerin über ihre Arbeit und ihr Land.

Es wird ein unterhaltsamer und auch irgendwie bedrückender Abend vor Fachpublikum, den der Zufall oder Andersons Flugplan genau zwischen zwei historische Ereignisse platziert hat: den 8. Mai 1945, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa endete, und den 10. Mai, als die Nationalsozialisten in Deutschland Bücher verbrannten.

"Bücher stärken uns und helfen, die Grundlagen für Moral und Weisheit zu legen", sagt Laurie Halse Anderson bei der Entgegennahme des "Astrid Lindgren Gedächtnispreises 2023" in Stockholm. Für die US-Jugendbuchautorin ist Lindgren, hier 1972 mit den beiden Hauptdarstellern ihrer Buch-Verfilmung "Michel aus Lönneberga" ein großes Vorbild. (Foto: Picture alliance/dpa)

US-Generalkonsul Timothy Liston, der das Publikum mit einem "Ladies and gentlemen, servus beinand" begrüßt, dann aber des Ehrengastes wegen ins Englische wechselt, erzählt von einem kurzen Plausch mit Anderson: "Wir sind der Lösung der Probleme der Welt ganz ganz nahe gekommen." Bittere Ironie natürlich, denn die Welt ist aktuell "a mess", ein Haufen Chaos. Liston beschwört die transatlantische Freundschaft, den Zusammenhalt im Ukraine-Konflikt und den gemeinsamen Kampf für die Freiheit des Wortes. Und genau darauf verdichtet sich alles an diesem Abend in der Bücherburg im Münchner Westen, wo hinter trutzigen Mauern zigtausende Geschichten für Kinder- und Jugendliche bewahrt und gelesen werden.

Keine Selbstverständlichkeit, ein sehr hohes Gut, wie Laurie Halse Anderson nicht nur einmal betont. Wohin Unfreiheit führt? Ihr Vater habe 1945 als sehr junger US-Soldat das KZ Dachau befreit und sei darüber depressiv und alkoholkrank geworden. Und nun, in den USA des Jahres 2023, würden ihre Bücher aus Bibliotheken und Lehrplänen verbannt. Religiöse Fanatiker und die politische Rechte werfen ihr Pornografie vor. Laurie Halse Andersons berühmtestes Buch "Sprich" aus dem Jahr 1999 (dtv Reihe Hanser) handelt von einem Mädchen, das wie die Autorin selbst, vergewaltigt wurde und sehr langsam seine Stimme wiederfindet.

An den Stehtischen in der Blutenburg wird an diesem Abend noch lange darüber nachgedacht, wie es um die Freiheit des Wortes wirklich bestellt sei in einer Stadt wie München, wo Politiker sich - wie in den USA - über eine Kinderbuchlesung von Dragqueens ereifern. Da tut er gut, dieser Satz von Laurie Halse Anderson zum Abschied: "The World needs libraries". Die Welt braucht Bibliotheken.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: